II. Allchristliche Friedensversammlung in Prag
14. Juli 1964
Einzelinformation Nr. 564/64 über die II. Allchristliche Friedensversammlung in Prag
Auf der vom 28.6. bis 4.7.1964 in Prag unter Leitung des Prager Professors Hromádka1 stattfindenden II. Allchristlichen Friedensversammlung (ACV) standen folgende Hauptprobleme im Mittelpunkt:
- –
der Frieden, die totale Abrüstung und die Einstellung aller Versuche mit Kernwaffen
- –
die Beendigung des kalten Krieges und das Deutschlandproblem
- –
grundlegende Fragen der friedlichen Koexistenz und Probleme der internationalen Zusammenarbeit.
Es ist einzuschätzen, dass mit der II. ACV 1964 in Prag2 die Christliche Friedenskonferenz (CFK) in eine neue Phase ihrer Entwicklung getreten ist. Als äußerer Ausdruck dafür ist die Tatsache zu werten, dass die CFK mit dieser Versammlung endgültig den Einbruch in den Weltkirchenrat vollzogen hat, wie die hohe Anzahl der Teilnehmer aus den imperialistischen und antiimperialistischen Ländern und ihre kirchlichen Funktionen beweisen.
Der Weltkirchenrat3 in Genf hat insofern eine offene Niederlage erlitten, als er gezwungen war, seine ursprüngliche Taktik, die CFK zu ignorieren und später zu boykottieren, aufzugeben. Bereits vor der II. ACV hatte in Genf ein Gespräch zwischen Vertretern der CFK – Hromádka, Ondra,4 Kloppenburg5– und Visser ’t Hooft,6 Nolde7 und Grubb8 vom Weltkirchenrat stattgefunden.
Visser ’t Hooft äußerte dabei zu der Haltung, die die Ökumene gegenüber der CFK einzunehmen gedenkt, dass man bereit sei, eine Gruppe wie die CFK als notwendig anzuerkennen und ihr eine ähnliche Funktion zuzubilligen wie z. B. dem Christlichen Weltstudentenbund.9 Aus dieser Äußerung war eindeutig zu entnehmen, dass der Weltkirchenrat sich bereits gezwungen sah, vom Boykott zu dem Versuch der Anerkennung der CFK als Ressortorganisation überzugehen. Wie inoffiziell während des Verlaufs der II. ACV bekannt wurde, hat der Vertreter der »Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten« beim Weltkirchenrat Dr. Elfan Rees10 von Prag aus Verbindung mit Genf aufgenommen und darauf hingewiesen, dass der II. ACV nun eine derartige Bedeutung zukäme. Es wäre deshalb angebracht, dass der Generalsekretär des Weltkirchenrates Visser ’t Hooft sofort mit offiziellen Verhandlungen mit der CFK beginnt.
Erstmalig mussten sich die Vertreter des Weltkirchenrates und westlicher Kirchen der offenen Auseinandersetzung in Plenar- und Kommissionssitzungen stellen. Damit waren die inneren Gegner der CFK gezwungen, sich zu erkennen zu geben. Ihre Versuche, durch Anwendung bürgerlich-parlamentarischer Methoden (z. B. Geschäftsordnungsdebatten, Abstimmungsmanöver, Aufsplitterungsversuche, koordiniertes Vorgehen von Fraktionen, Drohung, die Konferenz zu verlassen) den Delegierten der Kirchen aus den sozialistischen Ländern und deren Bündnispartnern aus anderen Ländern im Zusammenhang mit den politischen Hauptfragen der Konferenz eine Abstimmungsniederlage zu bereiten, scheiterten eindeutig.
Zu den politischen Hauptproblemen der Konferenz konnte eindeutig der Standpunkt der Regierungen der sozialistischen Länder durchgesetzt werden. Insofern bedeutet das Gesamtergebnis der II. ACV einen großen Erfolg für die progressiven Kräfte. Außerdem diente die Konferenz einer großen Anzahl ihrer Teilnehmer dazu, Kontakte zu kirchlichen Organisationen und deren Vertretern aus sozialistischen Ländern aufzunehmen, die nicht im Zusammenhang mit dem Konferenzthema standen. Es fand neben der Konferenz ein Informations- und Literaturaustausch in großem Umfang statt. Von einer Anzahl Konferenzteilnehmer wurde die II. ACV als einmalige Gelegenheit genutzt, zu den leitenden Kreisen fast aller Kirchenorganisationen der sozialistischen Länder mit dem Ziel der Informationsbeschaffung Verbindungen aufzunehmen, die in nachfolgenden Einzelbesuchen in den jeweiligen Ländern ausgebaut werden sollen.
