2. Bericht über die Aktion »Freundschaft«
17. Mai 1964
2. Bericht Nr. 396/64 [über die] Aktion »Freundschaft«
1. Pläne und Maßnahmen westlicher Zentralen
Die vorliegenden neuen Informationen über Pläne und Vorbereitungen feindlicher Zentralen zur Störung des Deutschlandtreffens1 bzw. zu seiner Ausnutzung für feindliche Handlungen gehen nicht wesentlich über die bereits berichteten Einzelheiten hinaus. Es gibt auch keine wesentlich neuen Gesichtspunkte für das Wirksamwerden dieser feindlichen Absichten.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz interessierte sich weiterhin für die westdeutschen und Westberliner Teilnehmer. Seine Agenten haben den Auftrag festzustellen, wer an welchen politischen Veranstaltungen teilnimmt. Für die Mitarbeiter des Westberliner Landesamtes für Verfassungsschutz wurde während der Pfingstfeiertage Dienst angeordnet. Angeblich sei damit zu rechnen, dass die SED Westberlins Sympathiekundgebungen zum Deutschlandtreffen veranstaltet bzw. organisiert.
Nach Äußerungen eines Westberliner Polizeiangehörigen werde die Alarmbereitschaft der Westberliner Polizei sehr streng durchgeführt. Es werde damit gerechnet, dass durch die Zusammenballung vieler Jugendlicher während der Pfingsttage Zwischenfälle entstehen könnten. Deshalb seien die Polizeiangehörigen in den Dienststellen zusammengezogen worden, müssten sie ständig in den Dienststellen verbleiben und ihr Dienst sei in einen sogenannten 24-Stunden-Betrieb eingeteilt worden.
Wie weiter intern bekannt wurde, habe der Leiter des Reuters-Büros in der Hauptstadt der DDR F. Forsyth2 von der Reuters-Redaktion in Bonn den Auftrag erhalten, dem Deutschlandtreffen besondere Beachtung zu schenken. Er soll an verschiedenen Aussprachen teilnehmen, um die politischen Meinungen westdeutscher Teilnehmer am Deutschlandtreffen zu erforschen. Von der gleichen Quelle wurde bekannt, dass amerikanische und britische Sonderkorrespondenten von Westdeutschland aus nach Berlin gereist wären. Sie hätten keine besonderen Aufgaben zu erfüllen, sondern sollen allgemein über das Deutschlandtreffen berichten.
Die bisher berichteten Einzelheiten über die Instruierung und Schulung westdeutscher Teilnehmer am Deutschlandtreffen wurden durch weitere Informationen bestätigt, ohne dass dabei wesentlich neue Gesichtspunkte festzustellen waren.
Ergänzend zu den bereits bekannten Einzelheiten insbesondere über Westberliner Pläne und Maßnahmen zur politisch-ideologischen Einflussnahme auf Jugendliche aus der DDR wurde bekannt, dass für den organisierten, zielgerichteten Einsatz in der Hauptstadt der DDR nur im westlichen Sinne »zuverlässige« Personen ausgesucht und für ein entsprechendes Auftreten in der Hauptstadt der DDR verpflichtet wurden. Außerdem seien heute Kräfte aus Westdeutschland erwartet worden, die an Schulungen in Bergneustadt, in Schleswig-Holstein und in Nürnberg teilgenommen haben.
Es wurden auch weitere zahlreiche Beispiele der versuchten und durchgeführten Kontaktaufnahme mit DDR-Teilnehmern am Deutschlandtreffen und anderen DDR-Bürgern festgestellt. Bei einer beträchtlichen Anzahl der aus Westdeutschland eingereisten Gruppen ist dabei nach wie vor die Absicht zu erkennen, auf Tagesaufenthaltsgenehmigungen in die Hauptstadt der DDR einzureisen. Eine besondere Aktivität entwickelten offensichtlich kirchliche Organisationen und Gemeinschaften. Die Tatsache, dass Gruppen und auch Einzelpersonen, die auf kirchlicher Ebene Kontakte anstreben, in einer Reihe von Fällen an den Grenzübergangsübergängen erwartet und abgeholt wurden, lässt auf ein planmäßiges und gut vorbereitetes Vorgehen schließen.
Nach vorliegenden internen Informationen haben zahlreiche Westberliner Stellen, die sich mit Jugendfragen beschäftigen, während der Zeit des Deutschlandtreffens Bereitschaft. Dazu gehören auch entsprechende Senatsdienststellen, das Senatspresseamt und das sogenannte Informationszentrum. Die Jugendämter in den Bezirksämtern seien dagegen geschlossen. Als gewisses Westberliner Lenkungsorgan trete vor allem der Senator für Jugend und Sport mit seiner Senatsverwaltung in Erscheinung. Einen Bereitschaftsdienst haben auch verschiedene Organisationen eingerichtet. Wie auf einer Funktionärstagung der Westberliner SPD bekannt gegeben wurde, unterhält die Westberliner SPD seit dem 16.5. täglich von 9.00 bis 17.00 Uhr einen ständigen Bereitschaftsdienst im Haus des Landesvorstandes in der Müllerstraße.
