Häufung von Havarien an Tagebaugeräten und Baggern
12. Oktober 1964
Einzelinformation Nr. 886/64 über die Häufung von Havarien an Tagebaugeräten bzw. Baggern mit großem volkswirtschaftlichem Schaden
In den letzten Wochen sind erneut verstärkt Havarien und Brände an Tagebaugeräten aufgetreten, was zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden führte.
So war am 29.8.1964, gegen 20.30 Uhr am Bagger 643 der Förderbrücke 2 des Tagebaues Spreetal des Kombinates »Schwarze Pumpe« Cottbus die Eimerleiter des Baggers durch Hängenbleiben mit dem Tiefbaggerplanierstück verdreht worden, sodass ein Materialschaden von ca. 15 000 MDN und ein Ausfall in der Förderung von ca. 115 000 m³ Abraum entstand. Die Havarie war durch fahrlässige Verschuldung des Baggerführers eingetreten. (Siehe dazu unsere Einzelinformation Nr. 714/64 vom September 1964.)
Am 31.8.1964 war durch einen Böschungsausbruch im Tagebau Goitsche – Baufeld II b – des Bkw »Einheit« Bitterfeld am Bagger D 1000/554 ein volkswirtschaftlicher Schaden von ca. 50 000 MDN entstanden. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Tätigkeit des Baggers D 1000/554 waren unzureichend, es war auch kein Sicherheitsposten zur Beobachtung des Geländes und des Baggers eingesetzt worden. (Siehe dazu unsere Einzelinformation Nr. 715/64 vom Septempber 1964.)
Im Monat September waren wiederum drei größere Schadensfälle an Baggern zu verzeichnen, wobei zu bemerken ist, dass der volkswirtschaftliche Schaden bei den einzelnen Vorkommnissen wesentlich höher liegt. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Havarien:
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Am 27.9.1964, gegen 19.30 Uhr, trat im Tagebau Welzow-Süd des Kombinates »Schwarze Pumpe« Cottbus eine Rutschung der Hochbaggerböschung auf. Dabei drückten die rutschenden Erdmassen den Schaufelradausleger des dort ordnungsgemäß abgestellten Baggers Sch RS 1200 seitlich weg und hoben das Baggeroberteil aus dem Drehkran heraus, sodass es 30–40 cm außer Mitte sitzt. Am Gerät entstand ein Sachschaden von ca. 2 Mio. MDN. (Allein das Freilegen des Gerätes verursacht Unkosten in Höhe von etwa 900 000 MDN und zögert sich hinaus, weil der zum Abstützen erforderliche Stahl einer bestimmten Güteklasse zurzeit nicht vorhanden ist. Für die Reparatur des Drehkranzes, der wahrscheinlich infolge aufgetretener Verbiegungen gerichtet werden muss, wird eine Zeit von acht Wochen benötigt; außerdem sind dafür Mittel in Höhe von etwa 600 000 MDN erforderlich. Erst nach dem Freilegen des Gerätes kann festgestellt werden, welche Schäden Ausleger und Schaufelrad aufweisen.) Der Produktionsausfall bis zur Instandsetzung des Gerätes wird auf etwa 2 Mio. m³ Abraum geschätzt. Die bisherigen Ermittlungen zur Ursache der Rutschung ergaben Folgendes: Eine eingesetzte Expertenkommission stellte fest, dass der Bagger an einer Böschung arbeitete, wo der gewachsene Boden in eine alte Kippe des ehemaligen Tagebaues überging, wobei die Kippe teilweise mit abgetragen wurde. Die noch lockeren Massen rutschten beim Baggern jeweils nach, was nach Meinung der dort beschäftigten Arbeitskräfte ein produktives Arbeiten ermöglichte (!). Der Bagger stand bei der Ausführung dieser Arbeiten auf einer Kohleschicht, die mit Ton überzogen war. Die Kippenmassen enthielten ebenfalls Ton, was den Arbeitern jedoch nicht bekannt war, da die Zusammensetzung des Bodens vor Beginn der Baggerarbeiten nicht erkundet wurde. (Ton hat die Eigenschaft zu rutschen, und dieser Umstand trat am Tage der Havarie durch den Eigendruck der Erdmassen ein.) Die Betriebsleitung war informiert, dass Arbeiten in einem Gebiet durchgeführt werden, in dem Rutschungsgefahr durch die alte Kippe besteht. Sie schätzte jedoch ein, dass nichts passieren könne und erklärte nach der Havarie, es hätte niemand wissen können, dass früher einmal konzentriert Ton gekippt wurde, da dies sonst nicht üblich sei. Außerdem hätte die erforderliche Bohrkapazität nicht zur Verfügung gestanden. Ein Beobachter zur rechtzeitigen Erkennung von Rutschungsgefahren (Rissbildung) wäre in diesem Falle nutzlos gewesen. Verantwortlich für den Einsatz und den Betrieb des Baggers Sch RS 1200 waren [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1936, wohnhaft Schwarze Pumpe, [Straße, Nr.], Diplom-Ingenieur, Mitglied der SED, Tagebauleiter seit Januar 1963 [und], [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1923, wohnhaft Hoyerswerda, [Straße, Nr.], Bergbauingenieur, Mitglied der SED, Abraumleiter im Tagebau Welzow-Süd seit Februar 1963 [sowie] [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1917, wohnhaft Hoyerswerda, [Straße, Nr.], Tischler, SED von 1950 bis 1952 (gestrichen), Baggerführer auf dem havarierten Gerät. Nach weiteren Untersuchungen der Expertenkommission wird entschieden, inwieweit durch die VP ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Handlungsweise eingeleitet wird.
