Maßnahmen des Westberliner Senats zum Deutschlandtreffen
11. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 379/64 über Maßnahmen des Westberliner Senats zum Deutschlandtreffen
Wie eine zuverlässige Quelle berichtete, fand am 23. April 1964 eine weitere Sitzung der Senatskommission statt, die sich mit Fragen des Deutschlandtreffens beschäftigte.1 An der Sitzung, die vom Senator Neubauer2 geleitet wurde, nahmen u. a. der stellvertretende Leiter des Landesverfassungsschutzamtes Paul Plückhahn3 und die Referentin des Bundesministeriums für »gesamtdeutsche Fragen« Frau Oberregierungsrat Pieser4 teil. Außerdem waren Vertreter der Senatskanzlei, der Senatsverwaltung für Jugend und Sport, des Informationszentrums Berlin und der Jugend- und Studentenorganisationen anwesend.
Auf der Sitzung, die einen koordinierenden Charakter für eine Reihe von vorhergegangenen Einzelbesprechungen trug, wurde Folgendes festgelegt:
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Neben den bereits schon bekannt gewordenen zwei Großveranstaltungen im Sportpalast am 16. und 17.5.1964 wird am 16.5.1964 um 10.30 Uhr im Studentenhaus am Steinplatz eine Veranstaltung des Ringes politischer Jugend5 durchgeführt. Auf dieser Veranstaltung spricht Fritz Schenk6 über das Thema »Die junge Generation in der sowjetischen Besatzungszone«.
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Von dem geplanten Vorhaben, am Brandenburger Tor ein Freilichtkino einzurichten, muss Abstand genommen werden, da ein solches Unternehmen einen Kostenaufwand von ungefähr 100 000 DM erfordere. Weder die Senatsverwaltung für Jugend und Sport noch das Bundesministerium für »gesamtdeutsche Fragen« waren bereit, diese Mittel zur Verfügung zu stellen.
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Für einen Westberlin-Besuch zu Pfingsten liegen zurzeit etwa 10 000 Anmeldungen vor. Für weitere 5 000 Jugendliche werden Notquartiere in zwei Ausstellungshallen am Funkturm bereitgestellt (nach letzten Schätzungen würden nach Mitteilung einer anderen zuverlässigen Quelle mindestens 35 000 bis 50 000 westdeutsche Jugendliche erwartet).
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Für die politische Betreuung der westdeutschen Jugendlichen werden besondere Stellen im Haus des Ringes politischer Jugend, Kurfürstendamm 96, und im Jugendheim Böcklerpark (in der Nähe des Grenzkontrollpunktes Heinrich-Heine-Straße) eingerichtet. Für den Fall der Belegung einiger Ausstellungshallen am Funkturm wird auch dort ein Informationsstand aufgebaut. Für ausländische Gäste ist, wie bereits gemeldet, eine Kontaktstelle7 in der Nähe des Grenzkontrollpunktes Friedrichstraße vorgesehen. Für die Wahrnehmung der politischen Betreuungsaufgaben im Hause des Ringes politischer Jugend, im Jugendheim Böcklerpark und in den Ausstellungshallen sind neben Mitarbeitern des Senators für Jugend und Sport junge Angehörige des Bonner Bundestages und des Westberliner Abgeordnetenhauses vorgesehen. Der Ring Politischer Jugend ist beauftragt worden, sich darum zu kümmern, dass Mitglieder des Bonner Bundestages und Abgeordnete des Westberliner Abgeordnetenhauses für diese Zeit auf telefonischen Abruf zur Verfügung stehen.
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Für die westdeutschen Jugendlichen ist folgendes Programm vorgesehen:
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ein Einführungsvortrag (verantwortlich das Westberliner Presse- und Informationsamt)
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ein Vortrag über die Verhältnisse in der DDR (verantwortlich Bundesministerium für »gesamtdeutsche Fragen«)
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eine Stadtrundfahrt
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eine Fahrt entlang der Grenze
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ein Abschlussgespräch
Das Abschlussgespräch hat die Aufgabe festzustellen, welche Wirkung bestimmte Argumente der DDR bei den westdeutschen Jugendlichen hinterlassen haben. Der Ring Politischer Jugend hat sich bereit erklärt, für das Abschlussgespräch 60 Referenten zur Verfügung zu stellen (25 Jungsozialisten, 25 Angehörige der Jungen Union8 und zehn Jungdemokraten9). Die Referenten werden u. a. von Peter Herz10 (RIAS) in ihre Aufgaben eingewiesen. Mithilfe eines Fragebogens, den jeder Referent erhält, sollen die Jugendlichen in dem Abschlussgespräch nach ihren Eindrücken vom Deutschlandtreffen befragt werden. Die Ergebnisse der Befragung will die Senatskommission, die sich mit Fragen des Deutschlandtreffens beschäftigt, nach dem Deutschlandtreffen auswerten. Es soll festgestellt werden, in welcher Form es den Organisatoren des Deutschlandtreffens gelungen ist, auf die westdeutschen Jugendlichen einzuwirken.
