Haltung des DGB zum Deutschlandtreffen
24. April 1964
Einzelinformation Nr. 350/64 über die Haltung des DGB und anderer politischer Kreise zum Deutschlandtreffen
Wie eine zuverlässige Quelle mitteilte, hat am 14.4.1964 die letzte Beratung des Westberliner Komitees des DGB, welche sich mit Fragen des Deutschlandtreffens1 beschäftigte, stattgefunden. An der Beratung nahmen u. a. der Vorsitzende des Westberliner DGB, Sickert,2 und der Jugendvertreter der Gewerkschaft ÖTV, [Vorname Name 1], teil. Es wurde festgelegt, dass die Gewerkschaftsjugend Westberlins nicht am Deutschlandtreffen – auch nicht privat – teilnimmt. Als Gründe wurden angegeben, dass die FDJ sowie der FDGB kommunistische Organisationen sind, mit denen man nicht in Verbindung treten könne. Sickert sprach davon, dass im Westberliner Landesvorstand der SPD ebenso diese Linie festgelegt wurde. In diesem Zusammenhang erwähnte Sickert, dass der Innensenator Albertz3 eine ernste Rüge wegen seines Vorschlags über die Teilnahme von westdeutschen Jugendlichen am Deutschlandtreffen erhalten würde. Albertz hätte den Vorschlag ohne Wissen des Landesvorstandes der SPD gemacht.
Von anderer zuverlässiger Seite wurde bekannt, dass trotz offizieller Ablehnung des Vorschlags von Albertz Jugendverbände – auch in Westberlin – nach Wegen suchen, um am Deutschlandtreffen teilzunehmen. Der SPD-Kreisvorsitzende von Charlottenburg, Harry Ristock,4 vertrat die Meinung, dass der sogenannte Albertzplan5 eine offensive politische Konzeption sei, die genau der politischen Linie entspräche, unter der die »Linken« in Westberlin kämpfen würden. Diejenigen, die den Plan totgemacht hätten, seien Feinde einer neuen politischen Konzeption. Jetzt, nachdem der Albertzplan geplatzt ist, sollen nach Meinung von Ristock 8 000 junge Funktionäre aus den Bundesjugendringen speziell dafür geschult werden, diese von Albertz vorgesehene Aufgabe zu übernehmen. Auf der Westberliner Landesdelegiertenkonferenz der Falken6 hat Ristock am 4.4.1964 geäußert, man müsse der Herausforderung des Deutschlandtreffens anders gegenüber stehen als nur durch ablehnende Erklärungen. Man müsse einen Weg zur Teilnahme finden. In ähnlicher Form hat sich der neue Vorsitzende des »Landesjugendringes Berlin«, Alfred Gleitze,7 geäußert.
Am 14.4.1964 richtete der Kreisverband Bremen der Falken einen Brief an den Landesverband Westberlin sowie an die Bezirke Mittelrhein, Ostwestfalen und Württemberg, in dem zum Deutschlandtreffen Stellung genommen wurde. In diesem Brief heißt es wörtlich: »Wir sollten die Kontakte der Jugend in der DDR nicht nur christlichen Verbänden und anderen Gruppierungen überlassen. Wir als ein Arbeiterjugendverband haben die Verpflichtung zu erfüllen, unsere Auffassungen den jungen Menschen aus der DDR nahezubringen. Wir dürfen die Jugendlichen drüben nicht allein lassen, die eine kritische Haltung gegenüber der Politik der SED und der FDJ haben. Teilt uns doch bitte möglichst schnell Eure Stellungnahme mit. Im Falle einer Möglichkeit zur Entsendung von Beobachtergruppen zum Deutschlandtreffen würden wir eine kleine Gruppe von ausgesuchten SJlern (gemeint sind Vertreter der ›Sozialistischen Jugend Deutschlands, die Falken‹) schicken.«
Aus Kreisen der Naturfreundejugend ist bekannt geworden, dass mit offizieller Billigung des Bundesvorstandes hohe Funktionäre des Bundesvorstandes selbst als Beobachter am Deutschlandtreffen teilnehmen werden. Eine vertrauenswürdige Quelle konnte erfahren, dass die Westberliner Gruppe des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« (SDS)8 stärkstens daran interessiert ist, als offizielle Delegation am Deutschlandtreffen teilzunehmen. Die Vorsitzende des SDS der »Freien Universität« in Berlin, Renate Lichte, ist der Meinung, dass keine wesentlichen Einwände vom Bundesvorstand gemacht werden. Für den Fall, dass der Bundesvorstand sich weder genau in positiver Hinsicht festlegt noch eine klare Ablehnung ausspricht, würde man von Westberlin aus versuchen, offiziell am Deutschlandtreffen teilzunehmen.
Weiter wurde bekannt, dass die Jugendvertreter der DAG unter Beteiligung von [Vorname Name 2] den Beschluss gefasst hatten, sich am Deutschlandtreffen zu beteiligen. Diese Entscheidung ist auf scharfen Widerspruch gestoßen und den Jugendvertretern der DAG wird der Vorwurf gemacht, in politisch gefährlicher und leichtsinniger Weise östliche Propaganda unterstützt zu haben.
In Kreisen von Albertz wird nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle eingeschätzt, dass zu Pfingsten weit mehr als die bereits angekündigten 8 000 westdeutschen Jugendlichen in Westberlin sein werden. Schon jetzt würde mit einer Zahl von mindestens 30 000 gerechnet.
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