Zur Entwicklung der Christlichen Friedenskonferenz
Die II. Allchristliche Friedensversammlung fand im Unterschied zu ihrer 1. Tagung 196111 mit einer fast doppelten Teilnehmerzahl statt. Während die I. ACV von rd. 600 Teilnehmern besucht war, waren es zur II. ACV 1964 ca. 1 000.12 Die Auswertung der ersten noch unvollständigen Teilnehmerliste hat ergeben, dass die Erweiterung der Teilnehmerzahl hauptsächlich durch einen höheren Anteil von Vertretern aus imperialistischen und antiimperialistischen Ländern erreicht worden ist.
Nach den vorliegenden Unterlagen ergeben sich folgende Zahlenvergleiche:
[Land] | 1961 | 1964 |
---|---|---|
USA | 33 | 87 (davon 23 Katholiken einschl. 7 Jesuitenpatres) |
England | 44 | 7913 |
Italien | 4 | 2614 |
Asien, Afrika und Lateinamerika | 60 | 11815 |
Während es sich 1961 bei den Teilnehmern aus den westlichen Ländern in der Hauptsache um Einzelpersonen und Vertreter kleiner Gruppen handelte, waren 1964 viele Teilnehmer offizielle Delegierte ihrer Kirchen und kirchlichen Organisationen auf nationaler und internationale Ebene. Festgestellt werden konnte außerdem, dass verschiedene Delegationen im Einvernehmen mit den Regierungen ihrer Länder an der II. ACV teilnahmen und dort auftraten. So wurde bekannt, dass der amerikanische Referent Dr. Harvey Cox16 vor seiner Abreise in die ČSSR in das State Department zur Absprache über den Inhalt seines Referates und das Auftreten der amerikanischen Delegation geladen worden war. Cox und dem Leiter der US-Delegation Dr. Heidebrink17 wurde die ausdrückliche Zustimmung zu ihrer Teilnahme und zu ihrer Konzeption erteilt. Die britische Delegation, die unter Leitung des Sekretärs des Rates der britischen Kirchen Paul Oestreicher18 stand, handelte ebenfalls im Einvernehmen mit dem britischen Außenministerium.
Die Schweizer Regierung hat dem Delegierten Dr. Martin Schwarz,19 Basel, ebenfalls ihre ausdrückliche Zustimmung zur Teilnahme an der II. ACV gegeben.
Zum Verhalten der Gruppen aus den westlichen Ländern und zu deren Konzeption
Das gemeinsame Auftreten der westlichen Delegationen und das Auftreten einzelner Vertreter zeigten, dass sie im Unterschied zu 1961 die CFK im wachsenden Maße als eine mögliche Plattform zur politischen Auseinandersetzung über die Hauptfragen der Gegenwart werten. Hinzu kommt, dass sie in der CFK die Gelegenheit der legalen Kontaktaufnahme zu Kirchenvertretern der sozialistischen Länder nutzten.
Die Bereitwilligkeit zur Mitarbeit resultierte nicht nur aus dem Interesse am sachlichen Gespräch, sondern auch daraus, sich in der weiteren Entwicklung der CFK einflussreiche Positionen in deren Organisationen zu sichern.
Ein einheitliches Auftreten aller Vertreter der westlichen Länder war nicht zu verzeichnen: Es muss differenziert werden zwischen den Gruppen
- 1.
USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweiz, Holland und Kanada
- 2.
Westdeutschland und Westberlin
- 3.
Asien, Afrika und Lateinamerika.
Charakteristisch für das Verhalten aller drei Gruppen war, dass sich nur ein Teil ihrer Aktivität auf den offiziellen Konferenzverlauf konzentrierte. Der gleiche Wert wurde auf Einzelgespräche und Gruppengespräche außerhalb der Konferenz gelegt. Ein geschlossenes Auftreten dieser Delegierten kam nur bei Abstimmungen zustande.
Zum Verhalten der einzelnen Gruppen wurde Folgendes festgestellt: Das Verhalten der ersten Gruppe war gekennzeichnet durch einheitliches Auftreten unter Leitung der Fraktionsführer der nationalen Gruppen, z. B. USA/Heidebrink, Großbritannien/ Oestreicher, Holland/Rasker,20 Kanada/Friesen,21 Schweiz/Schwarz, die sich untereinander konsultierten. Sie führten regelmäßig Fraktionsbesprechungen durch, in denen die gegenseitige Information und die Festlegung des Verhaltens bei Abstimmungen erfolgten. Die Fraktionsführer hielten Verbindung zu den diplomatischen Vertretern ihrer Länder in Prag.