Auf der SPD-Funktionärstagung sei über die Frage, ob im Falle von Demonstrationen der FDJ nach oder in Westberlin der Einsatz von Polizei oder Diskussionskräften zweckmäßiger sei, keine Einigung erzielt worden. Für den Fall, dass Delegierte aus sozialistischen Ländern nach Westberlin kommen, sei am Checkpoint Charlie von der Organisation »Weltweite Partnerschaft« eine Kontaktstelle3 eingerichtet worden, besetzt mit Personen, die Fremdsprachen beherrschen.
Weiter wurde berichtet, dass die in den Kontaktstellen usw. eingesetzten Westberliner Kräfte gleichzeitig die Aufgabe haben, vom Deutschlandtreffen beeinflusste westliche Teilnehmer ideologisch wieder »zurecht zu biegen«.
In diesem Zusammenhang verdienen mehrere vorliegende Hinweise Beachtung, nach denen in Westberlin eine verhältnismäßig umfangreiche Propaganda (Verteilung von Einladungen) für die am 17.5. im Studentenhaus am Steinplatz stattfindende provokatorische Hetzkundgebung »gegen die Mauer« betrieben wird. (Die bereits am 16.5., 10.30 Uhr, stattgefundene Veranstaltung im Studentenhaus mit dem Renegaten Fritz Schenk4 als Redner soll, einer vorliegenden Information zufolge, nur von 63 Personen besucht gewesen sein.)5
Inzwischen liegen auch Exemplare der vom sogenannten Informationszentrum in Westberlin und von Senator Neubauer herausgegebene sogenannten Merkblätter vor. Das vom sogenannten Informationszentrum herausgegebener Merkblatt enthält u. a. die »Empfehlung« an westdeutsche Westberlinbesucher zwecks Beschaffung einer Unterkunft zu den Messehallen am Funkturm zu fahren. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Informationsquelle für Auskünfte zur Verfügung stehe und dort die Möglichkeit bestünde, Gespräche mit jungen Bundestagsabgeordneten usw. zu führen. In den von Senator Neubauer6 herausgegebenen »Merkblättern« werden vor allem die bekannten Parolen über die westlichen Forderungen nach voller »Bewegungsfreiheit« in ganz Berlin und der angeblichen Freizügigkeit in Westberlin aufgestellt. Außerdem werden Hinweise für das Betreten des demokratischen Berlin gegeben (Möglichkeiten für das Mitführen von Geschenken, Geldbeträgen, Geldumtauschverhältnisse, Grenzübergänge usw.).
Am Otto-Suhr-Institut7 der sogenannten FU wurden außerdem die anlässlich des Deutschlandtreffens hergestellten »Hochschul-Informationen der Zentralstelle für gesamtdeutsche Hochschulfragen«8 (ehemaliges »gesamtdeutsches« Referat des VDS) ausgelegt. In diesen Zeitschriften werden u. a. Vergleiche mit früheren Deutschlandtreffen in der Hauptstadt der DDR angestellt, verbunden mit der Behauptung, die SED habe mit bisherigen Deutschlandtreffen die gestellten Ziele nicht erreicht. Zum diesjährigen Deutschlandtreffen werde besonderer Wert auf die Beeinflussung der westdeutschen Jugend gelegt.
In der feindlichen Rundfunk-»Argumentation« traten keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte in Erscheinung. Es überwiegt nach wie vor die Orientierung auf die sogenannte Freizügigkeitsparole, insbesondere im Reiseverkehr. Hervorzuheben ist die Aufforderung des RIAS-Kommentators Peter Herz9 an die Jugendlichen der DDR, mit westdeutschen Teilnehmern am Deutschlandtreffen Adressen auszutauschen und den Briefverkehr mit ihnen zu fördern. Weiter verdienen solche Aufforderungen Beachtung, zu den Veranstaltungen Kofferradios mitzunehmen, damit der Kontakt zum RIAS-Sonderstudio aufrechterhalten werden könne. (Bei den vielen Musikveranstaltungen falle dieser Kontakt nicht auf.)
Bürgermeister Albertz10 hat in einem Rundfunkinterview11 hervorgehoben, dass ausländische Teilnehmer am Deutschlandtreffen auf bewegliche Art, u. a. über »bewegliche optische Eindrücke« nach Westberlin eingeladen werden.
