Großbrand im Leipziger Gummiwerk »ELGUWA«
4. August 1964
Einzelinformation Nr. 613/64 über den Großbrand im VEB Leipziger Gummiwerk » ELGUWA«, Werk III, Leipzig W 33, Endersstraße, am 30. Juli 1964
Nachdem sofort nach Bekanntwerden des Großbrandes im VEB Leipziger Gummiwarenfabrik Leipzig das MfS in Verbindung mit der VP Untersuchungen zum Sachverhalt aufgenommen hatte, kann folgendes Ermittlungsergebnis zusammengefasst werden:
Am 30.7.1964, gegen 14.00 Uhr, brach im VEB Leipziger Gummiwarenfabrik, Betriebsbereich III, Leipzig W 33, Endersstraße 24–32, in der I. Etage des Gebäudes Schaumgummiproduktion ein Brand aus, der sich in der weiteren Folge auf die II. Etage des gleichen Gebäudes ausdehnte. Dabei wurde in beiden Etagen die gesamte Einrichtung für die Produktion von Schaumgummi vernichtet.
In der I. Etage befanden sich die Gütekontrolle und das Fertiglager für die Schlagschaumproduktion (Plattenmaterial) sowie die Trocknung für die Treibschaumproduktion (Formstücke wie Sitze für Kraftfahrzeuge usw.) In der II. Etage waren die Schlagschaumgummiproduktion, zwei Gießbänder, ein Vulkantunnel, eine Waschanlage, eine Trockenmaschine und ein Transportband für den Transport der fertigen Schaumgummiplatten zur Gütekontrolle in die I. Etage untergebracht.
Der Brandschaden beläuft sich nach bisherigen Schätzungen auf ca. eine Million Mark, einschließlich Gebäudeschaden. Durch den Produktionsausfall und die damit verbundene Nichtbelieferung der Fahrzeug- und Möbelindustrie entsteht ein Nachfolgeschaden, der in seinem gesamten Umfang noch nicht zu überblicken ist. Die Bestimmung der tatsächlichen Höhe des Nachfolgeschadens wird davon abhängig sein, wie, wann und in welchem Umfange die Produktion wieder aufgenommen bzw. die Nutzung der Kapazitäten anderer Betriebe erreicht werden kann.
Infolge des Brandes wurden zehn Personen verletzt, wovon sich noch sechs Personen in stationärer Behandlung befinden. Bei einer Person besteht noch Lebensgefahr. Bei den Verletzungen handelt es sich um Rauchvergiftungen, Verbrennungen 1. und 2. Grades und bei dem Schwerverletzten um komplizierte Knochenbrüche sowie innere Verletzungen, die durch einen Sprung aus dem Fenster der II. Etage entstanden.
Die Untersuchungen zur Entstehung des Brandes ergaben, dass der Brand vom Arbeitstisch der Arbeiterin [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1928, wohnhaft Leipzig O 3, [Straße, Nr.], ausging. Die Arbeiterin [Name 1] arbeitete bei Brandausbruch in der Gütekontrolle der Schaumgummifertigung, die sich in der I. Etage des brandgeschädigten Gebäudes befand. Sie hatte die Aufgabe, schadhafte Stellen an den Schaumgummiplatten, die in der II. Etage produziert und über ein Transportband in die I. Etage gelangen, auszubessern.
Dazu werden die 2×1 m großen und 3 bis 4 cm starken Gummiplatten auf Arbeitstische gelegt, die aus einem Eisengestell und einer Aluminiumplatte bestehen. Danach werden die aufgelegten Schaumgummiplatten mit den Händen bestrichen, um so eventuell schadhafte Stellen (Risse, Löcher usw.) festzustellen. Schadstellen werden mit einer Gummilösung eingestrichen und nach einiger Zeit der Trocknung mit den Händen zusammengedrückt. Die Arbeiterin [Name 1] war am 30.7.1964 zur Brandausbruchszeit damit beschäftigt, eine Schaumgummiplatte, in der sich drei Risse befanden, auszubessern. In dem Augenblick, in dem sie die mittlere Schadenstelle mit den Händen zusammendrückte, bemerkte sie, dass an der Schadstelle auf der rechten Seite der Platte, die sich wie üblich mit Gummilösung eingestrichen hatte, Flammen entstanden.
