Fluchtversuch mit einem Motorflugzeug
4. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 356/64 über die Verhinderung eines versuchten Grenzdurchbruchs mittels eines Motorflugzeuges des GST-Stützpunktes Gera am 28. April 1964
Am 28.4.1964, gegen 4.00 Uhr, erbrachen die Jugendlichen [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1944 in Eilenburg, wohnhaft Eilenburg, [Straße, Nr.], Ausbilder für Segelflugsport, Inhaber der C-Prüfung, und [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946 in Borsdorf, wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], Betonfacharbeiter beim VEB Bauunion Leipzig, die Flugzeughalle des GST-Flugstützpunktes Gera-Leumnitz, um das dort stationierte zweisitzige Motorflugzeug vom Typ »Trener« zum Zwecke eines Grenzdurchbruches zu entwenden. Die Täter wurden dabei durch die auf dem Flugstützpunkt wohnende Hausmeisterin bemerkt, als sie das Tor der Flugzeughalle bereits von innen erbrochen hatten und das Flugzeug aus der Halle schoben. (Die Täter waren durch ein zertrümmertes Dachfenster in die Flugzeughalle gelangt.) Die Hausmeisterin schoss daraufhin sofort eine rote Leuchtkugel ab, die von einem vorbeifahrenden Schichtbus der Wismut aus gesehen wurde. Durch das sofortige Reagieren der Insassen, die mit dem Bus sofort auf den Flugplatz fuhren, konnten die Täter festgenommen werden.
In der ersten Vernehmung gaben beide Täter bereits zu, mithilfe des Motorflugzeuges einen Grenzdurchbruch geplant zu haben.
Dieses Vorhaben wurde, wie eine sofortige Tatortbesichtigung ergab, durch folgende Mängel in der Absicherung des Flugstützpunktes begünstigt:
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ungenügende Bewachung des Flugstützpunktes (hierfür ist lediglich die im Bericht genannte Hausmeisterin zuständig);
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die Telefonleitung des Stützpunktes ist vom Dach aus zugänglich. (Die Täter hatten diese beim Einstieg bereits zerstört, sodass eine Verständigung zur sofortigen Herbeirufung anderer Kräfte nicht möglich gewesen wäre.) Ein Antrag zum Legen einer Erdleitung liegt bei der Post vor, wurde aber bis jetzt noch nicht ausgeführt.
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Fehlen einer Alarmanlage, die bei Betreten der Halle bzw. beim Öffnen der Türen wirksam wird;
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die am Flugzeug vorgenommene Sicherung (Entfernung des Luftfilters) zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Benutzung war ungenügend.
Vom MfS waren aufgrund vorliegender Hinweise über Mängel in der Sicherung dem Vorsitzenden des Bezirksvorstandes der GST am 21.4.1964 Maßnahmen zur Gewährleistung einer besseren Absicherung der Flugstützpunkte unterbreitet worden, die jedoch, wie die erste Tatortbesichtigung zeigte, noch nicht durchgesetzt worden sind. Die erforderlichen Maßnahmen zur näheren Aufklärung der gesamten Umstände dieses beabsichtigten Grenzdurchbruches mit einem Motorflugzeug der GST wurden eingeleitet.
In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass die weiteren Untersuchungen der am 16.4.1964 durchgeführten Republikflucht mithilfe eines Motorflugzeuges des GST-Flugstützpunktes Halle-Nietleben ebenfalls eine Reihe von Hinweisen auf Mängel bei der Absicherung des Stützpunktes erbrachten, die die Durchführung des Grenzdurchbruches mit dem Flugzeug begünstigten.
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Das entwendete Motorflugzeug war – von den Tragflächen ausgehend – mit einem einfachen Hanfseil in der Erde verankert und die beweglichen Flugzeugteile (z. B. Kabinendach, Höhen- und Seitenleitwerk) waren verplombt. Das bot jedoch keine zuverlässige Sicherheit, da die Verplombung des Flugzeuges ohne Schwierigkeiten gelöst und die Maschine startklar gemacht werden kann. Das Hanfseil konnte ohne Risiko zerschnitten werden.
