Zum Verlauf der Passierscheinerteilung an Westberliner, 7. Bericht
27. Dezember 1963
7. Bericht Nr. 802/63 über den Verlauf der Maßnahmen zur Passierscheinerteilung und über die Einreise Westberliner Bürger in das demokratische Berlin
Über die Erteilung von Anträgen und die Ausgabe von Passierscheinen1 sowie über die Ein- und Ausreise Westberliner Bürger (in den letzten drei Tagen2) liegen bis jetzt folgende Angaben vor:
Am 24.12. wurden 147 250 Antragsformulare mit nach Westberlin genommen. Davon wurden am 24.12. 65 173 ausgegeben. Unbeschrieben zurückgebracht wurden 82 077.
Insgesamt wurden vom 18.12. bis 24.12. 531 913 Antragsformulare ausgegeben. Am 24.12. wurden 74 391 Anträge gestellt und genehmigt, auf denen 142 767 Personen und 16 886 Kfz erfasst sind.
Insgesamt wurden vom 18. bis 24.12. 335 014Anträge gestellt und genehmigt, auf denen 673 628 Personen und 80 552 Kfz erfasst sind.
Das bedeutet, dass 196 899 Antragsformulare
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sich noch in Westberlin befinden,
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nach Aushändigung an Westberliner Bürger verlorengingen,
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verschrieben und vernichtet wurden oder für ungültig erklärt werden mussten.
Bis zum 24.12. wurden insgesamt 249 298 Passierscheine ausgegeben.
Seit dem 18.12. genehmigte Passierscheine (einschließlich 577 inzwischen verfallener Passierscheine) wurden noch nicht abgeholt: 11 325.
Am 28.12. sind neu genehmigte Passierscheine auszugeben: 74 391. Insgesamt: 335 014.
Nach den bisher ausgegebenen bzw. heute noch auszugebenden Passierscheinen ist am 27. und 28.12. mit folgenden Einreisen Westberliner Bürger zu rechnen:
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27.12.: 25 722 Personen, 3 099 Kfz,
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28.12.: 70 502 [Personen], 8 491 [Kfz].
In den bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt für den 29.12. genehmigten Passierscheinen sind 120 382 Personen und 14 869 Kfz erfasst.
Während der Weihnachtsfeiertage besuchten insgesamt 125 994 Westberliner Bürger mit 13 265 Kfz das demokratische Berlin.3 Davon am
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24.12.: 10 822 Personen mit 1 192 Kfz,
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25.12.: 57 851 [Personen mit] 5 810 [Kfz],
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26.12.: 57 321 [Personen mit] 6 263 [Kfz].
Damit haben bisher insgesamt 163 644 Westberliner Bürger mit Passierscheinen die Hauptstadt der DDR besucht.
Trotz der hohen Zahl der Ein- und Ausreisenden kam es an den KPP zu keinerlei nennenswerten Stauungen des Fußgängerverkehrs.
Die Schwerpunktzeiten der Einreise lagen zwischen 8.00 und 9.00 Uhr.
Während der Ausreise mussten in der Zeit von 22.00 Uhr bis 0.45 Uhr ca. 86 % aller Besucher abgefertigt werden.
Zeitweise Stauungen entstanden bei der Abfertigung der mit Pkw Ausreisenden in dieser Zeit, die aber in Anbetracht der großen Zahl der Pkw und der unbedingten Gewährleistung der notwendigen Kontrolle als normal angesehen werden müssen.
Besondere Vorkommnisse oder Provokationen gab es in diesem Zusammenhang nicht.
Die meisten Passierscheinstellen wurden am 24.12. bereits 20 bis 30 Minuten vor 10.00 Uhr geöffnet. (Sie konnten im Wesentlichen auch pünktlich 15.00 Uhr geschlossen werden/Schöneberg 15.50 Uhr.)
In einigen Bezirken waren alle Wartenden – ihre Zahl betrug zwischen ca. 500 und 1 500 – in den Schulräumen untergebracht. In einigen Passierscheinstellen (Spandau, Kreuzberg und Wilmersdorf) ergaben sich im Verlaufe der Abfertigung am 24.12. keine Wartezeiten mehr. Die Abfertigung verlief zügig und im Wesentlichen reibungslos. Ein größerer Andrang herrschte teilweise bei der Passierscheinausgabe, der jedoch durch die erfolgte Umgruppierung der Kräfte gut bewältigt werden konnte.
Die Antragsteller wurden nach den ausgegebenen Kontrollmarken abgefertigt. Einige Bezirke meldeten, dass am 24.12. keine neuen Kontrollmarken für den 27.12. verteilt wurden.