Diese Flammenbildung konnte auch von der am Nebentisch beschäftigten Arbeiterin [Name 2] wahrgenommen werden. Die Arbeiterin [Name 1] rief sofort nach Bemerken der Flammen: »Feuer!«, wonach die zum Zeitpunkt des Brandausbruchs in der I. Etage in unmittelbarer Nähe der Brandausbruchstelle anwesenden sechs Arbeiterinnen und zwei Transportarbeiter zum Arbeitstisch der Arbeiterin [Name 1] eilten. Die zwei Arbeiter versuchten daraufhin, die brennende Platte einzurollen und auf den Hof des Werkes zu werfen. Durch Verbrennungen, die sich beide an den Händen dabei zuzogen sowie durch die starke Rauchentwicklung konnten sie ihr Vorhaben nicht verwirklichen. Anschließend wurde versucht, die Gummiplatte mit einem Nasslöscher abzulöschen, wobei jedoch das Brandnest zersprüht wurde und sich Brandausdehnung und Rauchentwicklung verstärkten. Mit dem Hinweis eines Arbeiters, alle Türen zu schließen, verließen daraufhin alle in der I. Etage Beschäftigten den Arbeitsraum.
In der weiteren Folge dehnte sich der Brand schnell auf die gesamte I. Etage aus und griff auf die II. und III. Etage über.
In sämtlichen Etagen lagerte leicht brennbares Material, dass sich durch das Übergreifen der Flammen an den Fensterfronten sofort entzündete. Die Brandausdehnung zur II. Etage wurde außerdem durch einen Deckendurchbruch von der I. zur II. Etage – etwa 10 m von der Brandausbruchstelle entfernt – begünstigt (Deckendurchbruch durch den technologischen Produktionsablauf erforderlich). Aufgrund der schnellen Brandausdehnung und starken Rauchentwicklung trat unter den in den oberen Etagen beschäftigten Produktionsarbeitern eine Panik auf. Mehrere Personen retteten sich über die Treppenaufgänge; einige sprangen aus den Fenstern, darunter auch der Arbeiter [Name 3], der sich dabei lebensgefährlich verletzte.
Die Ermittlungen zur Brandursache und zu den begünstigenden Bedingungen ergaben, dass sich die Schaumgummiplatte durch den geschilderten Arbeitsgang elektrostatisch aufgeladen hatte. Bei der Verarbeitung von Gummilösung, die aus ca. 90 % leichtbrennbaren und flüchtigen Bestandteilen (Leichtbenzin und Benzol) besteht, bildeten sich beim Eintrocknungsprozess Lösungsmitteldämpfe, die über der Schaumgummiplatte ein zündfähiges Gas-Luft-Gemisch entstehen ließen. Dieses Gas-Luft-Gemisch wurde durch einen Funken, der sich bei der Berührung der elektrostatisch aufgeladenen Gummiplatte durch die Arbeiterin [Name 1] bildete, gezündet. Dieser Vorgang wurde durch die am 30.8.1964 herrschende trockene und warme Witterung noch begünstigt.
Arbeiter des VEB Gummiwarenfabrik » ELGUWA« Leipzig gaben an, dass in der Vergangenheit bereits des Öfteren beim gleichen Arbeitsvorgang elektrostatische Aufladungen in Form von mehr oder weniger starkem Elektrisieren festgestellt wurden. Bisher wurden jedoch durch die Verantwortlichen der Bereichs- bzw. Betriebsleitung keine Maßnahmen zur Untersuchung der von den Arbeitern festgestellten Vorgänge und sich daraus ergebender Veränderung eingeleitet.
Vom MfS werden weitere Untersuchungen insbesondere hinsichtlich weiterer begünstigender Umstände geführt.