Flucht von vier Jugendlichen bei Wernigerode
1. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 365/64 über einen Grenzdurchbruch von vier Jugendlichen am 30. April 1964 nach Westdeutschland
Am 30.4.1964, gegen 17.30 Uhr, durchbrachen im Bereich der Kompanie Scharfenstein/Eckertal/Harz die vier Jugendlichen [Name 1, Vorname], 24 Jahre alt, wohnhaft Stendal, Beruf: Eisenbieger, [Name 2, Vorname], 15 Jahre alt, wohnhaft Wernigerode, [Straße, Nr.], Schüler der Klasse 7 der Wilhelm-Raabe-Schule in Wernigerode, [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948, wohnhaft Wernigerode, [Straße, Nr.], Beruf: Klempnerlehrling bei der PGH Installation und Montage in Wernigerode, [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1950, wohnhaft Wernigerode, [Straße, Nr.], Schüler der Klasse 7 der Wilhelm-Raabe-Schule in Wernigerode, die Grenze nach Westdeutschland. Die Grenzverletzter wurden zwar von einer im Grenzgebiet mit dem Bau eines Beobachtungsturmes beschäftigten Pioniereinheit rechtzeitig bemerkt, doch der Leiter dieser Einheit fasste nicht den Entschluss, diese Personen festzunehmen, sondern benachrichtigte den unmittelbar eingesetzten Sicherungsposten. Durch diese Verzögerung war es den Jugendlichen möglich, bis an die Grenze vorzudringen.
Die Anrufe und Warnschüsse des inzwischen verständigten Sicherungspostens, bei dem sich auch der Stabschef des Bataillons und der Kompaniechef der Kompanie Scharfenstein befanden, wurden von den Grenzverletzern ignoriert. Daraufhin wurden 35 gezielte Schüsse auf die Jugendlichen abgegeben, denen es bereits gelungen war, westdeutsches Gebiet zu betreten. Während die beiden Grenzverletzer [Name 3] und [Name 4] wieder auf das Territorium der DDR zurückkamen und festgenommen wurden, verblieben die beiden anderen Jugendlichen auf westdeutschem Gebiet. Nach Aussagen von [Name 3] und [Name 4] war [Name 1] durch einen Bauchschuss verletzt worden, [Name 2] brachte sich unverletzt in Deckung.
Noch während der Abgabe der Schüsse erschien auf westdeutschem Gebiet ein Zöllner, der mit einem Schnellfeuergewehr vier bis fünf Schuss in die Luft abgab und somit den Grenzverletzern Feuerschutz gewährte. Dabei rief er den Grenzverletzern zu, sie sollten stehen bleiben, es passiere ihnen nichts mehr. Anschließend wurden der verletzte [Name 1] und der [Name 2] von weiteren inzwischen hinzugekommenen Zöllnern in einem Wagen abtransportiert.
Die sofortigen Vernehmungen der festgenommenen [Name 3] und [Name 4] ergaben, dass [Name 2], [Name 3] und [Name 4] bereits am 29.5.1963 im gleichen Gebiet die Staatsgrenze nach Westdeutschland durchbrochen hatten, dann aber ihre Rückführung in die DDR beantragten und im August 1963 auch zurückkehrten. Der neuerliche Grenzdurchbruch wurde von [Name 1] vorgeschlagen, und die vier Grenzverletzter verabredeten sich für den 30.4.1964, 8.00 Uhr, in Wernigerode, Westerntor. Von dort aus begaben sie sich ins Grenzgebiet. Als Motiv gab [Name 3] an, er sollte am 4.5.1964 wegen eines gemeinsam mit [Name 2] begangenen Diebstahls in einen Jugendwerkhof1 eingewiesen werden. Dieser Einweisung wollten sie sich durch eine Republikflucht entziehen. [Name 4] hatte die Absicht, zu seinem Vater zu gehen, der in Heidelberg wohnhaft sein soll.