Westliche Vorbereitungen auf den 10. Jahrestag des 17. Juni
7. Juni 1963
Bericht Nr. 360/63 über die in Westdeutschland und Westberlin anlässlich des diesjährigen 17. Juni getroffenen Vorbereitungen
Aufgrund der aus vorliegenden internen Informationen und aus offiziellen Materialien bisher bekannt gewordenen Einzelheiten über die in Westdeutschland und Westberlin getroffenen Vorbereitungen für den diesjährigen 17. Juni1 kann eingeschätzt werden, dass dieser Tag im Wesentlichen den gleichen Verlauf nehmen wird wie in den letzten Jahren. Auch in diesem Jahr steht die Organisierung der Hetzveranstaltungen im Mittelpunkt der Vorbereitungen.
Soweit aus den bisher vorliegenden Informationen hervorgeht, wird die Hetze gegen die Sicherungsmaßnahmen vom 13. August2 und um die sogenannten politischen Gefangenen in der DDR, zusammen mit provokatorischen Forderungen zur »Sicherung der Menschenrechte« in der DDR, Hauptinhalt der Hetzveranstaltungen sein.
Stärker als in den Vorjahren, offensichtlich aufgrund des festgestellten und teilweise auch eingestandenen Rückganges der Beteiligung der Bevölkerung an diesen Hetzveranstaltungen, traten Meinungsverschiedenheiten und einander widersprechende Forderungen zur Gestaltung des 17. Juni auf.
Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die – ebenfalls im größeren Umfang als früher – getroffenen Maßnahmen, durch die auf die westdeutsche und Westberliner Bevölkerung ein verstärkter Druck ausgeübt werden soll, sich an den Veranstaltungen zu beteiligen.
Hier sind besonders die Empfehlung des Bonner Innenministers Höcherl,3 den 17.6. als »stillen Feiertag« zu begehen, Tanzveranstaltungen und Vergnügen zu verbieten, gleichlautende in den Ländern gefasste Beschlüsse, sowie der Appell der »Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände« an ihre Mitgliederorganisationen zu sehen, am 17.6. unter keinen Umständen Betriebsausflüge oder ähnliche gesellige Zusammenkünfte durchzuführen.
Als Initiatoren der Hetzveranstaltungen und der sonstigen Vorbereitungsmaßnahmen traten in erster Linie das »Kuratorium Unteilbares Deutschland«4 (KUD), der DGB-Bundesvorstand und revanchistische Organisationen in Erscheinung. Nach offiziellen Meldungen begann das KUD schon Anfang März dieses Jahres mit den Vorbereitungsarbeiten. Aus einem ersten sogenannten Appell des KUD ging ebenfalls hervor, dass – neben den üblichen aus den Vorjahren bekannten Maßnahmen wie Abzeichenverkauf usw. – besonders auf eine große Massenbeteiligung an den Hetzveranstaltungen orientiert wurde.
Wie intern berichtet wurde, habe das KUD den großen westdeutschen Zeitungsredaktionen ein zur Veröffentlichung bestimmtes Manuskript zur Verfügung gestellt und außerdem angekündigt, weiteres geeignetes Material zu übersenden. Vom KUD seien spezielle Maßnahmen angekündigt worden, um die vorhandene Uninteressiertheit der westdeutschen Bevölkerung zu überwinden. In diesem Zusammenhang sei hervorgehoben worden, dass aufgrund der »politischen und ökonomischen Schwierigkeiten« der DDR der Zeitpunkt für größere Hetzaktionen (u. a. auch im Ausland) jetzt besonders günstig sei.
Nach der Information einer zuverlässigen Quelle verfolge auch Bundesminister Barzel5 die Absicht, etwa eine Woche vor dem 17.6. in Westberlin eine von seinem Ministerium vorbereitete große Pressekonferenz durchzuführen und dort einen »Situationsbericht« über die Lage in der DDR zu geben. Das Ziel sei, in den Tagen unmittelbar vor dem 17.6. eine große Pressekampagne zur »Charakterisierung« der Verhältnisse in der DDR zu starten. In Presseagenturmeldungen war darauf hingewiesen worden, dass auch eine stärkere Einschaltung der westdeutschen und Westberliner Rundfunk- und Fernsehstationen in die Hetzkampagne um den 17.6. vorgesehen sei. Wie festgestellt wurde, verbreiten die Westsender schon seit einigen Wochen im verstärkten Umfang Hetzparolen um die sogenannten politischen Gefangenen, teilweise unter Hinweis auf die vom KUD bzw. über den DGB/IBFG eingereichten Beschwerden bei UNO-Kommissionen, auf Forderungen der sogenannten Häftlingsorganisationen nach »Befreiung der politischen Gefangenen« usw.