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Am 9.9.1964, gegen 11.50 Uhr, versank der Universalbagger 162 (60-t-Gerät) des Tagebaues des Bkw Greifenhain Cottbus während der Baggerarbeiten in der Nähe der Gemeinde Jehserig durch Rissbildung des Bodens im Morast und Wasser. Der Universalbagger war am 9.9.1964 an dieser Stelle zu Baggerarbeiten an einem sogenannten Restloch eines im Jahre 1910 stillgelegten Tagebaues eingesetzt worden. Das Restloch ist mit Wasser gefüllt (Maximaltiefe 18 m) und soll gemäß einem Wählerauftrag der Stadt Drebkau von 1962 an den Abgeordneten der Stadtverordnetenversammlung [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1934, Diplom-Ingenieur, Mitglied der SED, Werkdirektor des VEB Bkw Greifenhain, als Badeanstalt ausgebaut werden. Genosse [Name 4] hatte daraufhin den Einsatz des Baggers aus seinem Werk angeordnet. Verantwortlich für den Einsatz des Gerätes waren der Meister des Bkw Greifenhain [Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1921, wohnhaft Drebkau, [Straße, Nr.], und der Baggerführer [Name 6, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1929, wohnhaft Altdöbern, [Straße, Nr.]. Der Baggerführer hatte die Aufgabe, den Strand zu verflachen und zu ebnen, wobei er auf einem durchaus normalen Böschungswinkel von acht Grad arbeitete und die entsprechenden Vorschriften genau einhielt, wovon sich auch der zuständige Meister täglich überzeugte. Gegen 11.50 Uhr bemerkte der Baggerführer ein leichtes Schwanken des Bodens, worauf er fluchtartig das Gerät verließ. Damit rettete er sich das Leben, denn der Boden begann sofort zu rutschen, wobei der darauf stehende Bagger mitgerissen wurde und innerhalb von 20 sec. im Wasser verschwand. Der Bagger konnte bisher trotz Einsatz von elektrischen Ortungsgeräten und Tauchern nicht mehr aufgefunden werden; er muss von den rutschenden Bodenmassen vollständig überspült worden sein. (Die Wasserhöhe beträgt jetzt am früheren Standort des Baggers 6 m, während an der früher tiefsten Stelle von 18 m nur noch 7 m Wasserstand vorhanden sind.) Bei dem Bagger handelt es sich um eine neues Gerät, das im März 1964 gekauft wurde und zurzeit des Verlustes einen Wert von 300 000 MDN hatte. Abgesehen davon, dass nicht bekannt ist, wo sich das Gerät konkret befindet, würde eine Bergung außerordentlich hohe Kosten verursachen. Die Suche wurde aufgrund dessen aufgegeben. Durch die Bergbehörde Senftenberg wurde bei Untersuchungen festgestellt, dass der Bagger einem typischen Setzungsfließen des Bodens zum Opfer gefallen ist, das durch Feinsande bedingt ist und vom Gewicht des darauf arbeitenden Baggers ausgelöst wurde. Beim Einsatz des Gerätes ließen sich die Verantwortlichen von den Erfahrungen leiten, wonach bei einem seit über 50 Jahren ruhenden Boden keine Setzungserscheinungen mehr auftreten sollen. Dadurch wurde eine konkrete Untersuchung der Standfestigkeit des Bodens unterlassen, obwohl bekannt war, dass der Boden aus gekippten Massen bestand. Das von der VP eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da nach Ansicht der Bergbehörde mit einem solchen Schadensfall nicht zu rechnen war, das Vorkommnis einmalig sei und die erforderlichen Sicherheitsbestimmungen vom Baggerführer beachtet worden sind.
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Am 15.9.1964 entstand gegen 13.30 Uhr am Schaufelradbagger 126 des VEB Bkw Großkayna, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, bei der Durchführung von Reparaturarbeiten ein Schwelbrand, der durch Schweißarbeiten verursacht wurde. Dieser Schwelbrand wurde nur oberflächlich gelöscht, sodass er während des folgenden Schichtwechsels (dabei befindet sich das Gerät 30 Minuten ohne Aufsicht) erneut Nahrung an einem Förderband fand und sich von dort auf den Ausleger und einige Transportbänder ausdehnte. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 400 000 MDN. Gegen die verantwortlichen Arbeiter [Name 7, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1933, wohnhaft Meuchau, [Straße, Nr.], Reparaturmeister im Bkw Großkayna, [Name 8, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1935, wohnhaft Braunsbedra, [Straße, Nr.], Brigadier in der Zentralwerkstatt Gräfenhainichen und [Name 9, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1942, wohnhaft Weißenfels, [Straße, Nr.], Schlosser in der Zentralwerkstatt Gräfenhainichen, wurde von der VP wegen fahrlässiger Brandstiftung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Infolge der zunehmenden Havarien und Brände an Tagebaugeräten mit großem volkswirtschaftlichen Schaden hält es das MfS für erforderlich, dass sich die »Arbeitsgruppe zur Verhütung von Schäden an Tagebaugeräten« unter Leitung des stellv. Leiters der Obersten Bergbaubehörde eingehend mit diesen Schadensfällen befasst. Dabei sollte gründlich untersucht werden, inwieweit die jeweiligen Betriebe entgegen den bergmännischen Regeln gearbeitet haben, wo die Ursachen für eine derartige Arbeitsweise liegen bzw. wer dafür verantwortlich ist. Weiter wäre es erforderlich, die Untersuchungsergebnisse, besonders die Feststellungen hinsichtlich der konkreten Ursachen und des Verhaltens der Verantwortlichen, in allen Braunkohlenwerken der DDR auszuwerten, um stärker vorbeugend gegen derartige Vorkommnisse wirksam werden zu können.