Der Westrundfunk hat sich auch in die Propagierung des vom »Studio am Stacheldraht«12 unter dem Motto »Wir sind jung, die Welt ist offen« veranstalteten Preisausschreibens eingeschaltet. Auf an der Staatsgrenze aufgestellten Bildtafeln sind westliche Reiseziele abgebildet, die von den DDR-Teilnehmern am Deutschlandtreffen und von den Grenzsicherungskräften der DDR festgestellt und schriftlich an die Adresse des Schöneberger Rathauses mitgeteilt werden sollen. Inzwischen haben Fahrzeuge des »Studios am Stacheldraht« entlang der Staatsgrenze in Berlin Bildtafeln mit der Aufforderung gefahren, die an der Staatsgrenze aufgestellten Bildtafeln anzusehen und sich am Preisausschreiben zu beteiligen.
Intern wurde weiter bekannt, dass auf einer Zusammenkunft am 15.5. zwischen Vertretern des Westberliner Senats, »des Kuratoriums Unteilbares Deutschland«13 und der westlichen Besatzer vom Geschäftsführer des Westberliner »Kuratoriums« Radlach14 dargelegt worden sei, dass westdeutsche und Westberliner Teilnehmer am Deutschlandtreffen keine schriftlichen Materialien in die Hauptstadt der DDR mitnehmen dürfen, da hier ein Gefahrenmoment liege. Gegen seine Forderung, Hetzmaterialien mit Ballons in das demokratische Berlin einzuschleusen, hätten die Vertreter der Besatzer Einspruch erhoben.
In der Wechselstube am Bahnhof Zoo wurde ein verstärkter Ankauf von DM/DNB15 beobachtet. Ferner wurde festgestellt, dass ausländische Besucher, die DM in DNB umtauschen oder kauften, von einer sich in der Wechselstube aufhaltenden Person zu beeinflussen versucht wurden.
Wie inoffiziell bekannt wurde, beabsichtige eine in Westberlin wohnhafte Gruppe von Ausländern am Sonntag, 17.5.1964, die Demonstration zu stören. Anhaltspunkte über Treffzeit und Ort sowie polizeiliches Kfz-Kennzeichen liegen vor. (Entsprechende operative Maßnahmen sind eingeleitet.)
2. Lage im grenzüberschreitenden Verkehr und an den Staatsgrenzen
Im Reiseverkehr kam es auch am 16.5. an den KPP der Staatsgrenze der DDR zu keinen Stauungen oder Wartezeiten. An der Staatsgrenze Berlin reisten am 16.5. bis 24.00 Uhr insgesamt 16 892 Personen ein, davon 13 630 Westdeutsche, 860 Westberliner mit Einreisedokumenten bzw. Beschäftigtenausweis und 2 402 Ausländer. An Fahrzeugen fuhren 2 248 Pkw und 29 Busse in das demokratische Berlin ein. Im Transitverkehr reisten 33 676 Personen mit 7 177 Pkw bzw. 262 Bussen von Westdeutschland nach Westberlin und 33 816 Personen mit 5 622 Pkw bzw. 293 Bussen von Westberlin nach Westdeutschland.
Bei der Vergleichsarbeit der Dokumente für Westberliner Teilnehmer am Deutschlandtreffen wurde am KPP Friedrichstraße festgestellt, dass in fünf Fällen zwei Duplikate der PM 12816 für die gleiche Person ausgestellt wurden. In weiteren 130 Fällen wurden ebenfalls Fehler festgestellt, wobei größtenteils die PA-Nummern bzw. der Vor- und Zuname nicht mit den Eintragungen im Personalausweis übereinstimmten.
Am 16.5. fuhren bis 24.00 Uhr insgesamt 20 Militärfahrzeuge der in Westberlin stationierten Besatzer in das demokratische Berlin ein, davon waren elf amerikanische, sieben englische und zwei französische Militärfahrzeuge. Die Aufklärungsfahrten galten neben den militärischen Objekten und Anlagen vorwiegend den Zelt- und Campingplätzen, wo Teilnehmer des Deutschlandtreffens untergebracht sind.
Besondere Vorkommnisse wurden nicht bekannt.
