Äußerungen von Bundesminister Krone zum Besuch Erhards in den USA
10. Januar 1964
Einzelinformation Nr. 27/64 über Äußerungen von Bundesminister Krone zum Besuch Erhards bei Johnson
Eine zuverlässige Quelle berichtete über Äußerungen von Bundesminister Krone1 zum Besuch Erhards2 bei Präsident Johnson3 Ende vergangenen Jahres.4 Danach seien besonders das westdeutsch-französische und das westdeutsch-amerikanische Verhältnis im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Problemen der EWG und der sogenannten Kennedy5-Runde6 sowie interessante neue Aspekte der Politik in der Deutschland- und Westberlinfrage im Zusammenhang mit dem Berliner Abkommen besprochen worden. Erneut zur Sprache gekommen sei auch die Bedeutung westdeutscher Handelsmissionen in europäischen sozialistischen Staaten.7
Den Charakter des Erhard-Besuchs bezeichnete Krone als sehr unterschiedlich zu vorangegangenen Besuchen Adenauers8 in den USA.9 Er habe nicht die strenge Form einer Arbeitsbesprechung mit vorbereiteten Arbeitspapieren gehabt, sondern in der familiären Atmosphäre der Johnson-Ranch seien alle interessierenden politischen Fragen vorgebracht worden, so freimütig und herzlich, wie es Erhard nicht erwartet habe. Erhard habe sich bewusst nur von einer kleinen Delegation begleiten lassen. Darin sei allgemein die Bestrebung des neuen Bundeskanzlers zum Ausdruck gekommen, sich nach und nach von dem administrativen Apparat seines Vorgängers loszusagen und einen engen Mitarbeiterstab aus den Männern seines Vertrauens zu formen.
Im westdeutsch-amerikanischen Verhältnis habe sich während des Besuchs die besonders von Schröder10 geförderte und vorhergesagte Tendenz bestätigt, dass dieses Verhältnis in der westdeutschen Außenpolitik jetzt absoluten Vorrang hat. Das ständige Misstrauen, das zwischen Kennedy und Adenauer bestand, sei ausgeräumt worden. Nach Auffassung Krones sei die Berichterstattung Erhards nach seinem Besuch so zu verstehen, dass das westdeutsch-amerikanische Verhältnis auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Die wirtschaftspolitischen Probleme seien in einem Sachverständigenkreis ausführlich in diesem Sinne besprochen worden. Konkrete Einzelheiten darüber teilte Krone nicht mit.
Die westdeutsch-französische Zusammenarbeit sei, nach Meinung Krones, trotz der Ergebnisse des Erhard-Besuchs in den USA nach wie vor ein Schwerpunkt der westdeutschen Politik. Erhard und Schröder seien jedoch besonders bestrebt gewesen, den Eindruck einer Zweigleisigkeit der westdeutschen Außenpolitik in den USA zu beseitigen, der in der Vergangenheit zusammen mit den Plänen Adenauers und de Gaulles11 zur Schaffung eines sogenannten europäischen Gegengewichtes gegenüber den USA die Wurzel amerikanisch-westdeutscher Missverständnisse gewesen sei.
Krone bestätigte in diesem Zusammenhang, dass Adenauer eine Einladung von de Gaulles zu einem Besuch in naher Zukunft erhielt, die offensichtlich die Befürchtungen des französischen Staatspräsidenten hinsichtlich einer Abkühlung des westdeutsch-französischen Verhältnisses widerspiegle. Krone teilte dazu mit, dass er Adenauer dringend davon abgeraten habe, zum jetzigen Zeitpunkt diese Einladung anzunehmen, weil dadurch Erhard diskriminiert, seine Tätigkeit als Bundeskanzler erschwert und der Eindruck hervorgerufen werden könnte, dass de Gaulle über Adenauer einen indirekten Einfluss auf die Bundesregierung ausüben wolle.
