Mängel in der Kaderarbeit in einem Fernmeldesonderamt der Post
15. Juli 1964
Einzelinformation Nr. 569/64 über einige Mängel in der Kaderarbeit, Leitungstätigkeit und auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und Wachsamkeit im Zentralamt für Fernleitungsanlagen (ZAF), die spionage- und verbrechensbegünstigende Umstände darstellen
Nachstehende Information ist in erster Linie zur eventuellen Auswertung durch die zzt. das Zentralamt für Fernleitungsanlagen überprüfende Kommission des ZK der SED und des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen gedacht.
Das ZAF ist ein Sonderamt der Deutschen Post und hat wichtige zentrale politische Aufgaben des drahtgebundenen Nachrichtenwesens zu lösen. Neben der technischen Planung und Projektierung der Erweiterungs- und Erhaltungsmaßnahmen im Hauptleitungsnetz der DDR ist es u. a. auch für den Ausbau des Hauptfernleitungsnetzes und die Erfüllung von Aufträgen anderer Bedarfsträger (wie bewaffnete Organe, auch MfS, Reichsbahn, Energie-, Wasser- und Gasversorgung) verantwortlich.
Die zentrale Bedeutung des Objektes für das drahtgebundene Nachrichtenwesen der DDR veranlasst auch den Gegner, sich über dieses Objekt allseitige Informationen zu erarbeiten, die ihm schließlich Einblick in das gesamte Fernmeldewesen der DDR gewähren.1 Spionageaufträge des Gegners lassen erkennen, dass er sich besonders für das Fernkabelliniennetz mit den Verstärkerämtern interessiert, um auch Möglichkeiten der Anwerbung von Spionen zu erhalten, die an dieser technischen Einrichtung tätig sind. Der Gegner versucht Voraussetzungen für die Telefonspionage und die Aufklärung wichtiger militärischer und ökonomischer Vorhaben und eventuell sabotagegefährdeter Punkte zu schaffen. Diese Angriffsrichtung wird u. a. dadurch bestätigt, dass englische und amerikanische Fahrzeuge der Militärmission besonders nach dem 13.8.1961 versuchen, Kabeltrassen und technische Einrichtungen (VStÄ) aufzuklären. Die Angriffsrichtung des Gegners war bereits vordem – 1959 bei der Verhaftung des Spions [Name 1]/Techniker im Amt für Fernnetze und 1960 bei der Verhaftung des Spions [Name 2]/Diplom-Ingenieur im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen – zu erkennen gewesen. Eine Reihe von Umständen im ZAF leisten den Absichten des Gegners noch Vorschub.
So hat formale und prinzipienlose Kaderarbeit in verschiedenen Arbeitsbereichen zu Konzentrationen negativer Personen geführt, die günstige Angriffspunkte für den Gegner darstellen. Unverantwortlicher Weise wurde z. B. der ehemalige Grenzgänger2 [Name 3] als technischer Zeichner in der Abt. Technische Planung und Projektierung eingesetzt und erhielt dort Einblick in wichtige Kabelunterlagen der DDR. Bei der Einstellung des [Name 3] war bekannt, dass er nicht die Absicht hatte, seine Arbeitsstelle in Westberlin aufzugeben, sondern sich den Maßnahmen vom 13.8.1961 beugen musste und dass er bis 1943 in einer »Abwehrstelle im Wehrkreis III« beschäftigt war. Die im Zentralamt für Fernleitungsanlagen tätigen 13 ehemalige Grenzgänger arbeiten sämtlich im Bereich Produktion und konzentrieren sich insbesondere in der Abteilung Bau und Montage sowie im Sektor Hauptmechanik.
Die Spezialausbildung, die eine Reihe von Mitarbeitern des ZAF benötigt, führte dazu, dass Personen eingestellt werden, die ehemals bei der Reichspost bzw. in Konzernen tätig waren. Wo der Einsatz dieser Kräfte von der Kaderabteilung nicht genügend gelenkt wurde, sind Konzentrationen solcher Personen in verschiedenen Abteilungen entstanden. Besonders hervorzuheben ist die Konzentration ehemaliger Mitarbeiter der »Deutschen Fernkabelgesellschaft (DFKG)«. Dieser Konzern war bis 1945 der alleinige Hauptprojektant und Bauausführender für sämtliche Fernleitungskabel der DRP für politische, wirtschaftliche und militärische Zwecke. Heute ist dieser Konzern Hauptauftragnehmer der Deutschen Bundespost für alle Fernkabelfragen und besitzt eine Außenstelle in Westberlin. Nach 1945 war die Gruppe Ost für Fernkabelfragen in der damaligen sowjetisch besetzten Zone verantwortlich. Aus dieser Gruppe Ost ist schließlich das ZAF entstanden. Mit der Bildung des ZAF wurden aber auch die entsprechenden Mitarbeiter der DFKG übernommen. Gegenwärtig sind im ZAF 19 ehemalige z. T. leitende Mitarbeiter der DFKG beschäftigt, von denen acht bereits wieder leitende und mittlere Funktionen bekleiden. Sie unterhalten untereinander meist persönliche Verbindungen.