An den westlichen KPP kam es im Verlauf des 16.5. – an den einzelnen KPP unterschiedlich – zu verstärkten Kontroll- und Filtrierungsmaßnahmen, die z. T. schikanösen Charakter annahmen. Am West-KPP Bebra wurden von allen Jugendlichen intensiven Kontrollen unterzogen. Jugendliche, die auf AG bzw. in Gruppen in die DDR einreisten, wurden registriert. Am KPP Lauenburg wurden alle Pkw im West-West-Verkehr registriert, um festzustellen, ob die Fahrzeuge in Westberlin einfahren.17 Weiter wurden die Personalien aller am Deutschlandtreffen teilnehmenden Jugendlichen notiert. In Ludwigsstadt/WD führten die Westzöllner und der Verfassungsschutz Befragungen nach dem Reiseziel der westdeutschen Jugendlichen durch. Ob Jugendliche aus dem Zug genommen wurden, konnte jedoch nicht festgestellt werden. Weiter wurde bekannt, dass vom westdeutschen Zoll alle Jugendlichen in den Zügen zwischen Hannover und Wolfsburg filtriert wurden. Jugendliche mit Aufenthaltsgenehmigung für die DDR wurden in die letzten Wagen verwiesen, während alle Jugendlichen ohne AG in den ersten Wagen und in Wolfsburg den Zug verlassen mussten. Die Jugendlichen mit AG wurden nur stichprobenartig kontrolliert. Von einer Gruppe (zwölf Jugendliche) konnten sechs mit AG in die DDR einreisen, während die anderen sechs Jugendlichen ohne AG in Wolfsburg festgehalten wurden.
Am KPP Helmstedt verlangte der Verfassungsschutz eine namentliche Aufstellung mit Wohnanschriften aller in einem Bus mitfahrenden Personen. Im Bus befanden sich 45 Personen unterschiedlichen Alters, die direkt nach Berlin zum Deutschlandtreffen fuhren.18
An den KPP der Staatsgrenzen der DDR wurden durch operative Filtrierungsmaßnahmen einreisende Gruppen der Gewerkschaftsjugend, Pfadfinder, katholische Jugend/evangelische Jugend, Falken,19 Kriegsdienstgegner, »Kuratorium Unteilbares Deutschland«, »Berliner Jugend«, Fußball- und andere Sportvereinigungen festgestellt. Davon reisten über die KPP in Berlin zur Teilnahme am Deutschlandtreffen Angehörige der Gewerkschaftsjugend, der katholischen Jugend, der Falken und der Kriegsdienstgegner in die Hauptstadt der DDR ein. Gruppen der Pfadfinder, des »Kuratoriums Unteilbares Deutschland« und der »Berliner Jugend« reisten ausschließlich zur Teilnahme an Veranstaltungen nach Westberlin. Fußball- und Sportvereinigungen reisten ebenfalls zur Teilnahme an Veranstaltungen in Westberlin, wobei diese Gruppen in der Mehrzahl am 17.5./18.5. auch am Deutschlandtreffen teilnehmen wollen.
Die Lage an der Staatsgrenze zu Westberlin war wiederum durch verstärkte Kontaktaufnahmeversuche, vor allem durch Westberliner Zivilpersonen gekennzeichnet. Zu einer Provokation durch amerikanische Besatzer kam es gegen 17.00 Uhr am KPP Heinrich-Heine-Straße, wo sich zwei US-Jeeps ca. 20 Minuten in provokatorischer Weise gegenüber dem KPP postierten, sodass der grenzüberschreitende Fahrzeugverkehr gehindert wurde. Die Jeeps waren mit je vier Mann besetzt und mit LMG ausgerüstet, die auf unsere Grenzsicherungskräfte gerichtet waren. Durch einen Besatzer wurden der KPP und die Kontrollkräfte fotografiert.
Außer dem Einsatz der mit Plakaten versehenen Hetzlautsprecherwagen des Westberliner Senats wurden über die Leuchtschriftanlagen am Potsdamer Platz und in der Kochstraße (Springer-Konzern) Nachrichten ausgestrahlt, in denen gegen die DDR und speziell gegen das Deutschlandtreffen gehetzt wurde. Weiter wurde auf die Sendezeiten des RIAS-Sonderdienstes20 (20.00 bis 0.00 Uhr) hingewiesen und die Lebensverhältnisse in Westdeutschland verherrlicht.
Im Bereich der 1. Grenzbrigade gelang es zwei Personen (nicht Teilnehmer am Deutschlandtreffen) vom Gebäude des Verlages »Tägliche Rundschau«21 in der Zimmerstraße aus, die Grenze nach Westberlin zu durchbrechen. ([Vorname Name 1] vom SC Dynamo Berlin und [Name 2].)
