Ansichten von Leistungssportlern zu den Olympiaergebnissen
24. November 1964
Einzelinformation Nr. 1037/64 über Ansichten von Leistungssportlern der DDR zu Problemen des Sports
Dem MfS liegen eine Reihe von Meinungen und Hinweisen von Leistungssportlern vor, die bei einer Auswertung der Ergebnisse der Ausscheidungen zur Bildung einer gemeinsamen deutschen Olympia-Mannschaft1 und der Ergebnisse der Olympiade des DDR-Mannschaftsteiles in Tokio2 beachtet werden sollten.
In den Aussprachen mit DDR-Aktiven wird ständig das relativ gute Abschneiden betont. Erfreut war man insgesamt über die Erringung der Mehrzahl an Olympiafahrkarten für den DDR-Mannschaftsteil.3 Die Ausscheidungskämpfe hätten nach Meinung der Athleten bewiesen, dass die DDR-Mannschaften und Einzelsportler in den letzten Jahren gute Ergebnisse erzielten und die westdeutschen Aktiven in ihren Bestleistungen überflügelt haben. Mit den Ausscheidungsergebnissen sei auch die großzügige Forderung des Sports in der DDR sichtbar geworden.
Im Zusammenhang mit der Bildung der gemeinsamen Olympiamannschaft wird vonseiten der DDR-Sportler stets die Notwendigkeit einer selbstständigen Olympia-Mannschaft betont. Sie begründen ihre Auffassungen mit den kräftezehrenden und nervenzermürbenden Ausscheidungskämpfen. Die meisten Leistungssportler lehnen eine zukünftige gemeinsame Mannschaft aus fachlich-technischen Gründen ab. In den Aussprachen vermisst man jedoch bei der Beurteilung dieser Situation, dass die Sportler die Notwendigkeit einer eigenen Olympiavertretung aus den konkreten politischen Bedingungen der Existenz zweier deutscher Staaten ableiten und begründen. Doch erkennen manche Sportler durchaus die von der Bonner Regierung organisierte politische Diskriminierung des DDR-Sports.
Meinungen, wie die des Langstreckenläufers Fritz Schmidt4 vom SC Turbine Erfurt, sind sinngemäß auch von anderen Sportlern geäußert worden. Er sagte: »Dies war nicht die letzte gesamtdeutsche Mannschaft. In der westdeutschen Regierung und damit auch in der westdeutschen Sportführung wird alles getan, um eine Anerkennung unserer Republik zu verhindern.« Daran wird nach seiner Meinung auch nichts ändern, dass zur Olympiade in Tokio die DDR die Mehrheit in der Mannschaft stellte. Weiter führte er aus, die Westdeutschen würden alles daran setzen, um 1968 wieder die Mehrheit zu erringen. Politiker und die Sportführung (Westdeutschlands) wären sich darin einig, nicht zwei deutsche Mannschaften nach Mexiko-City zu entsenden.
Besonders der Aufenthalt von DDR-Sportlern in Westdeutschland hat teilweise dazu beigetragen, die wahren Verhältnisse in Westdeutschland unseren Sportlern anschaulich zu machen. Während einige Sportler vor ihrer Reise nach Westdeutschland die Schilderungen der westdeutschen Verhältnisse bezweifelten und z. T. als »übertrieben« betrachteten, überzeugten sie sich nach ihren Angaben – persönlich mit der »vielgepriesenen Freiheit« konfrontiert – von der richtigen und wahrheitsgetreuen Berichterstattung unserer Publikationsorgane.
DDR-Athleten beobachteten z. B. wie sie sofort nach Passieren der Staatsgrenze von Beamten des Verfassungsschutzes ständig begleitet wurden. Diese »Beobachtungsposten« hätten auch immer wieder zu verhindern gewusst, dass sich Gespräche zwischen DDR-Sportlern und den westdeutschen Sportlern entwickelten. Unsere Sportler meinen dazu, solche Verhältnisse hätten nichts mit einer Gesetzlichkeit zu tun und ständen im krassen Widerspruch zur Aufstellung einer gemeinsamen deutschen Mannschaft für die Olympischen Spiele in Tokio.