Im Mittelpunkt dieser ehemaligen DFKG-Angehörigen steht der frühere Montage-Leiter der Baugruppe Ost [Name 4, Vorname], der heute im ZAF als Abteilungsleiter Bau und Montage beschäftigt ist. Allein in seiner Abteilung arbeiten zwölf von 19 ehemaligen DFKG-Angehörigen. Die enge Verbindung dieses Abteilungsleiters zu seinem früheren Konzern geht daraus hervor, dass er während des Passierscheinabkommens 1963 von zahlreichen sogenannten früheren Arbeitskollegen aus Westberlin besucht und beschenkt wurde. Vermutlich waren die »Arbeitskollegen von früher« Angehörige des DFKG-Konzerns. Ungenügend ist auch die Kaderlenkung der ehemaligen Angehörigen der faschistischen Wehrmacht. Formaler Einsatz dieser Kräfte führte besonders zu Konzentrationen in der Abt. Bau und Montage. In diesem Bereich sind z. B. 18 ehemalige Angehörige der faschistischen Nachrichtentruppe tätig, sechs davon waren sogenannte »Sonderführer«.
So wurde der Ingenieur [Name 5, Vorname] zum Baubereichsleiter im Sektor Kabelverlegung befördert, obwohl er aktiver Faschist, Major im Reichsluftfahrtministerium war und sich heute noch mit seiner faschistischen Vergangenheit brüstet. Über ihn ist auch bekannt, dass er in der heutigen VR Polen ein Rittergut über 400 ha Land besaß und dort Arbeiter schlug.
In der Vergangenheit traten im ZAF ferner solche Personen wiederholt negativ in Erscheinung, die Nachrichteneinheiten der faschistischen Wehrmacht angehörten. Sie konzentrieren sich insbesondere im Bereich Produktion/Abteilung Bau und Montage und Abteilung Technische Planung und Projektierung sowie im Bereich Verkehr und Betrieb/Abteilung Technischer Dienst.
Auch lässt die allgemeine kaderpolitische Zusammensetzung bereits erkennen, dass der Gegner in diesem Objekt begünstigende Umstände findet. So sind z. B. von etwa 700 Mitarbeitern nur 80 Mitglieder unserer Partei und 70 gehörten der NSDAP an. Es gibt Bereiche, in denen der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder größer ist als der unserer Genossen (z. B. Bereich Produktion von 463 Mitarbeitern etwa 30 Genossen und 50 ehemalige Nazis).
Die Kadersituation im ZAF zeigt, dass im Bereich Produktion, in dem die Mehrzahl der Ingenieure tätig ist und der von der Planung bis zur Fertigstellung des gesamten Fernleitungsnetzes verantwortlich ist, die ungünstigsten kaderpolitischen Voraussetzungen bestehen. So gehörten über 16 % der in der Abteilung Technische Planung und Projektierung tätigen Mitarbeiter der NSDAP und annähernd 25 % der »Deutschen Fernkabelgesellschaft«3 an. Von der Abt. Bau und Montage waren über 10 % der Mitarbeiter Mitglieder der NSDAP und ca. 10 % gehörten Nachrichteneinheiten der faschistischen Wehrmacht an. Ferner sind dort eine Reihe ehemaliger Grenzgänger und Vorbestrafte tätig.
Die Konzentrationen negativer Personen führten auch zum Ansteigen der politisch-ideologischen Diversion und Disziplinlosigkeit in der Arbeit. In einem Bautrupp (TF-Trupp) wurde zugelassen, dass der Mechaniker [Name 6, Vorname] Mordhetze gegen Walter Ulbricht betrieb, ohne dass andere Brigademitglieder oder Vorgesetzte dagegen einschritten. Es ist weiter bekannt, dass Bautrupps – wie sie sich äußern – aus »Langeweile« Fernleitungen der Deutschen Post abhören und damit bewusst gegen Anordnungen der DP verstoßen. Da den Bautrupps in der Regel die Lage der Adern in den Fernleitungen bekannt ist, können sie sich leicht in Leitungen der Sicherheitsorgane bzw. der bewaffneten Organe einschalten.
