Entgleisung eines Transportzuges der NVA
27. August 1964
Einzelinformation Nr. 698/64 über die Entgleisung eines Transportzuges der NVA auf der Strecke Halle – Sangerhausen
Am 26.8.1964, gegen 10.53 Uhr, entgleisten zwischen den Bahnhöfen Wanzleben/am See und Ammsdorf bei km 22,8 aus dem Transportzug 19094 der NVA insgesamt zwölf Güterwagen, davon vier Plattenwagen mit Räderfahrzeugen und acht, mit NVA-Angehörigen besetzte Mannschaftswagen mit allen Achsen. Ein Mannschaftswagen stürzte um, vier weitere legten sich schräg an die Böschung. Der Zug befand sich auf der Fahrt vom Übungsgelände Fermerswalde (Kreis Herzberg) nach Sondershausen. Er war besetzt mit einer Einheit des Mot.-Schützen-Regimentes Sondershausen.
Durch die Entgleisung wurden fünf NVA-Angehörige leicht verletzt und einer schwer. Die Verletzten wurden in das Krankenhaus Eisleben überführt.
Es entstand ein Materialschaden von ca. 1 000 MDN am Oberbau sowie an den Güterwagen.
Der aus Richtung Halle kommende Militärzug 19094, bestehend aus insgesamt 42 Wagen und einer Last von 818 t, befuhr den Streckenabschnitt in Richtung Eisleben mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in diesem Streckenabschnitt 50 km/h.
Die bisherigen Untersuchungen zur Unfallursache ergaben Folgendes: Kurz nach der Durchfahrt des Zuges am Schrankenposten 14 stellte der Lokführer eine Zwangsbremsung fest, die er sofort durch das Einleiten der Schnellbremsung und durch Sandstreuen unterstützte. Am Zugschluss stellte das Lokpersonal danach eine Staubentwicklung fest, die zu der Annahme führte, dass im Zug eine Entgleisung stattgefunden haben muss. Schleuderbewegungen des letzten Wagens des Zuges bzw. starke Geräusche aus der Richtung des durchfahrenden Zuges hatten zu gleicher Zeit auch die Schrankenwärter der Posten 13 und 14 festgestellt. Die Schrankenwärterin des Postens 14 gab daraufhin dem auf den Schrankenposten zukommenden Zug Haltesignale.
Die Untersuchungen ergaben, dass der Unfall durch eine Gleisverwerfung unter dem fahrenden Zug hervorgerufen wurde. Begünstigt wurde die Entgleisung durch die zzt. des Unfalls herrschenden hohen Temperaturen zwischen 30 und 32 Grad. Im bezeichneten Streckenabschnitt bestehen jedoch auch ernsthafte Mängel am Oberbau. Kurz vor und an der Unfallstelle befindet sich K-Oberbau, der im anschließenden Streckenabschnitt auf W- bzw. Federnageloberbau überwechselt (auf Holzschwellen). Die durchgeführten Vermessungen des Oberbaues vor und an der Unfallstelle ergaben hinsichtlich der Spurweite eine Toleranz bis maximal 12 mm. Ferner weist die Höhenlage des Gleises erhebliche Mängel auf. Circa 30 bis 40 % der Kleineisenteile waren nicht befestigt. In der Nähe des Unfallortes wurde eine Schienenwanderung von 18 cm im oberen Bogen und 15 cm im unteren Bogen gemessen. Die Bettung im Gleis ist stark verhärtet und weist eine Verschmutzung bis zu 40 % auf. Ebenfalls ist die Verspannung im K-Oberbau vor und am Unfallort als äußerst ungenügend zu bezeichnen.
Der mangelhafte Zustand der Strecke ist auf das nachlässige Arbeiten und die mangelhafte Kontrolle seitens der Reichsbahn zurückzuführen, wobei als Ursache der Unzulänglichkeiten von der Deutschen Reichsbahn Arbeitskräftemangel angegeben wird.
Die Strecke Sangerhausen – Halle war bis zum 26.8.1964, 15.15 Uhr, gesperrt und konnte von diesem Zeitpunkt an mit 10 km/h befahren werden; die Strecke Halle – Sangerhausen musste bis 26.8.1964, 22.00 Uhr, gesperrt werden.
1Im Zusammenhang mit der Zugentgleisung am 26.8.1964 ist festzustellen, dass sich seit 1961 bei Truppenbewegungen des Mot.-Schützen-Regiments Sondershausen insgesamt fünf Eisenbahnunfälle ereigneten, bei denen sieben Angehörige des Regimentes tödlich und einer schwer verletzt wurden. (1961 Unfall in Erfurt mit fünf Toten; 1962 Unfall im Bezirk Erfurt, wobei fünf Wagen auf einen davor fahrenden Zug aufstießen; 1963 Unfall bei Torgau, bei dem ein Offizier tödlich verletzt wurde; 1964 verunglückte ein Fdw. tödlich, als er die Oberleitung berührte; 26.8.1964 Unfall auf der Strecke Halle – Sangerhausen, ein Schwerverletzter.) Wenn ein Teil dieser Unfälle auch nicht durch die Deutsche Reichsbahn verschuldet wurden, so zeigt sich doch durch die Häufung der Unglücksfälle während des Transports eine negative Auswirkung auf die Moral der Truppe des Mot.-Schützen-Regiments Sondershausen.