Im Allgemeinen wurde festgestellt, dass sich diese Gruppe durch hervorragende sachliche Informiertheit über die Deutschlandfrage, Probleme der friedlichen Koexistenz und der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen auszeichnete. Die Vertreter dieser Gruppe waren durch ihr Auftreten die hauptsächlichsten Gesprächspartner der Vertreter der sozialistischen Länder in den Diskussionen.
Inhaltlich vertrat diese Gruppe eine Konzeption, die sich in den wesentlichen politischen Hauptfragen mit der derzeitigen Außenpolitik ihrer Regierungen deckte. Sie nahm in den Fragen der Notwendigkeit des Abbaus des kalten Krieges, der Praktizierung der friedlichen Koexistenz, der Unterstützung des Atomteststoppabkommens22 und der Verantwortlichkeit der beiden deutschen Staaten für die Lösung der sogenannten deutschen Frage eine realistische Position ein.
Ihr Bemühen war dabei aber darauf gerichtet, die II. ACV auf eine neutralistische Position zu drängen, d. h. in der Diskussion und in den Beschlüssen keine Formulierungen zuzulassen, die eine zu eindeutige Parteinahme für die Politik der sozialistischen Länder bedeuten konnte. Es war eine Kompromissbereitschaft festzustellen, sich der Position der Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche in Formulierungs- und Abstimmungsfragen anzuschließen, so z. B. nach der heftigen Diskussion um die Antikommunismus-Frage in der »Botschaft an die Kirchen und Christen«.
Die stärkste Gruppe der II. ACV war die westdeutsche und Westberliner Delegation mit insgesamt 115 Teilnehmern. Sie war gespalten. Ihr linker Flügel, vertreten durch Prof. Renate Riemeck,23 Mochalski24 u. a., unterstützte die Position der DDR-Delegation. Der reaktionäre Flügel dieser Gruppe war für sein Auftreten in Prag vorbereitet worden durch eine Veranstaltung des revanchistischen Johann-Heermann-Kreises für gesamtdeutsche Verantwortung in Radesvorwalde im Juni 1964, durch eine Broschüre von Hudak25 (Stuttgart) und Petersmann26 »Die Prager Friedenskonferenz«27 und durch ein Flugblatt einer »Studiengruppe zur Verbreitung des christlichen Friedensgedankens«, Vorsitzender Gernot Partsch, Bonn, einer Tarnorganisation des Bundesinnenministeriums, zum Thema »Soll man zur Allchristlichen Friedensversammlung nach Prag fahren?«28 Hinzu kam eine Pressekampagne gegen die CFK, gesteuert vom Rat der EKD.
Die klerikalen Vertreter dieser Gruppe vertraten während der II. ACV die reaktionärste Position. Das äußerte sich darin, dass sie sich in der Arbeitsgruppe »Friede und das Deutschlandproblem« bereits gegen die ausgearbeitete Vorlage ablehnend verhielten. Sie versuchten, die darin geforderte Anerkennung zweier deutscher Staaten und eines selbstständigen Westberlin durch die Konferenz zu verhindern, bestritten die Zuständigkeit beider deutscher Regierungen für eine Normalisierung der Lage auf deutschem Boden und wandten sich gegen jede Formulierung, die in Übereinstimmung mit der bisherigen Politik der DDR stand. Als es offensichtlich war, dass sie für diese Position nicht die Mehrheit der Konferenz gewinnen konnten, drohten sie mit deren Sprengung bzw. versuchten, durch eine Verzögerungstaktik am 3.7.1964 im Plenum die Annahme der Schlussdokumente der Konferenz überhaupt zu verhindern.
Niemöller29 vertrat mehrfach die Auffassung, dass die Normalisierung zwischen beiden deutschen Staaten ausschließlich eine Angelegenheit der Siegermächte sei. Klaus Wilm30 (Sohn des Präses Wilm,31 Mitarbeiter der »Aktion Sühnezeichen«)32, Immer (Rheinland) u. a. versuchten, die Selbstständigkeit Westberlins zu bestreiten, und verlangten, die Zugehörigkeit zur Bundesrepublik in die offiziellen Dokumente der CFK aufzunehmen. Das Auftreten von Prof. Steiniger33 (Humboldt-Universität Berlin), der die Auffassungen der Regierung der DDR zur Westberlin- und Deutschlandfrage als Experte vertrat, benutzten Niemöller, immer u. a. dazu, die Konferenz zu verlassen und mit der Abreise zu drohen.
