Fluchtversuch mit tödlichem Ausgang
4. August 1964
Einzelinformation Nr. 608/64 über einen verhinderten gewaltsamen Grenzdurchbruch mit tödlichem Ausgang für den Grenzverletzer im Raum Neuenbau, [Kreis] Sonneberg, [Bezirk] Suhl, am 3. August 1964
Am 3.8.1964, gegen 2.10 Uhr, wurde der [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1915 in Meuselbach, wohnhaft Neuenbau, [Straße, Nr.] (500 m Sperrgebiet), Monteur im VEB Elektrotechnische Werke Sonneberg, verheiratet, vier Kinder, Mitglied der SED, beim versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruch im Raum Neuenbau, [Kreis] Sonneberg, von den Grenzsicherungsposten der NVA gestellt und festgenommen. Da [Name 1] den wiederholten Aufforderungen der Grenzposten, stehen zu bleiben, nicht Folge leistete und auch trotz Einsatz eines Diensthundes und der Abgabe von Warnschüssen sich weiter in Richtung Grenze bewegte, eröffneten die Grenzposten gezieltes Feuer. Dadurch wurde der Grenzverletzer an beiden Beinen schwer verletzt, sodass er in das Krankenhaus Sonneberg eingeliefert werden musste, wo er an den Folgen der Verletzungen verstarb.
Bei der Festnahme führte [Name 1] eine Pistole 08 mit gefülltem Magazin (drei Schuss) und in einer Gasmaskenbüchse weitere 116 Schuss Munition bei sich.
In der bisherigen Untersuchung durch das MfS wurde Folgendes festgestellt: [Name 1] hielt sich am Abend des 2.8.1964 anlässlich einer Tanzveranstaltung in der Konsumgaststätte in Neuenbau auf. Bereits während der Tanzveranstaltung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen [Name 1] und dem Bürgermeister von Neuenbau, in deren Verlauf [Name 1] behaupte, vom Rat der Gemeinde falsch beurteilt worden zu sein, als er im Frühjahr 1964 wegen Staatsverleumdung zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Nach Ende der Tanzveranstaltung gegen 0.20 Uhr auf dem Heimweg überholte die Familie [Name 1] den Sekretär für Industrie und Bauwesen der SED-Kreisleitung Neuhaus [Vorname Name 2], der ebenfalls mit seiner Ehefrau die Veranstaltung besucht hatte.
Beim Überholen des Ehepaares [Name 2] äußerte [Name 1] in auffälliger Weise: »Komm, lass die Kommunisten in Ruhe!« Kurz danach drehte sich [Name 1] nochmals um und sagte zur Familie [Name 2] gewandt: »Ihr Lumpen!« Als Genosse [Name 2] den [Name 1] aufforderte, er solle sich beherrschen, riss sich dieser von seiner Frau los und schlug den Genossen [Name 2] zu Boden. Anschließend schlug er auf die Ehefrau des [Name 2] ein.
Erst durch das Einschreiten von zwei Bürgern konnte die tätliche Auseinandersetzung beigelegt und [Name 1] zum Nachhause gehen veranlasst werden. Durch einen Bürger wurde anschließend die Grenzkompanie von diesem Vorkommnis in Kenntnis gesetzt. Da sich das Wohnhaus des [Name 1] in unmittelbarer Grenznähe (ca. 150 m von der Staatsgrenze entfernt) befindet, wurden entsprechende Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. Gegen 2.10 Uhr wurde durch den Beobachtungsposten festgestellt, dass [Name 1] seine Wohnung verließ und in Richtung Staatsgrenze lief, wo seine Festnahme erfolgte. Da [Name 1] am 3.8.1964 aufgrund der erlittenen Verletzungen noch nicht vernehmungsfähig war und um 21.55 Uhr verstarb, konnte die Herkunft der Waffe und Munition noch nicht geklärt werden. Weitere Ermittlungen in dieser Richtung werden geführt. Nach Aussagen der Ehefrau hatte sie keine Kenntnis vom Waffenbesitz des Mannes. Anzeichen eines illegalen Verlassens der DDR durch die Ehefrau des [Name 1] wurden bisher nicht festgestellt.
[Name 1] war von 1946 bis 1950 Angehöriger der Grenzpolizei (zuletzt Oberwachtmeister). Er war am Wohnort nicht gut beleumundet. Trotz seiner Parteizugehörigkeit wurde seine politische Einstellung als negativ beurteilt. Er war jähzornig und ging wiederholt gegen Bürger wegen Kleinigkeiten tätlich vor. Anfang 1964 wurde er vom Bezirksgericht in Meiningen wegen Staatsverleumdung zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.