Interessante Einzelheiten berichtete Krone über die Besprechungen zwischen Erhard und Johnson in der Deutschland- und Westberlinfrage. Johnson habe Erhard ermuntert und direkt angespornt, in der deutschen Frage künftig »freimütiger und selbstständiger« zu handeln. Hauptgrund dafür sei, nach Auffassung Johnsons, dass die USA die Politik Bonns in der deutschen Frage besser unterstützen könnten, wenn sie in erster Linie und entscheidend vom westdeutschen politischen Willen selbst geprägt werde.
Zur Frage der sogenannten Viermächteverantwortung für die deutsche Wiedervereinigung würden sich die USA zwar als Fernziel nach wie vor bekennen, es sei aber in erster Linie Aufgabe der westdeutschen Politik selbst, in enger Konsultation mit den USA den »innerpolitischen Boden zwischen beiden Teilen Deutschlands und auch gegenüber Osteuropa« vorzubereiten.
Johnson habe Erhard aufgefordert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die es, unter Umgehung direkter zwischenstaatlicher Gespräche mit der DDR, auf den verschiedensten Gebieten gibt, um die »innerdeutsche Situation zu verbessern«, die Lage innerhalb Deutschlands und auch innerhalb Berlins zu entspannen und eine geeignetere Grundlage für Verhandlungen zu schaffen.
Natürlich seien die USA nach wie vor strikt gegen eine Anerkennung oder auch nur De-facto-Anerkennung der DDR. Sie seien auch nicht gewillt, weitere internationale Vereinbarungen mit der Sowjetunion abzuschließen, die einen Weg zur Einbeziehung der DDR in die Internationale Vertragsebene eröffnen könnten, wie es beim Moskauer Vertrag12 erfolgt sei.
In diesem Zusammenhang sei das Berliner Abkommen in der Passierscheinfrage13 zur Sprache gekommen. Die amerikanische Regierung befürchte nach Meinung Krones, dass die DDR versuchen werde, daraus einen Präzedenzfall für direkte Verhandlungen mit dem Westberliner Senat zu machen. Deshalb habe Johnson kritisch auf »die zu starke eigene Aktivität« Brandts14 in der Passierscheinregelung hingewiesen. Er habe Erhard gebeten, dass aufgrund der Anwesenheit von Truppen der Westmächte in Westberlin und des besonderen Status der Stadt keine eigene Senatspolitik gegenüber der DDR betrieben wird und dass alle Fragen, die innerhalb Berlins geregelt werden sollen, vorher und nicht mit verspäteter Informierung der Bundesregierung, wie sie während der Verhandlungen über das Berliner Abkommen erfolgt sei, zwischen den Westmächten, der Bundesregierung und dem Senat abgestimmt werden.
Die westdeutsche Verhandlungsdelegation habe diese Auffassung voll geteilt. Sie habe ihrerseits betont, in den Verhandlungen über das Berliner Abkommen eine »politische Gefahr« zu sehen, und habe eingeschätzt, dass damit unter dem Druck der Öffentlichkeit das Äußerste an Zugeständnissen gemacht worden sei, was gemacht werden könne.
In der Frage gesamtdeutscher Kontakte habe Erhard zugesichert, alle bestehenden Möglichkeiten auszunutzen und auch politisch auszubauen. Er wolle versuchen, im Frühjahr dieses Jahres die sogenannte Treuhandstelle für den Interzonenhandel15 mit neuen politischen Vollmachten zu betrauen und ihr einen politischen Beraterstab zu geben. Auf diesem Weg solle die Bundesregierung »Erleichterungen im innerdeutschen Reiseverkehr« in beiden Richtungen, eine Erweiterung des kulturellen Austauschs und die Förderung kirchlicher Gespräche erreichen. Auch auf dem Gebiet des Sports soll versucht werden, den Austausch wieder zu normalisieren.