In drei Fällen gelang es Grenzdurchbrüche zu verhindern und die Personen festzunehmen. Am 16.5., 11.00 Uhr, wurde der [Name 3, Vorname] im D 127 zwischen Potsdam und Schönefeld festgenommen. Er wollte in Berlin die Grenze durchbrechen. Gegen 19.40 Uhr wurde der [Name 4, Vorname] (Teilnehmer am Deutschlandtreffen) auf dem Ostbahnhof festgenommen. Er versuchte auf den D 130 Berlin – München aufzuspringen und flüchtig zu werden. Gegen 19.15 Uhr wurden der [Vorname Name 5], [Vorname Name 6] und [Vorname Name 7], alle aus Berlin, im Raum Heinersdorf, [Kreis] Zossen, ca. 200 m von der Grenze in einer Scheune versteckt aufgefunden und festgenommen. Sie hielten sich vorher drei Tage in einer Sommerlaube im Bereich Teltow auf. Bei der Festnahme führten sie eine durchbohrte Gaspistole, drei Schuss KK-Munition, ein Luftgewehr mit Diabolos und ein Opernglas bei sich. Die Untersuchungen dauern noch an.
Im Zusammenhang mit dem im 1. Bericht zur Aktion »Freundschaft« erwähnten beabsichtigten Grenzdurchbruch einer Gruppe von 30 Personen wurden der [Vorname Name 8], [Vorname Name 9] und [Vorname Name 10] am 16.5. festgenommen. Aufgrund der Aussagen der Vorgenannten wurde am 17.5. der [Vorname Name 11] festgenommen, der im Verlaufe der Erstvernehmung gestand, dass er von dem [Vorname Name 12], wohnhaft Staaken, Sprengmittel zur Aufbewahrung in seiner Wohnung erhielt, mit welchen [Name 12] die »Mauer« sprengen wollte. Bei den Sprengmitteln handelt es sich um Gelatine-Donarit, zwei Zünder und Zündschnur. Über den Zeitpunkt des geplanten Angriffs gegen die Staatsgrenze sowie die näheren Zusammenhänge liegen noch keine Angaben vor. Die Sprengmittel wurden sichergestellt. [Name 12] wird ermittelt und festgenommen. Die weitere Bearbeitung des Vorganges erfolgt durch die Verwaltung Groß-Berlin.
3. Feindtätigkeit auf dem Gebiet der DDR
Auch am 16.5. haben solche feindlichen Handlungen wie Abreißen und Beschädigen von Plakaten (sechs Fälle), Anschmieren von Hakenkreuzen (vier Fälle) wie die Gesamtheit der feindlichen Handlungen keinen großen Umfang angenommen. In den Abendstunden des 15.5. wurden in Berlin-Weißensee, Smetanastraße, von dem Chemiefacharbeiter [Name 13, Vorname] und am S-Bahnhof Grünau von dem Werkzeugmacher [Name 14, Vorname] (ehemaliger Grenzgänger22 und Rückkehrer) je eine Staatsflagge der DDR abgerissen. Die Täter befanden sich unter Alkoholeinfluss. Gegen beide wurde ein Ermittlungsverfahren ohne Haft eingeleitet. In Berlin-Weißensee wurde in der Bernkasteler Straße 2 bei einem Genossen eine Fensterscheibe eingeworfen, neben der sich eine rote Fahne befand. (Gleiche Handlungen gab es bereits zum 1. Mai 1964 in diesem und im Nachbarhaus.)
Zugenommen haben Beschimpfungen, Anpöbeleien und Tätlichkeiten gegenüber Teilnehmern des Deutschlandtreffens. Am 16.5. wurde von der VP-Inspektion Pankow der Maurer [Name 15, Vorname] (Rückkehrer) festgenommen, der im betrunkenen Zustand Teilnehmer des Deutschlandtreffens beschimpfte und belästigte und äußerte, »den ganzen Blauhemden müsste man in die Fresse hauen«. Am 15.5. wurde ein Teilnehmer am Deutschlandtreffen in Berlin-Baumschulenweg von dem wegen Diebstahl und Absingen des faschistischen Deutschlandliedes vorbestraften [Vorname Name 16] beschimpft und niedergeschlagen. [Name 16] war im angetrunkenen Zustand, wurde festgenommen und nach Verurteilung zu 250 DM Strafe wieder entlassen. Am 16.5. wurde vor der Gaststätte Behrens-Kasino der Ultn. der VP [Vorname Name 17] (zzt. tätig im Komitee Deutschlandtreffen des MdI) von dem Bauarbeiter [Name 18, Vorname] aus Berlin-Johannisthal (ehemaliger Grenzgänger) mit »Kommunistenschwein« beschimpft und niedergeschlagen. [Name 18] befand sich in Begleitung des Arbeiters [Name 19] und [Name 20] aus Berlin-Grünau, die ebenfalls festgenommen wurden. Nach vorliegenden Zeugenaussagen soll sich [Name 19] am Niederschlagen des VP-Offiziers beteiligt haben. [Name 19] und [Name 20] bestreiten bisher, mitbeteiligt zu sein.
