Flucht nach Dänemark mit Motorbarkasse
25. August 1964
Einzelinformation Nr. 684/64 über illegales Verlassen der DDR mit der Motorbarkasse »Käptn Brass« aus Warnemünde
Am 22.8.1964, gegen 0.10 Uhr, hat die Motorbarkasse »Käptn Brass« aus Warnemünde die Hoheitsgewässer der DDR illegal verlassen und – wie durch Zeugenaussagen und eine offizielle Mitteilung des dänischen Zolls inzwischen bestätigt wurde – später in Gedser angelegt. Nach den bisherigen Ermittlungen haben mittels der Barkasse drei Personen illegal die DDR verlassen. Es handelt sich dabei um die Besatzungsmitglieder der Barkasse [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1940, Decksmann auf dem o. g. Schiff, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1941, Decksmann auf dem o. g. Schiff, und den Arbeiter der Warnow-Werft [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1940, alle wohnhaft in Warnemünde.
Die Motorbarkasse »Käptn Brass« (ca. 35 Plätze/Privateigentum) ist in Warnemünde stationiert und wird im Ausflugsdienst vornehmlich für Hafenrundfahrten eingesetzt. Der o. g. [Name 1] fungierte auf der Barkasse als Schiffsführer und hatte in dieser Eigenschaft auch die entsprechenden Schlüssel, die für den Zutritt zum Schiff und zum Inbetriebsetzen der Maschinenanlagen erforderlich sind, in Verwahrung. Mithilfe dieser Schlüssel haben sich die genannten Personen auf die unbewacht in Warnemünde liegende Barkasse begeben und sind mit dieser zunächst im alten Strom in Richtung Rostock gefahren. Im Seekanal wendete die Barkasse und fuhr dann von dort aus – offensichtlich nach genauer Erkundung der Lage – mit gelöschten Positionslampen in den neuen Strom. Im Schatten der Ostmole und des Fährschiffes fahrend – also unter erschwerter Landeinsicht – hat die Barkasse gegen 0.10 Uhr den Hafen Warnemünde verlassen; sie wurde von Land aus erst bemerkt, als sie bereits die Hafenausfahrt passiert hatte und in Richtung offene See fuhr.
Obwohl sofort der Operativ-Dienst des selbstständigen Grenzbataillons und der Grenzboots-Abteilung von dem Grenzdurchbruch verständigt wurden, erfolgte zunächst nur der Einsatz von vier Sicherungsbooten (ein Sicherungsboot wurde östlich von Kühlungsborn abgerufen und in Richtung Westmole Warnemünde eingesetzt, zwei Sicherungsboote in der Boltenhagener Bucht und ein Sicherungsboot in Richtung Gedser). Die Möglichkeit eines Grenzdurchbruchs in Richtung Dänemark wurde dabei ungenügend berücksichtigt. Für die im Hafen Warnemünde liegende Einsatzgruppe, die sich zu dieser Zeit in Ruhe befand, wurde erst um 1.05 Uhr Gefechtsalarm ausgelöst. Um 1.35 Uhr waren die Boote einsatzklar, durften jedoch den Hafen wegen Sperrung (Einlaufen von Raketenbooten) erst gegen 1.47 Uhr verlassen.
Da die Motorbarkasse »Käptn Brass« eine Geschwindigkeit von etwa 7 bis 9 sm läuft und unsere Sicherungsboote nur eine Geschwindigkeit von ca. 12 sm erreichen, bestand aufgrund der Verzögerungszeit keine Möglichkeit der Einholung mehr. Außerdem lässt der technische Zustand der Grenzboote insgesamt kaum eine Verfolgung von schnellen Booten zu; mehrere Boote der Grenzbrigade mussten deshalb bereits außer Dienst gestellt werden, ohne dass jedoch Ersatz dafür vorhanden wäre. Begünstigt wurde der Grenzdurchbruch auch dadurch, dass die VP, die für die Kontrolle der ein- und auslaufenden Kleinfahrzeuge verantwortlich ist, ihren Posten Stromwache zum wiederholten Male nicht besetzt hatte. Das Fehlen des bereits seit längerer Zeit geplanten Turmes im Hafeneinfahrtsgelände, der mit optischen und pyrotechnischen Mitteln ausgerüstet werden soll, machte es unmöglich, das Fahrzeug von Land aus längere Zeit unter Kontrolle zu halten und damit einen konzentrierten Einsatz der Schiffseinheiten zu gewährleisten. Über die Ausnutzung der technischen Möglichkeiten der auf See befindlichen Schiffe werden gegenwärtig noch Untersuchungen geführt.
Vom dänischen Zoll ist inzwischen ein Telegramm eingegangen, in dem mitgeteilt wird, dass die Motorbarkasse mit drei Personen besetzt in Gedser angelegt hat. Entsprechende Maßnahmen zur Rückführung des Bootes werden eingeleitet.
Weitere Untersuchungen zur näheren Aufklärung des Grenzdurchbruches, der begünstigenden Bedingungen und der daran beteiligten Personen werden gegenwärtig noch geführt.