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Das Motorflugzeug befand sich in einem guten, technischen Zustand und war voll aufgetankt. (Letzteres entspricht der »Vorschrift für den flugtechnischen Dienst« der GST aus dem Jahre 1957, basierend auf einer entsprechenden Dienstvorschrift der NVA-Luft, die noch heute gültig ist. Die volle Betankung wäre erforderlich, um die Bildung von Kondenswasser im Tank und eine damit verbundene Gefährdung der Flugsicherheit zu verhindern.)
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Außer den genannten »Sicherungen« am Flugzeug war lediglich der Akku ausgebaut. Bei dem betreffenden Flugzeugtyp ist jedoch im Prinzip auch ohne Akku ein Start möglich.
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Die Umzäunung der frei stehenden Flugzeuge ist in Richtung des Flugfeldes unterbrochen. Dadurch konnte das Flugzeug nach Entfernen der Verankerung und Verplombung mühelos auf das Rollfeld geschoben und von dort gestartet werden.
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Die Flugzeughalle des Stützpunktes ist seit vier Monaten wegen defektem Schloss nicht verschlossen. Dadurch konnten die Täter ohne Schwierigkeiten einen Akku aus der Halle entwenden und damit einen sicheren Start durchführen. (Durch eine Nachlässigkeit war der Akku nicht in dem dafür vorgesehen Raum eingeschlossen worden.) Die Verwaltung der technischen Einrichtungsgegenstände des Flugstützpunktes erfolgt allgemein sehr nachlässig und es besteht keine genaue Übersicht.
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Als Wächter des Flugstützpunktes war lediglich eine ältere Person (71) eingesetzt, die zudem noch als politisch unzuverlässig galt. (Nach Aussagen des Wächters hatte er – entgegen den Wachvorschriften – in der fraglichen Zeit, von ca. 0.30 bis 3.00 Uhr, keinen Kontrollgang durchgeführt.) Die im Jahre 1962 zwischen dem Flugstützpunkt und dem zuständigen VPKA Halle getroffene Vereinbarung, den Flugstützpunkt stärker durch die VP-Kräfte mit zu kontrollieren (z. B. häufiger Streifendienst, Einsatz der Hundestaffel der VP) wurde durch das VPKA nicht eingehalten. Darüber hinaus hatte die Leitung des GST-Stützpunktes seit längerer Zeit Anstrengungen unternommen, um durch das VPKA Halle VP-Angehörige als ständige Sicherungskräfte zu erhalten. Dieser Vorschlag wurde vom ZV der GST aufgegriffen, um für die DDR eine generelle Regelung zu erreichen. Die über den Minister für Nationale Verteidigung, Genossen Armeegeneral Hoffmann, an das MdI weitergeleitete Bitte, entsprechende Kräfte zur Verfügung zu stellen, wurde vom MdI wegen fehlender Mittel für zusätzliche Kräfte abgelehnt.
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Eine zweckentsprechende Alarmeinrichtung zur Benachrichtigung der nächsten VP-Dienststelle ist nicht vorhanden. Die Beleuchtung des Objektes – besonders der Umgebung der abgestellten Flugzeuge – ist völlig unzureichend.
Trotz dieser das Verbrechen begünstigenden Bedingungen hätte der Grenzdurchbruch noch verhindert werden können, wenn die Volkspolizisten, die auf den Anruf des niedergeschlagenen Wächters hin gegen 3.20 Uhr am Tatort eintrafen, gemeinsam mit dem vernehmungsfähigen Wächter eine zahlenmäßige Überprüfung der abgestellten Flugzeuge vorgenommen und sofort die Luftabwehr verständigt hätten. (Dem Wächter war bekannt, dass insgesamt acht Flugzeuge abgestellt waren.) Zu diesem Zeitpunkt wäre ein Abfangen der Maschine durch die Luftabwehr der DDR offensichtlich noch möglich gewesen, da nach bisherigen Überprüfungen die Staatsgrenze der DDR erst gegen 3.45 bis 4.00 Uhr überflogen wurde.