Vor Quartieren (Schulen) in Friedrichshain und Treptow provozierten mehrere Gruppen Berliner Jugendlicher die Teilnehmer und mit lauten Abhören von Westsendern durch Kofferradios. Im Volkshaus Bohnsdorf belästigte eine Gruppe von zehn angetrunkenen Jugendlichen die Teilnehmer. Eine ca. 15 Jugendliche starke Gruppe, einheitlich mit Lederjacken und Lederhosen bekleidet, führte am KPP Zimmerstraße negative Diskussionen mit den Grenzposten, von denen sie abgewiesen wurden.
In zwei Fällen gab es Versuche unbekannter Personen, durch offensichtliche Legenden (einmal als Maurer ins Stadtbezirksgericht Littenstraße, zum anderen als Fernsprechmechaniker ins Kinderkaufhaus Hackescher Markt) in Gebäude einzudringen.
In zwei Fällen wurden Gerüchte bekannt, dass die englischen Schlagersänger »Beatles« an einer geeigneten Stelle der Staatsgrenze zwischen Hauptstadt der DDR und Westberlin auftreten würden,23 dass dadurch Jugendliche und Teilnehmer des Deutschlandtreffens angelockt und zu einen Grenzdurchbruch animiert würden.
Aus kirchlichen Kreisen wurde bekannt, dass am 16.5. im Stephanus-Stift Berlin-Weißensee24 eine Veranstaltung mit ehemaligen Absolventen der westdeutschen Sozialakademie Villigst25 stattfindet. Die Aktion »Sühnezeichen«26 plant für den 17.5.1964, 17.00 Uhr, in Berlin C 2, Bischofstraße, ebenfalls eine Zusammenkunft. An beiden Veranstaltungen werden westdeutsche Bürger teilnehmen. Zum Beispiel wurde am 16.5.1964 im D 1001 eine westdeutsche Reisegruppe festgestellt, deren Reise nach Westberlin vom Pfarrer [Name 21] aus Neuenburg organisiert wurde. Diese Gruppe beabsichtigt nach Angaben des Reiseleiters am 17.5./18.5. in der Hauptstadt der DDR an einem Gottesdienst teilzunehmen und eine anschließende Aussprache mit kirchlichen Kreisen der DDR durchzuführen.
Ferner wurde am KPP Drewitz eine 41 Personen umfassende Gruppe der evangelischen Jugend abgefertigt, die am 17.5.1964 in kleineren Gruppen am Deutschlandtreffen teilnehmen will. In Hetzschriften, die dieser Gruppe vom Landespfarramt Berlin-Lichtenberg zugeschickt worden waren, erfolgten Hinweise auf Hetzveranstaltungen am 18./19.5. in Westberlin.
In der evangelischen Gemeinde Alt-Pankow weilen Pfingsten Vertreter der sogenannten Patengemeinde Burg Steinfurth/Westdeutschland, unter ihnen zahlreiche Jugendliche. Organisator des Treffens ist Superintendent Krahnert.27
Nachdem das Evangelische Konsistorium vom Referat Kirchenfragen des Rates des Stadtbezirkes Mitte in Kenntnis gesetzt wurde, dass der für den 17.5. geplante Frühgottesdienst im Berliner Dom nicht stattfinden kann, protestierte der Dompfarrer Dr. Schneider28 dagegen beim Magistrat von Groß-Berlin. Er teilte gleichzeitig mit, dass er im Verlaufe des Abendgottesdienstes am 17.5. die Gemeinde über den Grund für das Ausfallen des Frühgottesdienstes informieren wird.
Mitglieder der »Jungen Gemeinde«29 in den Stadtbezirken Mitte und Prenzlauer Berg wurden durch die Jugendpfarrer aufgefordert, am 17.5. die Marienkirche zu besuchen und möglichst viele andere Jugendliche dazu zu bewegen, ebenfalls die Kirche mit zu besuchen.
Von der katholischen Kirche soll der Abendgottesdienst am 17.5. als Sondergottesdienst für die katholischen Teilnehmer des Deutschlandtreffens durchgeführt werden.
Bei Fahrten Westdeutscher in das Gebiet der DDR wurde im Personenzug Berlin – Potsdam am 16.5. der westdeutsche Student [Vorname Name 22] festgenommen. ([Name 22] ist Teilnehmer am Deutschlandtreffen und gehört der Delegation Niedersachsen an). Er gibt an, dass er Sanssouci besichtigen wollte, obwohl ihm bekannt war, dass seine Aufenthaltsgenehmigung nur für Berlin Gültigkeit hat.
Am 16.5. erfolgte im Personenzug nach Falkensee die Festnahme des westdeutschen Ehepaares [Name 23, Vorname 1] und [Vorname 2] aus Duisburg. Sie sind Mitglieder der Delegation Nordrhein-Westfalen und wollten in Falkensee Bekannte besuchen.
