Haltung und Ausreise des begnadigten Heinz Brandt
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Einzelinformation Nr. 436/64 über die Haltung und die Ausreise des begnadigten Heinz Brandt
Wie dem MfS bekannt wurde, hat sich Heinz Brandt1 am 26. und 27.5.1964 insgesamt drei Mal mit Rechtsanwalt Wolff2 (Berlin) getroffen. Rechtsanwalt Wolff war der Offizialverteidiger3 im Prozess gegen Brandt und ist weiterhin von Brandt mit der Verfolgung seiner persönlichen Belange (Alimentenangelegenheiten) betraut. In Gesprächen mit Wolff erklärte Brandt u. a. Rechtsanwalt Posser4 habe ihn (Brandt) im Auftrage Brenners5 und des Vorstandes der IG Metall aufgefordert, keinerlei Erklärungen abzugeben, bevor Brandt nicht bei Brenner gewesen sei und mit ihm gesprochen habe. Brandt wolle das auf alle Fälle auch einhalten, zumal ihm die gegenwärtige genauere Konzeption der IG Metall nicht so geläufig sei.
Ferner vertrat Brandt in diesen Gesprächen die Meinung, seine Entlassung wäre kein Erfolg der »Ultras«,6 sondern ein Erfolg der IG Metall und der »Atompazifisten«.
Seine Verhaftung habe der DDR Schaden zugefügt, denn er sei überall als »Linker« bekannt. Er verstünde auch nicht, weshalb man ihn nach seiner Entlassung nicht sofort nach Westdeutschland habe gehen lassen.7 Die Verzögerung seiner Rückkehr werde nur von den Ultras und ihren Presseorganen ausgeschlachtet.
Weiteren Hinweisen zufolge will Brandt zu erreichen versuchen, dass die DDR eine Erklärung abgebe, wonach seine Verhaftung eine »Eigenmächtigkeit untergeordneter Stellen« gewesen sei. Im Falle der Abgabe einer solchen Erklärung würde er sich »mit einem Schmerzensgeld begnügen«.8 Dieses Geld sollte nach seinen Vorstellungen dann bei Rechtsanwalt Wolff deponiert und zur Begleichung seiner Alimentenverpflichtung in der DDR benutzt werden. Er stehe jedoch nach wie vor zu seinem Versprechen, nichts gegen die DDR zu unternehmen. Dabei ließ er durchblicken, dass er beabsichtige, in wenigen Wochen mit seiner Familie besuchsweise zu seinen Schwiegereltern in die DDR zu reisen. Es sei ihm in diesem Zusammenhang klar, dass diese Reise illusorisch wäre, falls er in irgendeiner Form gegen die DDR handele.
Am Morgen des 28.5.1964 traf in der Wohnung der Schwiegereltern des Brandt der westdeutsche Rechtsanwalt Dr. Dr. Heinemann9 ein, um Brandt abzuholen. Gleichzeitig war auch der bereits genannte Rechtsanwalt Wolff anwesend. (Wie dem MfS bekannt wurde, soll Heinemann in internen Kreisen Westberlins geäußert haben, dass er sich mit der Angelegenheit Brandt beschäftige und nur einen Weg befürworte, nämlich die Festnahme und die Umstände der Festnahme Brandts so ausführlich wie möglich auszuwerten, da der Fall Brandt ein einzigartiger Skandal sei.)
In Begleitung von Wolff begaben sich Brandt und Heinemann zum Bahnhof Friedrichstraße. Während Brandt entsprechend der gesetzlichen Regelung für DDR-Bürger mit dem Interzonenzug Frankfurt/M. um 9.38 Uhr nach Westberlin fuhr, begab sich Heinemann mit der S-Bahn nach Westberlin.10 Beide vereinbarten, sich am Bahnhof Zoo zu treffen, um dann mit dem Flugzeug nach Frankfurt/M. zu reisen.