Gewerkschaftstagung im Werk für Fernsehelektronik
25. Februar 1964
Einzelinformation Nr. 149/64 über eine Gewerkschaftstagung im VEB Werk für Fernsehelektronik, Berlin-Oberschöneweide, am 14. Februar 1964
Dem MfS liegen Hinweise über eine im VEB Werk für Fernsehelektronik am 14.2.1964 durchgeführte Gewerkschaftstagung mit 150 Gewerkschaftsvertrauensleuten vor, die das Ziel hatte, alle Mitarbeiter des Betriebes zur Aufklärung und zur Beseitigung der im Werk für Fernsehelektronik aufgetretenen feindlichen Vorkommnisse und der Verstöße gegen die Ordnung zu mobilisieren.
Der Verlauf der Tagung zeigte, dass die Gewerkschaftsvertreter offen und ehrlich zu den aufgetretenen Problemen Stellung nahmen und dabei die im Betrieb herrschenden Zustände und die dafür verantwortlichen Funktionäre kritisierten.
Der die Tagung eröffnende BGL-Vorsitzende, Genosse Greczko, ging in seinem einleitenden Referat besonders auf die in den letzten Monaten im Betrieb aufgetretenen Brände und staatsfeindlichen Handlungen ein. Er schilderte, dass es sich bei den drei Bränden um vorsätzliche Brandstiftungen gehandelt hätte, die alle auf dem gleichen Gelände gelegt worden seien. Diese Brandstiftungen sowie die staatsfeindlichen Handlungen (Verbreiten von Hetzschriften, Schmierereien u. Ä.) seien auf eine staatsfeindliche Gruppe zurückzuführen, die im Betrieb ihr Unwesen treibe. Es sei deshalb in den AGL und einzelnen Gewerkschaftsgruppen notwendig, Auseinandersetzungen über negativ aufgetretene Betriebsangehörige zu führen. Man müsse jene Kollegen namentlich ansprechen, die durch ihr Verhalten Ordnung und Sicherheit im Betrieb negativ beeinflussen. Man werde auch nicht davor zurückschrecken, notfalls einige aus dem Betrieb zu entfernen. (Die restlichen Ausführungen des Genossen Greczko bezogen sich dann auf ökonomische Erfolge und Fragen der allgemeinen Wachsamkeit.)
Als erster Diskussionsredner sprach der Genosse Neukrantz,1 Vorsitzender des FDGB von Großberlin. Er ging ebenfalls von den bereits erwähnten drei Bränden aus, die zielbewusst gelegt worden seien und bezahlte und zielgerichtete Aktionen des Gegners darstellen. Sie seien immer im Zusammenhang mit bestimmten politischen Ereignissen – letztmalig anlässlich des 5. ZK-Plenums –2 aufgetreten. Sie seien Ausdruck dafür, dass der Gegner die Erfolglosigkeit seiner wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen eingesehen hätte und nun dazu übergehe, seine Agenten mit direkten Diversionshandlungen zu beauftragen. Die Aktionen seien von einer im Betrieb bestehenden Gruppe des Ostbüros der SPD3 durchgeführt worden, deren Mitglieder sich gegenüber anderen Personen tarnten. Darüber hinaus gäbe es im Werk für Fernsehelektronik weiterhin einen großen Teil von Kollegen, die grundsätzlich über alle Erscheinungen negativ diskutieren. Es sei Aufgabe der Tagung, sich darüber zu unterhalten. Jeder ehrliche Arbeiter müsse mit dafür sorgen, dass den Verbrechern im Betrieb das Handwerk gelegt würde.
In der sich anschließenden Diskussion sprachen elf Kollegen, wobei acht konkret auf die Fragen der inneren Ordnung und Sicherheit eingingen. Unter anderem kritisierten zwei Kolleginnen aus dem kaufmännischen Sektor, dass die Werkleitung aus den bisherigen Bränden – vor allem aus dem Großbrand im September 1963 – nicht die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen hätte. Das beweise sehr deutlich die völlig ungenügende Absicherung des Lagergeländes Ostendstraße (Rohstoff- und Glaslager), wo im September 1963 der Großbrand ausgebrochen sei. Sowohl Werkleitung als auch BPO und BGL seien bereits vor drei Monaten schriftlich auf die bestehenden Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht worden, ohne dass darauf reagiert worden sei.