Am 16.5. wurde der westdeutsche Arbeiter [Name 24, Vorname] aus Goslar im Personenzug nach Potsdam festgenommen. Er ist Mitglied der Delegation Bremen und beabsichtigte in Potsdam eine Jugendfreundin zu besuchen.
4. Besondere Vorkommnisse, Reaktionen der Teilnehmer, Ablauf
Die Gesamtzahl der DDR-Teilnehmer am Deutschlandtreffen betrug mit Stand vom 16.5. bis 24.00 Uhr – 209 006, davon sind 11 611 im Camping untergebracht. Die Anzahl der westdeutschen Teilnehmer beträgt 4 314.
Zu besonderen Vorkommnissen mit größeren Auswirkungen kam es bisher nicht. Das Sonderzugprogramm der Deutschen Reichsbahn wurde ohne besondere Störungen abgewickelt. Durch Unregelmäßigkeiten kam es zu 60 festen Bremsen, elf Flachstellen in Radreifen und vier Heißläufern, was bei einem Einsatz von über 5 000 Wagen als normal gilt. Während der Transporte nach Berlin durch Sonderzüge ereigneten sich vier kleinere Personenunfälle, die alle ambulant behandelt wurden.
Vor dem S-Bahnhof Fredersdorf wurde am 16.5. gegen 18.25 Uhr festgestellt, dass auf die Fahrschiene mehrere Schottersteine gelegt worden waren. Sie wurden rechtzeitig erkannt und vom Triebwagenpersonal weggeräumt.
In einzelnen Fällen mussten Jugendliche bereits während des Transportes wegen Alkoholmissbrauch bzw. Disziplinlosigkeit von der Teilnahme am Deutschlandtreffen ausgeschlossen und in die Heimatorte zurückgeschickt werden.
Ebenfalls in Einzelfällen wurden im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen Diebstähle verübt, besonders in Verpflegungslagern (z. B. Verpflegungslager Memhardstraße zwei Kisten Apfelsinen aufgebrochen, Verpflegungslager Storkower Straße trotz Bewachung durch VP zwei Personen – Bauarbeiter [Name 25] und [Name 26] – ein Diebstahl ausgeführt, Verpflegungsstelle Lichtenberg/Wördenstraße durch die Kraftfahrer des zentralen Fuhrparkes des Deutschlandtreffens [Name 27] und [Name 28] Lebensmittel gestohlen).
Drei Oberschüler aus dem Kreis Genthin, [Bezirk] Magdeburg, (Campingplatz »Am Faulen See«) verübten einen Einbruchdiebstahl in einen Konsumkiosk in Berlin-Weißensee. In allen Fällen wurden bei Bekanntsein des Täters Ermittlungsverfahren eingeleitet.
In der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße wurden Westberliner bzw. westdeutsche Bürger von DDR-Bürgern aufgefordert, das Geld nicht in der Wechselstube, sondern bei ihnen zu wechseln. Bei diesem Versuch wurde z. B. der [Name 29] aus dem Kreis Bautzen (Zeltlager Grünau) gestellt. Außerdem hatte er Ausländer um Zigaretten angebettelt.
Am 16.5. musste ein westdeutscher Teilnehmer aus Duisburg-Hochfeld wegen Ruhrverdacht ins Krankenhaus eingeliefert werden. (Genauer Befund liegt noch nicht vor.)
Stimmung zum Deutschlandtreffen
Die Stimmung der Teilnehmer am Deutschlandtreffen ist insgesamt gesehen positiv. Vor allem während der Eröffnungsveranstaltung im »Walter-Ulbricht-Stadion« war eine begeisterte Stimmung vorhanden. Unzufriedenheit herrschte teilweise bei den Teilnehmern, weil sie verschiedentlich während der Fahrt nach Berlin keine Gelegenheit hatten, sich Verpflegung und warme Getränke zu kaufen. Kritik wird ferner an Einrichtungen der Massenquartiere und Campingplätze geübt (fehlende Decken, Luftmatratzen). Außerdem wird die Wartezeit für die Verpflegungsausgabe häufig als zu lang empfunden. (11. Oberschule Berlin-Friedrichshagen z. B. vier Hilfskräfte für 4 000 Teilnehmer. Dadurch ergeben sich Schlangen und Wartezeiten.)
Unzufriedene Stimmungen gab es über die nicht exakte Zeitplanung der Anreise und der damit verbundenen Wartezeiten. So reisten die Delegationen aus Pirna und Karl-Marx-Stadt bereits in der Nacht zum 16.5. an, obwohl sie in ihren Privatquartieren (Köpenick und Berlin-Mitte) erst in den Mittagsstunden erwartet wurden. Dadurch standen sie nach mehrstündiger Wartezeit in den Schulen oft vor verschlossenen Türen.