Wie in den Vorjahren hat das KUD auch in diesem Jahr den Verbänden, Parteien und Organisationen empfohlen, gemeinsame Feiern und Veranstaltungen durchzuführen.
Als eine der wichtigsten Maßnahmen werden vom KUD auch in diesem Jahr die sogenannten Stafetten von der Nord-, West- und Südgrenze Westdeutschlands zur Staatsgrenze der DDR angesehen. Die Stafetten, an denen sich 50 000 Jugendliche beteiligen würden, würden 90 Landkreise sowie 650 Städte und Gemeinden berühren. Der Stafettenlauf ist mit zahlreichen Hetzveranstaltungen in verschiedenen Städten und Gemeinden (sogenannten Zwischenstationen) verbunden. Er erfolgt wieder in fünf großen Staffelsäulen. Nach vorangegangener Vereinigung verschiedener Stafetten sollen Endpunkte, an denen große Hetzkundgebungen veranstaltet werden sollen, sein:
- –
Lübeck-Eichholz,
- –
Tettenborn/Harz,
- –
Neustadt bei Coburg,
- –
Rasdorf bei Fulda.
Von Hannover soll nach einer vorangegangenen Hetzkundgebung in Offleben (in den Abendstunden des 16.6.) wieder ein »Mahnfeuer« nach Westberlin geflogen werden.
Außerdem soll am 17.6. dicht an der Staatsgrenze West auf dem sogenannten Geiernest im Frankenwald mit großem propagandistischem Aufwand ein neuer Grenzturm eingeweiht werden.
Nach einem Vorschlag des KUD sollen an den Universitäten und Hochschulen Feiern mit Teilnahme ausländischer Studenten durchgeführt werden.
Wie eine zuverlässige Quelle berichtete, sei im DGB-Bundesvorstand darüber diskutiert worden, am 17.6.1963 eventuell eigene Veranstaltungen durchzuführen. Anlass zu diesen Überlegungen sei die erwartete Aktivität der Landsmannschaften gewesen. Man habe sich dann jedoch darauf geeinigt, die Veranstaltungen des KUD zu unterstützen und Entgleisungen zu unterbinden. Inzwischen haben der DGB-Bundesvorstand bzw. die DGB-Landesbezirksvorstände die ihnen jeweils nachgeordneten Gremien in einem Rundschreiben aufgefordert, sich an den Veranstaltungen des KUD zu beteiligen bzw. dort, wo es keine Ortskuratorien gibt, selbst Veranstaltungen zu organisieren. Gleichzeitig wurde im Rundschreiben des DGB-Bundesvorstandes dazu aufgefordert, beim »Organisationsbüro Unteilbares Deutschland« in Westberlin (Berlin-Charlottenburg, Straße des 17. Juni Nr. 112/Ernst-Reuter-Haus) Abzeichen und Plakate zu bestellen. In diesem Jahr wird ein gegenüber den Vorjahren nur wenig verändertes Brandenburger-Tor-Abzeichen verkauft.
Nach Mitteilung des Geschäftsführenden Vorsitzenden des KUD und nach offiziellen Meldungen werden u. a. Vizekanzler Erhard6 in Westberlin, Adenauer7 in Bonn, Lübke8 in München (Universität), Ollenhauer9 in Karlsruhe, Wehner10 in Hamburg, Justizminister Bucher11 in Bad Godesberg, Mende12 in Frankfurt (Paulskirche) und der nordrhein-westfälische Innenminister Meyer13 in Aachen am 17.6. als Redner auftreten.
Außerdem wolle Adenauer am 16.6. auf einer Kundgebung, die als Höhepunkt der Bundestagung der Landsmannschaft Ostpreußen (vom 15.6. bis 16.6. in Düsseldorf) angesehen wird, referieren.
Nach Angaben des KUD seien zum 17.6. in den Städten und Gemeinden Westdeutschlands rund 10 000 Veranstaltungen vorgesehen.
