Besprechung der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR
8. Dezember 1964
Einzelinformation Nr. 1093/64 über eine Besprechung der Bischöfe und Mitglieder der Kirchenleitungen der evangelischen Kirche in der DDR
Die vorgenannte und schon längere Zeit geplante Besprechung fand am 2.12.1964 in der Hauptstadt der DDR statt. Die Besprechung wurde vom Landesbischof Krummacher1 (Vorsitzender der Bischofskonferenz auf dem Gebiet der DDR) geleitet. Zuverlässige Quellen berichteten nähere Einzelheiten darüber.
Bei den wichtigsten Fragen dieser Besprechung handelt es sich um die Berichterstattung der einzelnen Landeskirchen über aufgetretene Schwierigkeiten im innerkirchlichen Leben und Fragen des Wehrersatzdienstes.2
Von der Behandlung des ersten Punktes der Tagesordnung sind die Ausführungen zur sogenannten Kanzelabkündigung der Landeskirche Sachsen, die gegen das neue einheitliche sozialistische Bildungssystem gerichtet ist, hervorzuheben. Bischof Fränkel3 (Görlitz) hatte von den Teilnehmern an der Besprechung gefordert, zu dieser Kanzelabkündigung eine »Solidaritätserklärung« abzugeben. Landesbischof Mitzenheim4 widersprach dieser Forderung und verwies dabei auf die Beantwortung zu diesem Problem durch den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Alexander Abusch.5 Oberkirchenrat Knospe6 (Landeskirche Sachsen) hatte über das Zustandekommen der Kanzelabkündigung und die dadurch hervorgerufenen Differenzen berichtet. Knospe schilderte u. a. die Aussprache zwischen Vertretern des Rates des Bezirkes Leipzig und Landesbischof Noth7 und betonte, dass staatliche Stellen versucht hätten, Superintendenten und Pfarrer gegen die Verlesung der Kanzelabkündigung zu beeinflussen. Die sogenannte Solidaritätserklärung kam nicht zustande.
Wie weiter mitgeteilt wird, gab Generalsuperintendent Jacob8 einen Bericht über die kürzlich stattgefundene Synode seiner Kirchenleitung,9 wobei er allgemein theologische Probleme behandelte.
Obwohl schon auf der letzten Bischofskonferenz10 eine mündliche Erklärung zu Fragen des Wehrersatzdienstes, in der die betreffende Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR als humanitärer Akt begrüßt wurde, einstimmig angenommen wurde, versuchten reaktionäre Kräfte diese Frage erneut hochzuspielen. Bischof Krummacher erklärte auf der Besprechung am 2.12., dass er diesen Tagungsordnungspunkt deshalb zur Diskussion gestellt habe, weil ihm vom Landesbischof Jänicke11 (Magdeburg) ein entsprechendes Schreiben zugegangen sei. Es handelt sich dabei um den Antrag der Leitung der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, in welchem die Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates zwar begrüßt, zugleich aber auf die Ausarbeitung einer Stellungnahme zur Haltung der Wehrdienstverweigerer, die auch den Wehrersatzdienst ablehnen, hingewiesen wird (siehe dazu auch Information 1065/64 vom 28.10.1964 über eine Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR).
Bevor Bischof Krummacher diese Frage aufwarf, hatte Bischof Fränkel in der Diskussion ein Beispiel angeführt, wonach ein Wehrersatzdienstpflichtiger aus einer LPG in seinem Kirchenbezirk zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden sei, weil er den Dienstantritt in einem Baubataillon verweigert habe.
Als die in der Frage des Wehrersatzdienstes vor der Kirche stehenden und zu klärenden Probleme nannte Bischof Krummacher:
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was bedeutet »Dienst ohne Waffe«;
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welche Einsatzmöglichkeiten gibt es für den Wehrersatzdienst; werden die Baubataillone zur Errichtung militärischer Objekte herangezogen;
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wo ist die Grenze des unbedingten Gehorsams, der im Gelöbnis gefordert wird.