Schwierigkeiten bei der Unterbringung ergaben sich auch durch die Nichteinhaltung der Vereinbarungen, ob Junge oder Mädchen aufgenommen werden sollte (z. B. in Köpenick). Aus einigen Stadtbezirken sind ferner z. T. bereitgestellte Privatquartiere noch ungenutzt, weil nicht alle Jugendfreunde, die erwartet wurden, anreisten (z. B. Grünau, Köpenick, Johannisthal, Berlin-Mitte).
Die Stimmung unter den Westberliner Teilnehmern am Deutschlandtreffen ist ebenfalls als gut einzuschätzen. Zu geringer Verärgerung kam es lediglich durch die verspätete Ausgabe des Taschengeldes und durch die Mitteilung, die gesamte Zeit des Deutschlandtreffens im demokratischen Berlin zu verbleiben. (Einige Westberliner Jugendfreunde beabsichtigten, täglich nach Westberlin zurückzufahren.)
An der Aussprache von Minister Honecker30 über Jugend-Bildung-Zukunft am 16.5. im Ministerium für Volksbildung waren unter den anwesenden 100 Teilnehmern ca. 50 westdeutsche Teilnehmer. Diese westdeutschen Teilnehmer wichen vielfach in ihrer Fragestellung vom Thema ab. Dabei stellten sie auf der Grundlage gegnerischer Parolen und Argumente überwiegend gezielte Fragen. Die wesentlichsten Parolen dabei waren:
- –
die Begrenzung der Arbeitszeit durch das Jugendgesetz31 einerseits und die Aufrufe zu freiwilligen Arbeitseinsätzen andererseits sei ein Widerspruch;
- –
gibt es für Jugendliche noch Möglichkeiten, persönlichen Interessen nachzugehen oder muss alles (z. B. auch die Qualifizierung) den gesellschaftlichen Interessen dienen;
- –
Aktion »Ochsenkopfantennen«32 und der Vorschlag auf Zeitungsaustausch33 widersprächen sich – Verbesserung der Information erfordere, alle westdeutschen Zeitungen auszutauschen;
- –
obligatorisches Studium der Gesellschaftswissenschaften in der DDR – Spezialfächer, denen sich die Studenten in Westdeutschland ausschließlich widmen können;
- –
warum keine Herausgabe von Büchern Blochs,34 Lukács35 und Trotzkis36 in der DDR;
- –
warum keine Reisen von DDR-Bürgern in kapitalistische Länder;
- –
warum in der DDR nur Kampf gegen die NATO-Atombombe und keine Demonstrationen allgemein gegen Atombomben.
Ähnliche und teilweise wörtlich gleiche Fragen wurden von westdeutschen Teilnehmern auch im Verlaufe der am 16.5. in der Volkskammer durchgeführten Aussprachen mit westdeutschen Jugendlichen gestellt, was das zielgerichtete Vorgehen westdeutscher Teilnehmer beweist. Wortführer dieser gesteuerten Fragestellungen waren ein Journalist vom »Düsseldorfer Kurier« und ein Journalist aus Hamburg. Die DDR-Teilnehmer befanden sich jedoch stets in der Offensive, stellten mitunter die Fragesteller bloß und wurden häufig sogar durch anwesende westdeutsche Teilnehmer unterstützt.
In den späten Abendstunden des 16.5. bis in die Nacht des 17.5. hinein kam es erstmalig zur Bildung von Diskussionsgruppen unterschiedlicher Stärke. In diese Diskussionsgruppen trugen westdeutsche Teilnehmer teilweise ebenfalls solche gegnerischen Argumente über »Reisebeschränkungen«, fehlende »Informations- und Demonstrationsfreiheit« usw. hinein. Die Teilnehmer der DDR an diesen Diskussionsgruppen (Brandenburger Tor, Karl-Marx-Allee – ca. 100 Personen, davon ca. zehn Westdeutsche –, Karl-Marx-Allee am »Haus Budapest« – ca. 30–40 Personen) verhielten sich in der Mehrzahl positiv. Zu feindlichen Ausschreitungen ist es nicht gekommen. Die Gruppen standen ständig unter Kontrolle.
Bei der Eröffnungskundgebung im »Walter-Ulbricht-Stadion« bildeten besonders Angehörige des »Liberalen deutschen Studentenbundes« Diskussionsgruppen und versuchten, die gleichen bereits erwähnten Argumente zu verbreiten. Die DDR-Teilnehmer reagierten auch in diesen Fällen im Wesentlichen sehr positiv.