Verschiedene Einzelergebnisse und andere Probleme der Ausscheidungen werden folgendermaßen eingeschätzt: Teilnehmer an den Olympiaausscheidungen beklagten sich mehrfach über die mangelnde Begeisterung für die Leistungen der DDR-Aktiven. Während der Ausscheidungskämpfe in der DDR sei den westdeutschen Sportlern oftmals ungerechtfertigt mehr Beifall gezollt worden. Beispielsweise haben die Leipziger Zuschauer bei den Ringerwettbewerben teilweise sogar gegen die DDR-Ringer gepfiffen. Für die Sportler der DDR seien dadurch ziemlich peinliche Situationen entstanden. (Unter anderem Meinung des Turners Erwin Koppe.5)
Die Ausscheidungskämpfe über 400 m Hürden in Westberlin schätzt der Hürdenläufer Achim Singer6 SC Karl-Marx-Stadt als »ruhig und sachlich gewesen« ein.
Unseren Hürdenläufern sei jedoch aufgefallen, dass sich der westdeutsche Hürdenläufer [Name 1] – Ersatzmann – auffällig um die DDR-Aktiven bemüht habe, sodass bei ihnen der Eindruck entstanden sei, [Name 1] wollte nicht nur über die Leistungsstärke der DDR-Sportler etwas erfahren, sondern auch DDR-Sportler abwerben.
Die Speerwerferin Helga Richter,7 ebenfalls SC Karl-Marx-Stadt, war wegen ihrer Nichtqualifizierung für Tokio ziemlich deprimiert. Sportlerinnen ihres Clubs schätzen diese Stimmung von Helga Richter jedoch so ein, dass ihr das Erringen der Mehrheit in der gesamtdeutschen Mannschaft gleichgültig gewesen sei und sie nur die persönliche Niederlage gegen Rosi Schubert8 vom SC Dynamo Berlin so verärgert habe.
Von verschiedenen Leichtathleten wird darauf hingewiesen, dass sie eine gründliche Auswertung der Ausscheidungen und der Olympiade von Tokio selbst erwarten und dass sie an diesen Auswertungen teilnehmen wollen.
Gleiche Forderungen wurden von Kanuten bekannt, z. B. von [Vorname Name 2] – DHfK Leipzig – mit dem Hinweis auf ihren »Einbruch« bei den Ausscheidungen mit Westdeutschland.
Siegfried Lück,9 DHfK, äußerte die Vermutung, die westdeutschen Sportler seien während der Ausscheidungen gedopt gewesen. Er machte diesen Hinweis nach Meinungsaustausch mit anderen Teilnehmern der Ausscheidungskämpfe. Einen Beweis zu erbringen, sei natürlich schwer, aber man müsse Folgendes sehen: Die drei besten Kanuten Westdeutschlands seien im Vierer gefahren. Erst der an vierter Stelle rangierende westdeutsche Sportler fuhr im Einer gegen Siegfried Roßberg.10 Zu dieser Zeit fuhr Roßberg in Hochform, sodass er bis zum Zeitpunkt der Ausscheidungen in seiner Klasse alles geschlagen hatte. Deshalb sei es völlig unwahrscheinlich, dass er gegen den westdeutschen Kanuten »unter normalen Bedingungen« verlor.
Im Zusammenhang mit den Ausscheidungen und den erkannten Methoden der Diskriminierung der DDR-Sportler gibt es einige Meinungen zum Komplex des zukünftigen internationalen Sportverkehrs unter den Bedingungen der NATO-Blockade, wobei ein gewisser Pessimismus und Resignationserscheinungen nicht zu übersehen sind.
Manfred Klieme11 – TSC Berlin/Radsport – war empört, an den diesjährigen Weltmeisterschaften in Frankreich nicht teilnehmen zu können, da erneut die Visaverweigerung durch das Travel-Board-Büro in Westberlin12 erfolgte.13 Er stellte dazu die Frage: »Wie lange soll das noch weitergehen? allmählich verlieren wir an internationalem Niveau«. (Diese Auffassungen sind häufig anzutreffen.) Klieme hat außerdem wenig Hoffnung, dass im Jahre 1965 DDR-Radsportler an den Welttitelkämpfen teilnehmen werden, da diese Wettbewerbe in Spanien stattfinden sollen.14
Manfred Weißleder,15 SC Karl-Marx-Stadt, beurteilt die gegenwärtige Lage im internationalen Sportverkehr nicht anders. Er betont, keinerlei Illusionen zu haben, dass »man uns an diesen Weltmeisterschaften teilnehmen lässt«.