Von der Kaderabteilung ist bisher wenig getan worden, diese Konzentrationen durch genaue Überprüfung und sinnvollen Einsatz der Kader zu beseitigen. Auch die Leitung des ZAF hat der Kadersituation nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und sie bisher noch nicht zum Gegenstand ihrer Leitungstätigkeit gemacht. Die Vernachlässigung der Kaderarbeit durch die Leitung wird auch dadurch bestätigt, dass längere Zeit im ZAF die Stelle des Kaderleiters nicht oder nur kommissarisch besetzt war. Auch der Vorschlag des MPF vom 9.6.1962, elf Mitarbeiter des ZAF, die aktiv den Faschismus unterstützten und wichtige Funktionen bekleiden, neu einzusetzen, wurde von der Leitung unterschätzt und nicht verwirklicht, was ebenfalls die Einstellung zur Kaderpolitik charakterisiert. Es ist offensichtlich, dass in dieser Hinsicht eine konkrete Anleitung durch das MPF erfolgen muss. Diese Anleitung ist umso notwendiger, da die Mehrheit der leitenden Kader im ZAF allein schon durch ihre politische Vergangenheit nicht oder kaum in der Lage ist, sich von dem kleinbürgerlichen Gedankengut vom »Nurfachmann«, »Postbeamten« und »Konzernangehörigen« zu befreien und ihre Mitarbeiter im Sinne unserer Politik zu erziehen. Unter den leitenden Kadern im ZAF befinden sich mehrere Personen, die aufgrund ihrer faschistischen Vergangenheit aus dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen entfernt wurden, im ZAF aber wichtige Funktionen bekleiden.
In Anbetracht dieser kaderpolitischen Situation sind dem Gegner günstige Ansatzpunkte zur Werbung von Personen gegeben, die bereit sind, ihm wichtige Materialien zu verraten. Nur durch Veränderung der Situation im ZAF kann dem Gegner diese Basis genommen werden.
Neben der unbefriedigenden kaderpolitischen Situation werden im ZAF durch sorglosen Umgang mit Dokumenten und Entwicklungsunterlagen dem Gegner neue Momente für die Aufklärung des drahtgebundenen Fernsprechwesens geboten. Gröblich verletzt die Amtsleitung die Dienstanweisungen 4.1 und 4.11 sowie die »Ordnung über Aufgaben und Arbeitsweise des ZAF«, die die Grundlage für die Erhöhung der Sicherheit und Wachsamkeit bilden. Politisches Unverständnis über die Notwendigkeit, die Wachsamkeit und Sicherheit zu erhöhen, führt bei zahlreichen leitenden Kadern dazu, dass diese Fragen lediglich als lästiges Übel angesehen werden. So ist es auch verständlich, wenn ein Bereichsleiter unter Duldung des Amtsleiters wegen »fachlicher Überlastung« eine Belehrung seiner Mitarbeiter über den Umgang mit wichtigen Unterlagen ablehnt. Wie notwendig jedoch solche Belehrungen sind, sollen folgende Beispiele zeigen: Alle Originalpausen und Planbücher des gesamten Fernleitungsnetzes der DP werden in der Plankammer der Abt. Sonderfragen derart unübersichtlich aufbewahrt, dass der Diebstahl solcher Dokumente längere Zeit nicht bemerkt werden würde. Das Ausleihen dieser Unterlagen erfolgt zwar mit einer schriftlichen Genehmigung, jedoch erfolgt keine Überprüfung, ob der Betreffende für seine Tätigkeit Einblick in Planbücher nehmen muss. Unberechtigter Weise können dadurch viele Mitarbeiter ohne besondere Befugnis in die Originalpausen und Planbücher einsehen.
Unberechtigt wird auch die Abt. Bau und Montage mit Kabelobjekten vertraut gemacht. Da der Abt. Sonderfragen kein technischer Zeichner zur Verfügung steht, obwohl seit August 1963 ein entsprechend der Bedeutung der Abteilung neuer Stellenplan ausgearbeitet wurde, ist die Abteilung gezwungen, die Planbücher zur Korrektur an einen parteilosen technischen Zeichner in die Abt. Bau und Montage zu geben. Trotz dieser Maßnahme ist die Abt. Sonderfragen nicht in der Lage, die Planbücher auf den neuesten Stand zu halten, da für die ca. 400 nicht erledigten Berichtigungen ein Zeichner über drei Monate zu arbeiten hätte. Laut Anweisung der Post sind jedoch solche Berichtigungen innerhalb von vier Wochen zu erledigen. Als Folge dieser unordentlichen Planbücherhaltung ist dann oft ein längeres Suchen nach Kabeln erforderlich, und empfindliche Störungen des Nachrichtennetzes können entstehen.