Bekanntlich will das KUD die Hetzveranstaltungen am 16./17.6. dazu benutzen, über drei Entschließungen offen abzustimmen und das Ergebnis in einer Denkschrift zusammenfassen. Diese Denkschrift soll Kennedy14 während seines Westberlin-Besuches sowie dem UNO-Generalsekretär und den Botschaftern der Westmächte überreicht werden.
In den Entschließungen soll gefordert werden,
- –
in der DDR und in Westdeutschland unter internationaler bzw. UNO-Kontrolle Volksabstimmungen zur Klarlegung des »Willens« des Volkes über »Einheit und Freiheit« durchzuführen,
- –
die Menschenrechte in der DDR zu gewährleisten und die sogenannten politischen Gefangenen zu entlassen,
- –
eine internationale Beobachtergruppe aus Vertretern humanitärer Organisationen auf beiden Seiten der Staatsgrenze, vor allem in Berlin, einzusetzen,
- –
von Bundespräsident Lübke und vom KUD erging auch die Aufforderung, dass am 17.6. öffentliche Gebäude, Betriebe und Wohnhäuser flaggen müssten.
Wie in den Vorjahren werden in Westberlin auch in diesem Jahr die Vorbereitungen am intensivsten betrieben. Von führenden Westberliner Kreisen wurde gefordert, Westberlin zum Schwerpunkt für die Organisierung von Hetzveranstaltungen zu machen. Vom Senat wurde zur Vorbereitung der Veranstaltungen eine Kommission gebildet.
Zu den geplanten Veranstaltungen, die etwa den gleichen Verlauf wie in den Vorjahren nehmen sollen, kommen das sogenannte Bundestreffen der Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg vom 13. bis 17.6. und die Bundesdelegiertentagung des »Gesamtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge« vom 14. bis 16.6. mit anschließender Beteiligung der Teilnehmer an den Veranstaltungen am 17.6. hinzu.
Vorgesehen sind in Westberlin
- –
die Aufstellung von Ehrenwachen und Kranzniederlegungen an den sogenannten Gedenkstätten für die Opfer des 17. Juni sowie an dem »Peter-Fechter15-Ehrenmal« (mit Beteiligung von Vertretern aller westdeutschen DGB-Landesbezirke);
- –
Feierstunden der Schuljugend am Vormittag des 17.6.1963 und teilweise ihr anschließender Einsatz zum Verpacken von Päckchen, die zum Versand in die DDR bestimmt sind;
- –
die Großkundgebung auf dem Rudolf-Wilde-Platz, die zwischen 18.45 Uhr und 19.00 Uhr beginnen soll und für die Erhard, Brandt,16 Bach17 und ein Jugendvertreter als Redner vorgesehen sind;
- –
ein Fackelzug zum Kreuzberg im Anschluss an diese Kundgebung mit dem DGB-Vorsitzenden Rosenberg18 als Redner der Abschlussveranstaltung auf dem Kreuzberg.
Vom Bundestreffen der sogenannten Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg wird in diesem Zusammenhang bekannt, dass zu den Großveranstaltungen mit etwa 8 000 bis 10 000 Teilnehmern, darunter ca. 3 000 bis 4 000 Jugendliche aus Westdeutschland, gerechnet wird. Brandt, Krone19 und Barzel hätten ihre zeitweilige Teilnahme zugesagt. Zu den vorgesehenen Veranstaltungen dieser Landsmannschaft gehören die Bundesdelegiertentagung der Jugendorganisation, verschiedene Arbeitstagungen, Sitzungen der Landesvorstände und verschiedener Landesfunktionäre, Gedenkkundgebungen, ein sogenanntes Großtreffen usw.
Die Bonner Minister Barzel und Mischnik20 hätten auch eine zeitweilige Teilnahme an der Tagung des »Gesamtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge« zugesagt.
Von Barzel wurde außerdem gefordert, dass am 17.6. führende Persönlichkeiten Westdeutschlands und des westlichen Auslandes nach Westberlin kommen müssten.
Nach einer internen Information sollen revanchistische Organisationen geplant haben, für den 17.6. Busfahrten von Westdeutschland nach Westberlin zu organisieren. Ihre Finanzierung würde größtenteils vom Bundesvertriebenenministerium übernommen.