Diese Stimmungen der verschiedenen Sportler beruhen auf den jahrelangen Erfahrungen, die sie im Kampf um die Zulassung an internationalen Veranstaltungen in NATO-Ländern gemacht haben.
Ebenso ungehalten reagieren unsere Sportler auf die in internationalen Wettbewerben mehr oder weniger offen praktizierten Methoden der Diskriminierung von DDR-Aktiven. Manfred Weißleder z. B. verwies auf den Skandal in Tokio, in dem es möglich war, den für Tokio qualifizierten DDR-Segler B. Dehmel16 von den Wettbewerben auszuschließen und den Westberliner Kuhweide17 dafür einzusetzen.18 Er kommentierte dieses Vorkommnis mit den Worten, »die machen sowieso mit uns, was sie wollen«. (Gemeint sind die westdeutsche Sportführung, das IOC usw.)
Ebenso empört über die Provokation der westdeutschen Sportführung gegenüber dem DDR-Sportler Bernd Dehmel ist der alpine Skisportler Eberhard Riedel19/SC Traktor Oberwiesenthal. Unter anderem tauchte bei ihm die Fragestellung auf, ob man nicht einmal zurückschlagen könne und mit einen Hieb, der sitzt.20
Gleichfalls wird dabei allgemein die Frage aufgeworfen, weshalb verantwortliche Sportfunktionäre immer noch und wiederholt nur mit »Protesten« reagieren, die kaum Wirkung erzielen und womit der offensichtlichen Benachteiligung der Aktiven kaum wirksam begegnet wird.
Ein weiteres Problem, welches die verschiedensten Sportler, aber auch sportinteressierte Menschen der DDR beschäftigt, bildet die Arbeitsweise und Wertungstätigkeit internationaler Schiedsrichter bei Wettbewerben unter Teilnahme von DDR-Aktiven.
Schon vor Beginn der Olympischen Spiele tauchte bei Sportlern die Frage auf, inwieweit eine Unterbewertung der DDR-Sportler erwartet werden könne. Nach Meinung des Turners Frank Tippelt21 sei eine Unterbewertung der Leistungen im Turnländerkampf gegen Rumänien und bei den Ausscheidungen erfolgt. Bei den Aktiven stoße die Tatsache, dass sie auch von Schieds- und Wettkampfrichtern aus den sozialistischen Staaten »verschaukelt« würden, auf Unverständnis.
Besondere Erregung löste die Wertungstätigkeit des Wettkampfgerichts beim Turmspringen der Damen in Tokio aus. Unter den Sportlern des SC Traktor/Oberwiesenthal, wie auch unter vielen Sportanhängern, hatte die Tätigkeit einiger Punktrichter Unverständnis und Missfallensäußerungen zur Bewertung der Springerin Ingrid Krämer-Engel22 hervorgerufen.
Wenig Verständnis brachte man dabei den Urteilen des sowjetischen Punktrichters entgegen, der die Leistungen von Ingrid Engel-Krämer zusammen mit dem amerikanischen Punktrichter extrem niedrig bewertete. Allgemein wird betont, von einem amerikanischen Punktrichter möglicherweise nicht mehr erwarten zu können, von einem sowjetischen Punktrichter dagegen eine korrektere Bewertung erwarten zu müssen, zumal stets die engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der SU hervorgehoben werden.
Der Sportler Eberhard Riedel meinte zu diesem Thema, er kenne es auch aus anderen Problemen, dass die Freundschaft bei Olympia-Kämpfen gänzlich aufhöre.23 Vielleicht tragen gewisse Erfahrungen unserer Aktiven bei solchen Gelegenheiten dazu bei, so ergänzte er noch, die Freundschaft mit etwas Skepsis und nur geringer Begeisterung zu pflegen.
