Haltung des Westberliner Senats zur Passierscheinfrage
4. September 1964
Einzelinformation Nr. 718/64 über die Haltung des Westberliner Senats zur Passierscheinfrage im Zusammenhang mit der Volkskammertagung vom 1. September 1964
Von einer zuverlässigen Quelle wurde bekannt, dass die Volkskammertagung vom 1.9.1964 gegenwärtig im Mittelpunkt der Diskussionen im Westberliner Senat steht.1
Hauptgesprächsthema sei die vom Genossen Willi Stoph2 auf der Volkskammertagung abgegebene Erklärung, die mit den Passierscheinverhandlungen in Verbindung gebracht wird. Nach dem Bericht der Quelle nehmen Kreise um Brandt3 nach der Volkskammertagung zur Passierscheinfrage folgende Haltung ein:
Die Erklärung Willi Stophs sei sehr bedeutungsvoll, auch in Bezug auf die Passierscheinverhandlungen. Für den Senat wäre das Bekanntwerden von Ost-West-Kontakten in Hinsicht auf weitere Gespräche mit der Bundesregierung nur von Vorteil. Mit der Erklärung von Stoph sei dem Senat zweifellos der Rücken gestärkt worden.
Die letzten »Kontaktgeschichten« (gemeint sind nach Ansicht der Quelle u. a. die Passierscheinverhandlungen,4 das Abkommen über den Bau der Autobahnbrücke bei Hirschberg5 und die Haltung der Regierung der DDR gegenüber der Bundesregierung in der Öffentlichkeit im Allgemeinen) hätten den Senatsstandpunkt gegenüber der Bundesregierung enorm gestärkt. Besonders durch die Verhandlungen über den Brückenbau bei Hirschberg habe der Senat in der Passierscheinverhandlung eine Stärkung erfahren.6
Das Asylrecht beim Brückenbau sei aufgehoben worden und die Brückenbauarbeiter, obwohl sie sich auf westdeutschem Territorium befinden, würden den Gesetzen der DDR unterstehen. Auch die Wächter, die mit Armbinden versehen in diesem Gebiet Dienst tun, wären eine Besonderheit, die das Brückenabkommen weit über die Passierscheinangelegenheit stelle.7 Das alles sei viel weitgehender, als der Senat je bei den Passierscheinverhandlungen gegangen wäre. Diese Chancen hätte der Senat natürlich bei der letzten Verhandlung mit der Bundesregierung sehr stark ausgenutzt und sich mit seinem Standpunkt durchgesetzt.
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