Bischof Krummacher gab weiter bekannt, dass nach seinen Informationen gegenwärtig vier Baubataillone bestehen würden, und zwar zwei in Prenzlau, eins auf Rügen und eins im Erzgebirge. Er schlug vor, Landesbischof Jänicke mit der Bildung einer Kommission zu beauftragen, die eine prinzipielle kirchliche Stellungnahme zur Frage der Wehrdienstverweigerung sowie eine entsprechende Orientierung für die Pfarrer in der DDR ausarbeitet.12
In der Diskussion nannte Oberkirchenrat Müller (Dessau) ein weiteres Beispiel der strafrechtlichen Verfolgung eines Wehrdienstverweigerers. Es handele sich dabei um einen Vikar Werner, dem man erklärt habe, dass Wehrersatzdienst gleich Wehrdienst sei. Oberkonsistorialrat Ringhandt13 (Berlin) erklärte, dass der Wehrersatzdienst ein »teuflischer Plan zur Täuschung der christlichen Wehrdienstverweigerer« sei. Die Baubataillone seien ein Teil der NVA. Ringhandt forderte von den Anwesenden, sich einheitlich für die Wehrersatzdienstverweigerung einzusetzen.
Gegen diese Forderung trat Bischof Mitzenheim auf und brachte zum Ausdruck, dass in keinem kapitalistischen Land für die christliche Bevölkerung eine solche Lösung wie der Wehrersatzdienst geschaffen worden sei und man es der Regierung der DDR hoch anrechnen müsse, in dieser Frage so human zu handeln.
Kirchenrat Stolpe14 (Berlin) habe bekannt gegeben, dass es bisher nur wenige Fälle von Wehrersatzdienstverweigerung gebe und die bisher in den Baubataillonen erfassten Christen sehr human behandelt würden und größtenteils beim Straßenbau, Holzeinschlag usw. beschäftigt seien.
Bischof Krummacher beauftragte nach Abschluss der Diskussion die Bischöfe Jänicke und Noth sowie den Generalsuperintendenten Jacob, sich noch einmal mit den Fragen des Wehrersatzdienstes zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, die der Regierung der DDR zugestellt werden soll. Bischof Krummacher habe dabei betont, dass bei dem bevorstehenden Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser15 die »Bedenken der Kirche zum Wehrersatzdienst« vorgetragen werden müssten.
Wie aus vertraulichen Gesprächen zwischen Teilnehmern der Besprechung bekannt wurde, erhielt Bischof Mitzenheim vom westdeutschen evangelischen Militärbischof Kunst16 am 10.11.1964 ein Schreiben, in welchem Bischof Kunst auf das Wartburg-Gespräch17 Bezug genommen habe. Er habe Bischof Mitzenheim um die Quellenangabe zu der Information gebeten, nach der Westdeutschland vom Papst eine ablehnende Antwort auf die Anfrage zur atomaren Bewaffnung Westdeutschlands erhalten habe. Bischof Kunst habe in seinem Schreiben erklärt, dass ihm eine Bonner Anfrage an den Papst zu diesem Problem nicht bekannt sei.
Bischof Mitzenheim habe in seinem Antwortschreiben den westdeutschen Militärbischof an den Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Walter Ulbricht, verwiesen. Den Schriftwechsel habe er Staatssekretär Seigewasser zugesandt. Weiter wurde mitgeteilt, dass Bischof Mitzenheim beabsichtige, Ehrenmitglied der CDU zu werden.18
Aus einem weiteren Gespräch wurde bekannt, dass Bischof Krummacher die Absicht verfolgt habe, auf der inzwischen stattgefundenen gemeinsamen Besprechung der Bischöfe der DDR und Westdeutschlands (nähere Einzelheiten darüber sind noch nicht bekannt) die westdeutsche Beteiligung an der MLF19 und die Frage der Verjährung von Nazikriegsverbrechen20 in Westdeutschland anzusprechen. Er hoffe, damit die Herstellung einer einheitlichen Haltung aller evangelischen Bischöfe zu diesem Problem beschleunigen zu können. Bischof Krummacher habe die staatlichen Organe von der Themenstellung dieser Zusammenkunft unterrichten wollen. Er verfolge die Absicht, dadurch in den Vordergrund gerückt zu werden, wolle jedoch selbst dazu nicht öffentlich Stellung nehmen.
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