Zu den Fraktionssitzungen der westdeutschen und Westberliner Delegation wurde der inoffizielle Beobachter des Rates der EKD, der als Pressevertreter auftretende Oberkirchenrat Erwin Wilkens34 (Hannover) hinzugezogen. Überhaupt war festzustellen, dass die westdeutschen Pressevertreter, z. B. Henkys35 (epd), von Lojewski36 (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Dr. Oxenius37 (Süddeutsche Zeitung), Wolf-Dieter Zimmermann38 (SFB), in engen Kontakt mit dieser Gruppe ihre Nachrichtengebung für die westdeutschen Presseorgane und Nachrichtenagenturen durchführten.
Konferenzteilnehmer anderer westlicher Länder äußerten, dass man Westdeutschland zu fürchten beginne, es zwar einerseits als NATO-Verbündeten betrachte, andererseits aber isoliere. Diese Meinung ergänzte Prof. Rasker (Holland) damit, dass die westlichen Nachbarländer gegen eine Wiedervereinigung Deutschlands entsprechend der Bonner Politik seien.
Rasker und andere äußerten mehrfach, dass die klerikalen Vertreter der westdeutschen Gruppe den hauptsächlichen störenden Faktor der II. ACV abgegeben hätten.
Das Verhalten der dritten Gruppe war mit dadurch bestimmt, dass sie das deutsche Problem, das den Hauptinhalt der Diskussionen während der II. ACV bildete, nicht als ihre zentrale Frage betrachteten. Ihre Versuche, die Probleme Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in die Diskussion zu bringen, erfolgten zumeist auf einer antikolonialistischen Position, wurden aber nicht zum Hauptgegenstand der Diskussion während der Konferenz.
In den Abstimmungen unterstützten sie teilweise die Vertreter der ersten Gruppe; in der deutschen Frage die Position der Vertreter aus den sozialistischen Ländern.
Zum Auftreten und Verhalten der Teilnehmer aus der DDR
Die DDR-Delegation hatte in ihrer Mehrheit wesentlichen Anteil daran, dass der Konferenzverlauf und die abschließenden Dokumente in Übereinstimmung mit den Auffassungen der Regierung der DDR gestaltet wurden. Besonders hervorzuheben ist dabei die Haltung von Bischof Mitzenheim39 (Erfurt), Generalsuperintendent Jacob40 (Cottbus), Generalsuperintendent Schönherr41 (Eberswalde), Pfarrer Feurich42 (Dresden), Pfarrer Frielinghaus43 (Dresden) Dr. Hanfried Müller44 (Berlin), Prof. Rosemarie Müller45 (Berlin) und Pfarrer Willibald Jacob46 (Treuenbrietzen). Sie handelten in Übereinstimmung mit den internationalen Sekretär der CFK, Pfarrer Bassarak47 (Berlin) und dem Sekretär des Regionalausschusses der DDR Ordnung (Berlin). In Plenar- und Kommissionssitzungen führten diese und andere Vertreter der DDR-Delegation schärfste Auseinandersetzungen besonders mit den reaktionären westdeutschen Auffassungen und verteidigten diesen gegenüber die Position der Regierung der DDR, speziell das 7-Punkte-Programm Walter Ulbrichts.48 Ihr taktisch geschicktes Vorgehen hatte nicht unwesentlichen Anteil am Abstimmungssieg für die DDR-Auffassungen.
Jedoch war das Auftreten der DDR-Delegation nicht einheitlich. So stimmten z. B. der Superintendent Schliep49 (Magdeburg), Pfarrer Neumann50 (Magdeburg) und Superintendent König51 (Halle) gegen die DDR-Auffassungen und unterstützten offen die Position des klerikalen Flügels der westdeutschen und Westberliner Gruppe.
Als Mangel wurde von den DDR-Delegierten mehrfach hervorgehoben, dass sie in ihrem Auftreten gehemmt gewesen seien, weil ihnen nur eine allgemeine Anleitung zuteil geworden wäre, sie aber keine klaren Hinweise für das Verhalten in der konkreten Situation bekommen hätten und keine gegenseitige Information und Absprache während des Konferenzverlaufs erfolgte. Als Mangel wurde außerdem empfunden, dass es keine ständigen Absprachen mit den Leitungen der Kirchendelegationen aus anderen sozialistischen Ländern gab.
Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht öffentlich ausgewertet werden.