Wie an den Vortagen wurden auch am 24.12. in einigen Bezirken von Vertretern der Großbetriebe Anträge entgegengenommen bzw. Passierscheine abgeholt. Auch Angehörige der Westberliner Polizei nahmen in mehreren Passierscheinstellen wieder Anträge in Empfang. Ein Westberliner Polizist am KPP Sonnenallee berichtete unseren Kurieren, dass er und sechs seiner Kollegen bereits das demokratische Berlin besucht hätten. Von ihrer Dienststelle seien ihnen dabei keine Schwierigkeiten bereitet worden, da man ja nicht mehr das Jahr 1961 schreibe.
In Steglitz nahm ein Antragsteller des Senats im Auftrage des Senats 20 Anträge in Empfang.
Der Einsatz der Kräfte wurde von allen Passierscheinstellen am 24.12. als ausreichend eingeschätzt. Die eingesetzten neuen Mitarbeiter fügten sich gut in den Arbeitsablauf ein. Nach Feststellungen in der Passierscheinstelle Schöneberg lassen die dortigen Räumlichkeiten eine weitere Verstärkung der Kräfte nicht zu. Die Postangestellten4 der DDR zeigten auch am 24.12. gute Disziplin und Einsatzbereitschaft.
Wie bereits an den Vortagen wurden weitere Störversuche und Mängel in der Organisation seitens der Westberliner Behörden festgestellt.
In Neukölln wurde die Abfertigung z. B. dadurch verzögert, dass die Ordner die Wartenden nicht kontinuierlich in den Abfertigungsraum schleusten. In Kreuzberg erhielten die Antragsteller beim Ausfüllen der Anträge keine Hilfe mehr durch die Westberliner Postangestellten. Diese Postangestellten standen gruppenweise im Abfertigungsraum und unterhielten sich.
Vor der Passierscheinstelle in Neukölln gab die Westberliner Polizei die falsche Orientierung, dass es angeblich keine Anträge mehr gäbe. (Nach Protest des Leiters der Einsatzgruppe erfolgte ein Widerruf.) Auch in Kreuzberg habe – nach Mitteilung eines Antragstellers – ein Vertreter des Senats erklärt, dass keine Passierscheine am 24.12. mehr ausgegeben würden.
In mehreren Fällen wurden am 24.12. Senatsfahrzeuge für Kurierfahrten verweigert, sodass die Kuriere gezwungen waren, ihre Fahrten im Wagen der Kriminalpolizei durchzuführen. Für den Transport unserer Einsatzkräfte nach Charlottenburg wurden nicht ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. Die Fahrt zur Passierscheinstelle Wilmersdorf erfolgte wiederum ohne Begleitfahrzeug. Nach Auskunft des Fahrers sei dies auf Weisung des Senats geschehen, um angeblich Benzin zu sparen. Angehörige der Westberliner Polizei erklärten dem Kurier auf seiner Fahrt nach Wilmersdorf, dass die Westberliner Polizei andere Aufgaben zu lösen habe, sie selbst »die Angelegenheit satt hätten« und die Westberliner Post ihre Aufgaben übernehmen solle.
Der Westberliner Verantwortliche für die Organisation in Tempelhof musste am 24.12. von den DDR-Angestellten dazu aufgefordert werden, Frauen mit Kleinkindern bevorzugt abfertigen zu lassen, da es unter diesen Frauen zu Missstimmung gekommen war. Es musste auch mehrfach darauf hingewiesen werden, die vor der Passierscheinstelle wartenden Westberliner Bürger in die zum Teil leeren Schulzimmer einzulassen.
In Charlottenburg wurde von Westberliner Postangestellten gegenüber Wartenden erklärt, dass bei nicht ordnungsgemäßer Ausfüllung eines Antrags kein neuer Antrag ausgegeben werde. Sie wurden auf diese falsche Darstellung hingewiesen.
Der Sonderdienst des RIAS wirkte ebenfalls wieder desorientierend. So wurde z. B. mitgeteilt, dass in der Passierscheinstelle Reinickendorf eine sofortige Abfertigung erfolgen könne, obwohl gerade in diesem Bezirk der Andrang besonders stark war und rund 50 Personen ihre Anträge nicht mehr abgeben konnten. Der Leiter der DDR-Einsatzgruppe legte beim Verantwortlichen des Senats Beschwerde über diese Falschmeldung ein und forderte, bei Mitteilungen dieser Art vorher konsultiert zu werden.
Aus Reinickendorf wurde weiter gemeldet, dass weniger Westberliner Hilfskräfte eingesetzt waren als an den Vortagen und es deshalb bei der Entgegennahme von Anträgen zu Verzögerungen kam.