Als Auswirkung derartiger Auffassungen könnte die Meinung des Ringers vom SC Leipzig, Hans-Jürgen Weichert,24 bewertet werden, welcher darüber erfreut ist, dass die Sowjetunion in diesem Jahr (bei den Olympischen Spielen) nicht so groß mit Medaillen herauskam.
Die Meinungen und Begründungen, die in der letzten Zeit in der SU verbreitet wurden, z. B. der verlorene Länderkampf gegen die USA sei auf die Vorbereitungen sowjetischer Sportler auf die Olympiade zurückzuführen, sei wohl doch nicht ganz zutreffend, kommentierte Weichert. Von einigen Sportfreunden wurde auf taktische Mängel während der Ausscheidungskämpfe mit Westdeutschland aufmerksam gemacht.
Barbara Göbel,25 SC Aufbau Magdeburg – Schwimmen –, wies in einer Aussprache darauf hin, dass sie im entscheidenden Kampf um die Olympiafahrkarte nach Tokio beim 200 m Brustschwimmen der Damen von den beiden DDR-Schwimmerinnen Küper26 und Grimmer27 um ihre Chance gebracht worden sei. Beide Schwimmerinnen hatten bereits ihre Teilnahmeberechtigung errungen, schwammen während des Brust-Wettbewerbs auf den letzten 25 m jedoch noch an ihr vorbei. Aufgrund ihrer Knieoperation hätte sie erheblichen Trainingsausfall und dadurch bedingt Konditionsschäden gehabt.
Durch eine solche taktisch schlechte Einstellung sei dem DTSB ein weiterer Platz in der gemeinsamen Olympia-Mannschaft verloren gegangen. Nach ihrer Darstellung schwammen Küper und Grimmer nicht um einen Platz in der gesamtdeutschen Mannschaft, sondern um die Prämie für den Sieg. Dagegen soll die westdeutsche Schwimmerin Wiltrud Urselmann28 gegenüber Barbara Göbel geäußert haben: »Wenn ich Zweite bin und Du schwimmst vor mir, dann bleibe ich Zweite, da ich meine Fahrkarte für Tokio bereits habe.«29
Zu den Ergebnissen der Ausscheidungen mit den westdeutschen Radsportlern vertritt Manfred Weißleder die Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn jeder unserer Fahrer um seine eigene Fahrkarte gefahren wäre. Bei dem Argwohn, den es unter unseren Fahrern gibt, sei der Modus, nur um Plätze zu fahren und die Teilnehmer dann später zu nominieren, nicht richtig gewesen. Er sieht darin einen der Gründe für das schlechte Abschneiden der DDR-Fahrer. Eine gewisse Enttäuschung war für ihn die Nominierung von Rittmeyer30 und Hoffmann31 für die Olympischen Spiele. Nach der derzeitigen Leistungsstärke hätten Eckstein32 und er fahren müssen.
Neben den Problemen der Ausscheidungen und der Olympiade spielen Fragen der Führungs- und Leitungstätigkeit im Sport eine bedeutende Rolle in Diskussionen der Sportler.
Mehrere Sportler vertraten Auffassungen, zu wenige Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu haben. Durch »Herumkommandieren«, durch Befehle und Anordnungen in den Clubs seien sie in ihrer Initiative eingeschränkt worden. Vor allem würden durch diese Methoden der Jugend die Begeisterung und Freude am Leistungssport genommen.
Der Turmspringer Rolf Sperling33 – Chemie Halle – führte zu diesem Problem an, es habe viel zu lange gedauert, bis der Sportfreund Kunert34 als Verbandstrainer abgelöst worden sei. Er habe in seiner »Amtszeit« viele junge Sportler vor den Kopf gestoßen. Kunert habe sich von niemandem etwas sagen lassen und nur die eigene Meinung als richtig gelten lassen. Bei ihm sei ein abwechslungsreiches Training nicht durchgeführt worden. Auch internationale Erfahrungswerte seien von ihm nicht genutzt worden. Sperling äußert Bedenken, dass Kunert eventuell noch einmal als Verbandstrainer zurückkehren könnte, da er nach Ansicht einiger Aktiver eine »starke Rückendeckung« im Verband besitze. Von allen Wasserspringern wird betont, die neuen Trainingsmethoden von Trainer Kinast35 bereiten wieder Freude am Leistungssport.