Auch die Herstellung und Vervielfältigung der Dokumente kann der Gegner für Spionagezwecke ausnutzen. Zwar ist bekannt, dass die Originalpausen des Fernleitungsnetzes die wichtigsten Unterlagen des ZAF sind und entsprechend der Weisung wie registrierpflichtige Unterlagen bzw. vertrauliche Dienstsachen zu behandeln sind, jedoch besteht keine Kontrolle, wie viele Exemplare jeweils gefertigt werden. Trotz durchgeführter Taschen- und Zimmerkontrollen werden zahlreiche dienstliche Unterlagen unberechtigt mit nach Hause genommen bzw. in den Arbeitszimmern unverschlossen liegengelassen, ohne dass energisch dagegen eingeschritten wird.
Der gegenwärtig noch existierende Zustand in der Behandlung der Unterlagen ist unverantwortlich und muss mit allen Mitteln beseitigt werden. Er bietet dem Gegner eine Vielzahl von Möglichkeiten, das Fernmeldenetz der DDR aufzuklären und für Sabotage und Spionage auszunutzen.
In diesem Zusammenhang muss noch erwähnt werden, dass auch im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt (RFZ) und im Institut für Post- und Fernmeldewesen (IPF) ähnliche Zustände herrschen. Das Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt und das Institut für Post- und Fernmeldewesen sind wissenschaftlich-technische Zentren der Deutschen Post und haben wichtige Funktionen bei der ökonomischen Stärkung der DDR und der Festigung der Verteidigungsbereitschaft zu erfüllen. Ähnlich wie beim ZAF waren die Kader vorwiegend ehemalige Mitarbeiter der Reichspost oder gehörten Konzernen an und bilden die gleichen Konzentrationen wie bereits genannt.
Im RFZ bestehen im Bereich Entwicklung (und hier besonders in den Fachgebieten Rundfunk-Studiotechnik, Feinmechanik-Optik und Funkverfahren), dessen Mitarbeiter überwiegend Ingenieure sind, von denen weitgehend der gesamte Entwicklungsstand im RFZ abhängt, die ungünstigsten kaderpolitischen Voraussetzungen (ehemalige Angehörige von Luftnachrichteneinheiten der faschistischen Wehrmacht, Luftnachrichtenschulen der faschistischen Wehrmacht und NSDAP-Mitglieder).
Erschwert wird die Kaderarbeit im RFZ und IPF dadurch, dass die Fachgebietsleiter grundsätzlich sogenannte Nurwissenschaftler sind, die die kaderpolitische Erziehung der Mitarbeiter überhaupt nicht als ihre Aufgabe betrachten. Entsprechend ist auch das politisch-ideologische Niveau und bedingt entsprechend auch den Umgang mit den Entwicklungsmaterialien. Auch die Lagerung und Vervielfältigung der Entwicklungsunterlagen ist genauso unzureichend wie im ZAF und gibt dem Gegner die Möglichkeit, sich durch Diebstahl oder unberechtigte Einsicht einen Überblick über wichtige Unterlagen des Funkwesens und Fernmeldewesens zu verschaffen. Fachkolloquien über abgeschlossene wissenschaftlich-technische Entwicklungen, die regelmäßig im RFZ und IPF durchgeführt werden, sind weitere Gefahrenquellen, da der Teilnehmerkreis zzt. nicht begrenzt ist und keine Kontrolle besteht, ob nicht Personen bewusst zum Zwecke der Erkundung die Kolloquien besuchen.
Nach Ansicht einiger leitender Mitarbeiter des RFZ ist als wesentlicher Mangel zu betrachten, dass der Leiter der Abt. Sicherheit im RFZ fachlich dieser Funktion nicht gerecht werde. Er habe bereits in anderen Funktionen versagt und sei hier lediglich eingesetzt worden, weil man ihn nicht »fallen lassen« wollte. Abgesehen davon, dass diese Methode keine Hilfe für den Genossen sei, zeige sich aber auch darin eine Unterschätzung der Sicherheitsfragen durch die Amtsleitung.
Im IPF ist kein verantwortlicher Mitarbeiter vorhanden, der sich besonders mit den Fragen der Sicherheit beschäftigt.