In bekannt gewordenen Äußerungen wurde unter Hinweis auf den späten Beginn der Großkundgebung auf dem Rudolf-Wilde-Platz auf die Möglichkeit hingewiesen, dass es nach Abschluss der Kundgebung noch zu »Demonstrationen zur Mauer« kommen könnte.
Die »Vereinigung 17. Juni«21 habe, wie ebenfalls intern berichtet wurde, Vorbereitungen für die Einschleusung von Hetzschriften mit Ballons in das demokratische Berlin22 getroffen. Außerdem sollen die Mitglieder dieser Organisation am 16.6. und 17.6. Hetzschriften zur Beeinflussung der Grenzsicherungskräfte »über die Mauer werfen«.
Entsprechend einem Beschluss des Westberliner Landeskuratoriums sollen vor und am 17.6. Postkarten »Jugend sieht Deutschland« vertrieben und Plakate mit dem Titel »Sie opferten ihre Freiheit« in Westberlin geklebt werden.
Von der »Vereinigung politischer Häftlinge«23 war vorgeschlagen worden, anlässlich des 17.6. eine internationale an die Regierung der DDR gerichtete Postkartenaktion mit der Forderung nach Freilassung der »politischen Gefangenen« zu organisieren.
Zu weiteren geplanten Aktionen gehören u. a. die vom KUD vorgesehene verstärkte Einschleusung von Hetzflugblättern mit Ballons sowie die Einschleusung von Hetzbroschüren in die DDR und die Verteilung sogenannter Handzettel des KUD durch Jugendliche an den Grenzkontrollpunkten zur DDR und zum westlichen Ausland.24
Weiter berichtet eine zuverlässige Quelle, dass der DGB-Bundesvorstand in einem vorliegenden Vorschlag für ein Flugblatt, das am 17.6. herausgebracht werden soll, als »Sprecher aller deutschen Arbeitnehmer beiderseits der Zonengrenze« eine Reihe von Sofortmaßnahmen fordern will. Zu diesen Forderungen gehören die »Wiederherstellung der Freizügigkeit« für alle Arbeitnehmer und ihre Familien in der DDR, die Wiederherstellung des freien Reiseverkehrs, Haftentlassungen, Wiederherstellung der Rechte der Arbeitnehmer, Auflösung der Kontrollposten, Verhinderung von Lohnrückstufungen und Zwangsentlassungen (die soziale Sicherstellung sei wichtiger als die Produktivität des Betriebes), die Festsetzung garantierter Mindestlöhne, die Erweiterung des Arbeitsschutzes und Verlängerung des Mindesturlaubs, die Unterbindung zusätzlicher Leistungsforderungen außerhalb der Arbeitszeit, die Beschränkung der Aufgaben der Konfliktkommissionen, die Sicherung der freien Berufswahl, Arbeitszeitverkürzungen und die Erhöhung der Renten – alles einseitig gegen die DDR gerichtete Forderungen.
Vom BDA-Präsidenten Paulssen,25 dem DGB-Vorsitzenden Rosenberg und Prof. Heimpel26 (Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte) wird ein Fonds »Selbstbestimmung« geleitet, in den anlässlich des 17.6. Spenden eingezahlt werden sollen.
Die VOS27 hat ihre Mitglieder ebenfalls zu einer »Spende 17. Juni« aufgerufen und erklärt, dass diese Spenden Grenzgeschädigten in Berlin zur Verfügung gestellt werden sollen.
Offensichtlich in Auswirkung der Aufforderung Barzels an die westdeutsche und Westberliner Bevölkerung, anlässlich des 17.6. im verstärkten Umfang Pakete und Päckchen in die DDR zu schicken, wurden intern zahlreiche Beispiele bekannt, wo an westdeutschen Schulen (u. a. in Hessen mit Unterstützung des Kultusministeriums) Versuche unternommen werden, Schüler für den Versand von Päckchen, für ihre Verpackung bzw. für die Aufbringung der erforderlichen Mittel zu gewinnen.
In der DDR einschließlich des demokratischen Berlin konnten bis jetzt noch keine ernsthaften Anzeichen für die Vorbereitung bestimmter Aktionen festgestellt werden.