Ein weiteres Problem berührt der Langstreckenläufer Fritz Schmidt vom SC Turbine Erfurt, als er auf die formale Arbeitsweise bei der Einschätzung von Förderungsstellen zu sprechen kam.36 Nach seiner Meinung ginge man zu schematisch vor. Erreiche beispielsweise ein Sportler nach Ablauf einer Saison das abgesteckte Leistungsziel nicht, so wird ihm die Förderungsstelle gestrichen. Die meisten Sportler würden dann den Leistungssport einstellen, womit die finanziellen Mittel umsonst verausgabt wären. Die Beauftragten des DTSB würden nur mit Tabellen und statistischen Werten arbeiten und nur »Aktivposten« herausstreichen. Eine Untersuchung über die Ursachen der Nichterreichung von Leistungszielen vermisse man häufig, denn über die Ursachen würden auch keine Belastungs- und Trainingsprotokolle Auskunft geben.
Verwunderung löste beim Fußballtrainer R. Krause37 – SC Leipzig – die Nominierung von Bernd Bauchspieß38 – BSG Chemie Leipzig – für die Olympia-Mannschaft der DDR aus. Bei der Bildung des SC Leipzig sei es nicht möglich gewesen, Bauchspieß in die Club-Elf aufzunehmen, da er kadermäßig als unzuverlässig galt. Vom gleichen Trainer wurden dem Verteidiger Geisler39 die Zuwendungen wegen seiner schlechten Leistungen im September gekürzt.
Für beide Olympia-Teilnehmer – Frenzel40 und Geisler – strich er für den Monat Oktober sämtliche Zuwendungen, mit der Begründung, sie haben im Oktober nicht gespielt, könnten daher auch nicht berücksichtigt werden. Er beabsichtigt, die freigewordenen Mittel den Ersatzspielern zukommen zu lassen, die keine bestätigten Leistungssportler sind. Auch von den Stammspielern behielt er etwas ein, um insgesamt Sportlern ohne Förderungsstellen eine Zuwendung zukommen zu lassen.
Die beiden Olympia-Kandidaten Kleiminger41 und Liebrecht42 waren äußerst deprimiert, als ihnen bekannt wurde, dass sie für Tokio nicht nominiert wurden. Liebrecht konnte diese Entscheidung überhaupt nicht verstehen, da ihm der behandelnde Arzt sagte, dass er ihn »in ein paar Tagen wieder fit habe.« Die intensive Vorbereitung von Liebrecht und sein persönlicher Einsatz bei den Wettkämpfen würden diese Entscheidung als sehr hart erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang wird davon gesprochen, Soós43 gehe »über Leichen«.
Der Hockeyspieler Heini Kruse44 – SC Leipzig – komme nach eigener Ansicht für die Nationalmannschaft nicht mehr in Frage, nachdem man ihn schon nicht in die Olympia-Auswahl berufen habe. Nach seiner Meinung sei dies vor allem auf die unter Sportfunktionären noch vorhandenen und gegen ihn gerichteten Intrigen zurückzuführen. Für ihn sei es schwer gegen drei »Gegner« ankämpfen zu müssen. Alle seine früheren Kritiken würden ihm auch heute noch vom Verbandstrainer, vom Verbandsarzt und vom Sportfreund Ortelbach45/Sportleistungskomitee als Nörgelei und Nichteinhaltung der Disziplin vorgeworfen. Selbst Ausführungen, die er in Parteiversammlungen gemacht habe, würden ihm als »Negativum« angerechnet. Kruse ist gegenwärtig das einzige Parteimitglied in der Hockeymannschaft des SC Leipzig. Er beabsichtigt, in Zukunft den »Mund zu halten«.