Der stellvertretende Leiter des Rohstofflagers Kollege [Name] erklärte ebenfalls, dass das Lagergelände Ostendstraße jedem Betriebsangehörigen unkontrolliert offen stehe. Durch den jetzt dort tätigen Baubetrieb sei auch die Außenabsicherung gegenüber Betriebsfremden nicht gewährleistet. Niemand könne sagen, wer das Gelände überhaupt betritt.
Ein anderer Kollege erklärte, dass der geschilderte Zustand auch für die Berliner Außenlager des Betriebes zuträfe. Er habe am 13.2.1964 ein Außenlager besucht, in dem Werte von ca. 200 TDM unter ungünstigsten Bedingungen und völlig ungeordnet lagern. Die Lagertore würden nur mit Steinen zugehalten, die Zäune seien verkommen und das Lager dadurch für jedermann zugänglich. Das Lager mache den Eindruck, als wolle man die Materialien mutwillig verkommen lassen.
Auch die weiteren Diskussionsredner bestätigten fast ausschließlich die Feststellungen der angeführten Kollegen. Einige Kollegen brachten weiterhin zum Ausdruck, dass es aufgrund der bisherigen Brände und der Zustände im Lagergelände Ostendstraße eine Reihe von Mitarbeitern ablehne, weiterhin dort zu arbeiten. Man wolle nicht in den Verdacht der Brandstiftung geraten.
Nach diesen Diskussionen schlug der Genosse Greczko als Versammlungsleiter den Abschluss der Diskussion vor, um die Versammlung nicht weiter auszudehnen. Mehrere Kollegen machten daraufhin Zwischenrufe in der Richtung, dass es wohl unangenehm sei, solche Dinge zu hören, deshalb auch der plötzliche Abbruch.
Abschließend diskutierte noch der Parteisekretär des Betriebes, Genosse Jacobson. Er brachte sinngemäß zum Ausdruck, dass die Staatsfeinde im Werk für Fernsehelektronik jetzt offen mit Hetzschriften, Schmierereien und Plakatbeschädigungen in Erscheinung träten. Im Betrieb sei eine staatsfeindliche Gruppe tätig, die unter dem Einfluss des SPD-Ostbüros handle. (Das würde durch den Text der Hetzschriften bewiesen.) Weiterhin gäbe es aber auch provokatorische Ausfälle von Kollegen, über die man sich stillschweigend hinwegsetze. Es komme jetzt darauf an, die Unruhestifter und im Auftrage des Feindes tätigen Personen unschädlich zu machen. In Gewerkschaftsversammlungen müsse man dazu offen Stellung nehmen. Wer nicht ehrlich arbeite und sich als unverbesserlich erweise, werde aus dem Betrieb entfernt. Die für die Unordnung, die mangelnde Wachsamkeit und die aufgezeigten Missstände Verantwortlichen müssten bestraft werden. (Bei letzteren Ausführungen kam der Zwischenruf: »Das darf aber nicht nur unten so sein!«)
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen sind die von den Diskussionsrednern aufgezeigten Missstände und Mängel der Werkleitung, der Parteileitung und der BGL schon längere Zeit bekannt. Sie wurden bereits wiederholt angesprochen, ohne dass jedoch eine Veränderung erfolgte.
Durch den vorzeitigen Abschluss der Diskussion – offensichtlich bestand noch Interesse, weiter in dieser Richtung liegende Ausführungen zu machen – wurde u. E. eine günstige Möglichkeit vertan, noch mehr solcher Hinweise zur Lage im Betrieb, auch zum Verhalten und Auftreten einzelner Belegschaftsangehöriger, zu erhalten, die für die weitere Arbeit im VEB Werk für Fernsehelektronik von Bedeutung sein könnten.