Eine auf Postämtern im demokratischen Berlin, Halle und Dresden überwiegend am 27.5. aufgegebene Hetzschrift mit dem Titel »Nr. 3 – Gesamtdeutsche Blätter – Mai 1963« wurde offensichtlich, wie aus ihrer Aufmachung, Abfassung und aus der Verwendung einer westdeutschen Schreibmaschine hervorgeht, von Westberlin aus in die DDR eingeschleust. Um festzustellen, ob Helfer aus der DDR an dieser Hetzaktion mitgewirkt haben (Transport nach Halle und Dresden sowie Aufgabe bei der Post), wurden entsprechende Ermittlungen eingeleitet. Die Hetzschrift wurde auf einem Vervielfältigungsapparat abgezogen. Die Empfänger der Hetzschrift werden darin an den 17. Juni erinnert und aufgefordert, »passiven Widerstand« zu leisten, da dieser Weg erfolgreicher sei als ein Aufstand. Weiter wird gefordert, mit Freunden politische Aussprachen zu führen, von den »noch zustehenden Rechten« Gebrauch zu machen und das Hetzblatt weiterzugeben. Die Hetzschriften wurden, neben einigen wenigen in Dresden aufgetauchten Exemplaren, vor allem an Empfänger im demokratischen Berlin (Ingenieure, Ärzte, Kulturschaffende, Journalisten usw.) und im Bezirk Halle gesandt. Die Adressen sind offensichtlich Telefonbüchern entnommen.
Wie bereits angeführt, nahm das Tauziehen in Westdeutschland und Westberlin um die Gestaltung des 17. Juni in diesem Jahr größere Ausmaße als in den Vorjahren an.
Von den vielen, zum Teil aus der Westpresse bekannten Standpunkten soll hier nur auf einige, die jeweilige Richtung charakterisierende Auffassungen hingewiesen werden.
Besonders große Diskussionen wurden durch die voneinander nur unwesentlich abweichenden Forderungen des BDI, des BDA-Präsidenten Paulssen, Oberländers,28 des »Bundes der Vertriebenen« usw., am 17.6. zu arbeiten und den Erlös mit einem entsprechenden Unternehmeranteil einer sogenannten nationalen Stiftung zuzuführen, ausgelöst. SPD-Vertreter, der DGB, Vertreter anderer Parteien und Organisationen usw., wandten sich gegen diesen Vorschlag.
Dr. Gradl29 führte dazu aus, dass eine Abschaffung des Feiertages einer »moralischen Bankrott-Erklärung« gleichkäme. Gradl schlug vor, in Zukunft jeweils in einem Bundesland, von Jahr zu Jahr wechselnd, eine große repräsentative Massenveranstaltung mit Teilnahme der führenden Politiker durchzuführen.
Breit diskutiert wurde auch die Forderung der Studenten beider Westberliner Universitäten, denen sich die Erlanger Studentenschaft angeschlossen hatte, am 17.6. den Vorlesungsbetrieb auf der Grundlage einer freiwilligen Bereiterklärung normal durchzuführen, verbunden mit kurzen Gedenkstunden.
Der Westberliner Landesjugendring wandte sich gegen die Ausnutzung des 17. Juni für Interessen einzelner Verbände und Organisationen.
Den 17. Juni zu einem »Tag der politischen Gefangenen« zu gestalten, forderte die »Vereinigung politischer Häftlinge«.
Von verschiedenen bekannt gewordenen Erklärungen bzw. Äußerungen, in denen eingestanden wurde, dass diese Diskussionen aufgrund der Uninteressiertheit der Bevölkerung und des Rückganges der Teilnehmerzahlen überhand genommen hätten, wird auf eine Erklärung des SPD-Landesausschusses Westberlin und des Westberliner SPD-Vorsitzenden Mattick30 hingewiesen. (Dieser Tag würde von der Bevölkerung nicht genügend gewürdigt.)
Im weiteren Verlauf der Diskussionen standen dann die Forderungen im Mittelpunkt, den 17. Juni als »stillen Feiertag« zu begehen. Nachdem sich inzwischen führende Vertreter aller Bonner Parteien für eine solche Lösung ausgesprochen haben und schon in diesem Jahr in verschiedenen Ländern entsprechende Beschlüsse gefasst wurden, kann angenommen werden, dass sich diese Linie durchsetzen wird.
Vom MfS wurden entsprechende politisch-operative Maßnahmen im Hinblick auf die gegnerischen Pläne zum 17. Juni eingeleitet.
Vor einer publizistischen Auswertung dieser Information ist es im Interesse der Sicherheit der Quellen erforderlich, mit uns Rücksprache zu nehmen.