Einige Hinweise von Aktiven zur Arbeit der Verbände und Sektionen
Den Nationalspielern der DDR-Fußballauswahl Roland Ducke46 und Harald Fritzsche47 – SC Motor Jena –, Manfred Kaiser48 – BSG Wismut/Aue – und Dieter Krampe49 – ASK Vorwärts Berlin – wurden die Prämienzuwendungen für die Nationalmannschaft gestrichen. Diese Maßnahme wird als grundlos bezeichnet, zumal niemand mit ihnen darüber gesprochen habe. Über diese Umgangsform ist Manfred Kaiser enttäuscht. Nach seiner Meinung wäre beim letzten Übungsspiel von den Trainern Soós und Studener50 keinerlei Andeutung gemacht worden, wozu sich jedoch dieser Rahmen bestens geeignet hätte. In der Zwischenzeit sei er, Manfred Kaiser, sogar noch einmal in Berlin gewesen, aber auch dabei sei kein Wort darüber verloren worden. In der Annahme, unzulängliche Leistungen seien das Motiv der Streichung, meinte Kaiser, dass durch den Einsatz der Olympia-Mannschaft die Länder- A-Auswahl kaum noch zusammen kam, sodass es ganz natürlich wäre, dass sie jetzt erst wieder eine Zeit brauchen werden, um sich einzuspielen.
Ducke ist über die Streichung der National-Mannschaftsprämie weniger erschüttert, bemerkt dazu nur, Hauptsache sei ihm, in der Nationalmannschaft zu verbleiben.
Trainer Heinz Leib51 – BSG Motor Steinach – weist darauf hin, dass es für ihn seit der Zugehörigkeit der Fußballmannschaft zur Oberliga kein selbstständiges Arbeiten mehr gebe. In den vergangenen Jahren habe sich kaum jemand um die Belange der Mannschaft gekümmert. Jetzt hätte man Steinach entdeckt und dabei hätte jeder etwas zu sagen. Bezirks- und Verbandstrainer kritisierten und würden an seiner Arbeit herumnörgeln.
Als äußerst undurchsichtig wird die gegenwärtige Situation in der Fußballelf des SC Empor Rostock bezeichnet. Obwohl der Fußballspieler Bialas52 den Club verlassen musste, habe sich die Atmosphäre nicht gebessert. Die Klagen gegen den Trainer Fritzsch53 seien bestehen geblieben, werden aber seit der Entfernung von Bialas nicht mehr so offen geäußert. Einige Spieler beabsichtigen, in Zukunft zu schweigen und wollen damit nicht ihre »internationale Karriere« verderben. Bei einigen Fußballspielern dieser Elf ist die Frage aufgetaucht, ob die Maßnahmen gegen Bialas gerechtfertigt gewesen seien, oder ob nicht besser Trainer Fritzsch hätte zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Diskussionen um eine Veränderung der Bereitstellung von Clubzuwendungen wurden durch den Fußballspieler Manfred Rump54 – SC Empor Rostock – bekannt. Er betont in einer Aussprache, zwar noch nichts Genaues zu wissen, jedoch nehmen die Spieler dieser Mannschaft an, dass in Kürze Änderungen in Kraft treten werden. Nach den ihn bekannten Hinweisen würden mit dem Inkrafttreten der Neuordnung eine wesentliche Verschlechterung und geringere materielle Anreize wirksam werden. Früher seien für jedes gewonnene Spiel weitaus höhere Beträge gezahlt worden. Die jetzt zur Auszahlung gelangenden Beträge würden von den Spielern als lächerlich empfunden. Die zur Auszahlung gelangenden Summen würden keinen Einfluss auf die Leistungen während der Spiele mehr haben. Rump erklärte, unter den Fußballern bestehe allgemein die Ansicht, dass bei anderen individuellen Sportarten höhere Beträge gezahlt würden.
Der Fußballspieler Habermann,55 ebenfalls SC Empor Rostock, war verärgert über die Ausreiseverweigerung nach Schweden während der Intercup-Runde.56 Er meinte, vermutlich habe man sich davon leiten lassen, dass seine Schwester in Schweden wohnhaft ist und er dort bleiben könnte. Es habe jedoch niemals Anlass gegeben, dass die eventuelle Meinung über ihn entstanden sei, er könnte republikflüchtig werden.