In Kreuzberg führte eine auf Initiative der DDR-Angestellten erfolgte Rundfunkdurchsage dazu, dass die Ausgabe der für die Weihnachtsfeiertage bestimmten und noch nicht abgeholten Passierscheine beschleunigt wurde.
Allgemein kann eingeschätzt werden, dass bei einem geringer werdenden Andrang die in den Passierscheinstellen eingesetzten Westberliner Angestellten verstärkt versuchen, Kontakte mit den Postangestellten der DDR anzuknüpfen. Alle diese Versuche sowie Bestrebungen, politische Diskussionen herbeizuführen, wurden höflich und bestimmt zurückgewiesen. So wurde z. B. in Wedding eine provozierende Äußerung eines Senatsangestellten namens [Name] zurückgewiesen, ohne näher darauf einzugehen. [Name] hatte geäußert, die Schutzmaßnahmen vom 13.8. seien »unnötig«.
Auch am 24.12. wurden weitere Versuche, DDR-Angestellte nach ihren Personalien usw. auszufragen, festgestellt. So befragte z. B. der verantwortliche Leiter der eingesetzten Westberliner Kriminalpolizisten in Schöneberg den Leiter der Passierscheinstelle nach seinem Heimatort, erhielt jedoch keine Auskunft. Eine Zivilperson, die sich als Angestellter der Störungsstelle der Post ausgab, fragte in der Passierscheinstelle Wilmersdorf die DDR-Angestellten nach ihren Posträngen. Die Frage wurde exakt beantwortet.
Eine Zivilperson, die am 23.12. einen DDR-Angestellten nach seiner Adresse gefragt hatte, hielt sich am 24.12. erneut in der Passierscheinstelle Charlottenburg auf, ohne jemanden anzusprechen. Ein Westberliner Kriminalpolizist befolgte die Aufforderungen seitens der DDR-Angestellten, diese Person aus dem Raum zu weisen, und erklärte, es habe sich um einen Gewerkschaftsvertreter gehandelt.
Eine Vereinbarung, dass von offizieller Westberliner Seite den DDR-Angestellten keine Weihnachtsgeschenke gemacht werden sollen, wurde im Wesentlichen befolgt. Angebote des Wilmersdorfer Bezirksbürgermeisters, der am 24.12. die Ausgabestelle besuchte, und der Westberliner Einsatzkräfte in Tempelhof wurden zurückgewiesen. Weihnachtsgeschenke von Westberliner Bürgern wurden – wie festgelegt – an den Arbeitstischen zurückgelassen oder an Westberliner Hilfskräfte bzw. Kinder verteilt.
In der Ausgabestelle Tempelhof wurden besondere Erkennungszeichen der Westberliner Polizeiangehörigen festgestellt (Stecknadeln am Rockaufschlag mit verschiedenfarbiger Kuppe an verschiedenen Tagen).
In Schöneberg wurden Reporter des RIAS zurückgewiesen, die an die Arbeitstische der DDR-Angestellten heranzukommen versuchten.
Die Haltung und Stimmung der Westberliner Bevölkerung zur Passierscheinausgabe und gegenüber den Postangestellten der DDR war weiterhin positiv.
In Neukölln distanzierten sich Angestellte von den Meldungen der Westpresse über zu lange Wartezeiten. Es wurden erneut mehrere Beispiele bekannt, wo sich Westberliner Bürger lobend über die Arbeit der DDR-Angestellten aussprachen. Offensichtlich hat die positive Stimmung unter den Westberliner Bürgern mit dazu beigetragen, die Postangestellten der DDR in ihrer Überzeugung von der politischen Bedeutung ihrer Aufgabe noch zu stärken.
Sowohl unter Westberlinern als auch unter DDR-Bürgern gibt es offensichtlich noch Unklarheiten in der Frage des Betretens des Grenzgebietes. In dieser Woche mussten in einigen Fällen Westberliner Bürger aus dem Grenzgebiet, das sie unkontrolliert betreten hatten, verwiesen werden. Diese Westberliner Bürger, die erklärten, über die bestehende Anweisung nicht informiert zu sein, sich in wenigen Fällen aber auch auf Auskünfte der DDR-Angestellten beriefen, folgten bereitwillig den Aufforderungen der Grenzsicherungskräfte.
In diesem Zusammenhang wird auch auf weitere bekannt gewordene negative Äußerungen von DDR-Bürgern im Grenzgebiet hingewiesen (Benachteiligung, Forderung nach einer Änderung der Bestimmungen usw.).
Außerdem gibt es Beispiele und Anzeichen dafür, dass Bürger aus den Bezirken der DDR in die Hauptstadt der DDR einreisten, um sich hier mit Westberliner Verwandten zu treffen.