Krone teilte in diesem Zusammenhang mit, dass Mende16 ein Gespräch mit Daume17 hatte und dabei den Wunsch der Bundesregierung vorgetragen habe, der westdeutsche Sportbund möge die Voraussetzungen dafür schaffen, um den gesamtdeuten Sportverkehr wieder aufnehmen zu können.
Im Rahmen des Prozesses einer »Auflockerung der deutschen Frage« habe Johnson mitgeteilt, dass die USA im Frühjahr dieses Jahres vorschlagen wollen, eine sogenannte ständige Deutschlandkonferenz oder Deutschlandkommission der vier Mächte zu gründen, in der beide deutsche Staaten in einer Art Sachverständigenkommission vertreten sein sollen. Die USA beabsichtigten, noch einmal zu versuchen, die Deutschlandfrage auf eine ähnliche diplomatische Ebene zu heben, wie sie beim Abschluss des österreichischen Staatsvertrages18 bestand. Gleichzeitig sollten die Sachverständigen aus beiden deutschen Staaten unter der Verantwortung der vier Mächte zu einer Normalisierung der Lage in Deutschland selbst gelangen. Die »Berlinfrage« solle in die Verhandlungen der sogenannten ständigen Konferenz einbezogen werden, wiederum ergänzt durch Beratungen deutscher Sachverständiger.
Dieser Plan der USA habe die Zustimmung Erhards und seiner Verhandlungsdelegation gefunden. Er werde, nach Meinung Krones, als ein Erfolg Schröders angesehen.
Die Verhandlungspartner seien sich auch hier darüber einig gewesen, dass keinerlei gesamtdeutsche Gespräche auf Regierungsebene akzeptiert würden. Besprechungen beispielsweise eines Ministers der DDR mit einem Bonner Minister seien unmöglich.
Nach Auffassung Krones sei allerdings dieser amerikanische Plan nicht dazu bestimmt, die amerikanischen Forderungen nach größerer westdeutscher Selbstständigkeit einzuschränken. Krone äußerte persönlich den Verdacht, die USA hätten den Wunsch, sich etwas von ihrer sogenannten Verantwortung für die deutschen Probleme zu lösen, da nach ihrer Einschätzung in naher Zukunft an der Teilung Deutschlands nichts zu ändern ist und da man versuchen müsse, in der Erhaltung des Status quo einschließlich der »Freiheit« Westberlins und auch einschließlich der westdeutsch-amerikanischen Beziehungen besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet einen Modus Vivendi zu finden. Nach amerikanischer Auffassung müsse die Deutschlandfrage als Konfliktstoff neutralisiert werden, um außenpolitisch auf weite Sicht arbeiten und zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine tragbare Lösung mit der Sowjetunion finden zu können.
Es gehörte nach Meinung Krones zur allgemeinen Zielsetzung der USA, dass Johnson die Bonner Delegation auch noch einmal dazu ermuntere, möglichst unkompliziert und großzügig in der Frage der Errichtung von Bonner Handelsmissionen in allen osteuropäischen sozialistischen Staaten vorzugehen.19 Über diese Handelsmissionen könnten eine Art »diplomatischer Vertretungen geringeren Status« geschaffen werden. Sie erlaubten eine politische Aktivität der Bundesrepublik, die »Verständnis« für die Bonner Politik und besonders die »Bonner Wiedervereinigungskonzeption« erlangen könne. Johnson habe Erhard dazu erklärt, man dürfe das sozialistische Lager bei Weitem nicht als eine Einheit betrachten. Es gebe sehr unterschiedliche wirtschaftspolitische, kulturelle und z. T. außenpolitische Interessen. Besonders das Gebiet der Wirtschaftspolitik biete gute Ansatzpunkte. Johnson und Erhard seien sich darüber einig geworden, dass die Bundesrepublik gerade auf diesem Gebiet ihre »Partnerschaft« mit den europäischen sozialistischen Staaten verstärken müsse, was sich auf die westliche Politik in der Deutschlandfrage auswirken könne.
Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.