In einer Aussprache mit dem Fußballer Michael Faber57 – SC Leipzig wurde von ihm direkt die Frage gestellt, wann die Neuregelung der Zuwendungen für Fußballspieler in Kraft trete. Bei den Aktiven bestehen Unklarheiten, da diskutiert wird, dass die Zuwendungen nur auf einige Schwerpunktclubs konzentriert würden, während andere Clubs und BSGen nicht mehr berücksichtigt werden sollen.
Zu einigen persönlichen Problemen von Sportlern
Die Leichtathletin [Vorname Name 3] beklagte sich darüber, dass die Stadtverwaltung von Wernigerode ihr Zimmer in der elterlichen Wohnung anderweitig vergeben wolle, mit der Begründung, sie wäre sowieso kaum zu Hause und das Zimmer werde dringend benötigt.
Der Hochspringer [Vorname Name 4] – SC Empor Rostock – erlitt während des Trainings infolge von Überlastung eine Verletzung. Auf ärztliches Anraten soll er bis etwa Mai 1965 mit dem Training aussetzen. Er ist darüber enttäuscht, nicht in der ČSSR operiert zu werden. Nach seiner Meinung würde man anderen Sportlern diese Behandlung in der ČSSR ermöglichen, um sie schnellstens wieder für den aktiven Sport zurückzugewinnen. Er sieht keine Gründe, warum mit ihm nicht ähnlich verfahren wird.
Peter Göbel,58 ehemaliger Eiskunstläufer des TSC Berlin, wendet sich noch immer gegen seine Entfernung vom Leistungssport. Er führt dazu wörtlich aus: »Ich habe zwar vom Staatsrat eine Antwort erhalten, in der die Zufriedenheit über die glückliche Lösung für alle Beteiligten festgestellt wurde, jedoch stimmt dies keineswegs.« Nach seiner Meinung habe niemand einen »plausiblen Grund« nennen können, der zu dem Beschluss führte, ihn aus dem Leistungssport zu entfernen. Die Frau Peter Göbels sprach ohne Wissen ihres Ehemannes mit dem Generalsekretär des Deutschen Eislaufverbandes Jochen Grünwald.59 In dieser Aussprache soll Grünwald zu verstehen gegeben haben, dass man gegen Peter Göbel nichts habe und seine disziplinarischen Verfehlungen in der Vergangenheit heute nicht mehr im Vordergrund ständen. Grünwald hätte vielmehr angedeutet, dass man heute seitens des Verbandes lediglich aus Prestigegründen von dem damals gefassten Beschluss nicht mehr zurücktreten könne.
Von Helmut Recknagel60 werden in letzter Zeit nur noch Geldprobleme in den Vordergrund gestellt. Dabei ist auffällig, dass er die Regelung finanzieller Probleme in immer mehr fordernder Form stellt. Vom Clubleiter des SC Motor Zella-Mehlis, [Name 5], wird darauf hingewiesen, dass Recknagel wegen geldlicher Angelegenheiten den Vorschlag, Trainer zu werden, nicht angenommen hatte. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Ortrun Enderlein61 – SC Traktor Oberwiesenthal – unterhält gegenwärtig schriftliche Verbindungen zur republikflüchtigen62 Ute Gähler.63 Nach Angaben von Ortrun Enderlein habe Ute Gähler den Schriftverkehr eröffnet. Aus dem bisherigen Briefwechsel ist zu entnehmen, dass Ute Gähler z. Z. in Ulm wohnhaft ist, in einem größeren Betrieb als kaufm. Disponentin tätig ist und in geordneten Verhältnissen lebt. Sie betreibt gegenwärtig keinen Sport. Über die Ursachen ihrer Republikflucht hat sie sich bisher nicht geäußert. Ortrun Enderlein betonte, dass von Ute Gähler bisher keine Versuche unternommen worden sind, sie zu einer eventuellen Republikflucht zu überreden. Die enge Freundschaft beider sei der wahrscheinliche Grund, weshalb Ute Gähler den Briefwechsel aufgenommen hat. Von Ilse Geisler,64 ebenfalls Traktor Oberwiesenthal, wurde zum Grund der Republikflucht der Gähler noch angeführt, dass sie eine pro-westliche Einstellung hatte und nie besonders an ihrem »Zuhause oder an ihrer Arbeit hing«.