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Von einer anderen zuverlässigen Quelle wurden weiterhin folgende Maßnahmen des Westberliner Senats zum Deutschlandtreffen bekannt:
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Der Senator für Jugend und Sport hat für alle Beschäftigten des Landesjugendamtes und für alle in der politischen Bildungsarbeit stehenden Personen aus den Bezirken Westberlins zu Pfingsten Sonderdienst angeordnet. Für alle Mitarbeiter wurde Urlaubssperre verhängt. Es sind Vorbereitungen getroffen worden, um Mitarbeiter jederzeit telefonisch beordern zu können. Außerdem wurden Räume für einen Bereitschaftsdienst bereitgestellt. Die Besucherbetreuung und der Referentendienst des Westberliner Informationszentrums haben ebenfalls Bereitschaft.
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Von der Senatskommission wurde das Westberliner Presse- und Informationsamt unter maßgeblicher Mitarbeit von Egon Erwin Müller11 damit beauftragt, während des Deutschlandtreffens eine tägliche Auswertung vorzunehmen. Zu diesem Zweck werden die Gruppen, die die Hauptstadt der DDR aufsuchen, sofort nach ihrer Rückkehr eingehend befragt. Die Mitglieder der Gruppen erhalten außerdem Sonderinstruktionen über die Dinge, die sie zu berichten haben.
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Es wurden Überlegungen angestellt, ob es sinnvoll wäre, das Studio am Stacheldraht12 für besondere Aufgaben einzusetzen, um auf diese Weise bestimmte Nachrichten und vor allem interessierende Hinweise geben zu können.
Auf der Sitzung wurde nochmals zum sogenannten Albertz13-Plan14 Stellung genommen und die Auffassung vertreten, dass es in erster Linie technische Mängel sind, die eine Durchführung des Planes unmöglich machen. Politische Hintergründe scheinen in diesem Kreis, nach Ansicht der Quelle, nicht maßgebend gewesen zu sein. Nach Meinung von Frau Oberregierungsrat Pieser vom Bundesministerium für »gesamtdeutsche Fragen« z. B. wäre es wünschenswert gewesen, mit einer möglichst großen Anzahl von westdeutschen Jugendlichen das Deutschlandtreffen zu unterwandern. Die westdeutschen Jugendlichen sollen grundsätzlich aufgefordert werden, die Hauptstadt der DDR aufzusuchen und sich dort umzuschauen und zu diskutieren. Man glaubt, dass durch das Auftreten der westdeutschen Jugendlichen ein zersetzender Einfluss auf die Jugend der DDR ausgeübt werden kann. Nach Auffassung der Mehrheit der Mitglieder der Senatskommission sollen in den Argumentationen der westdeutschen Jugendlichen Fragen des Lebensstandards eine bestimmte Rolle spielen. Insgesamt glaubt man jedoch nicht, dass die westdeutschen Jugendlichen in der Lage sein werden, sich in politischen Gesprächen zu behaupten. Dieser Umstand könnte jedoch dazu beitragen, dass die westdeutschen Jugendlichen sich in Zukunft etwas stärker um Politik kümmern.
Auf der Sitzung wurde weiter bekannt, dass die Jungdemokraten,15 vertreten durch Erwin Loßmann,16 einen Brief an Bundesminister Mende17 geschrieben haben, in dem sie scharf gegen die geplanten Veranstaltungen in Westberlin während der Pfingstfeiertage protestieren. Sie sind der Meinung, dass durch diese Veranstaltungen die westdeutschen Jugendlichen gehindert werden können, sich auf dem Deutschlandtreffen zu informieren.18
Eine andere zuverlässige Quelle teilte mit, dass der Sekretär des SPD-Unterbezirks Düsseldorf, Karl Ranz,19 mit Funktionären der Jungsozialisten eine Besprechung über das Deutschlandtreffen durchgeführt hat. Im Verlaufe der Sitzung erklärte Ranz, dass jeder einzelne Jungsozialist, der nach Berlin fährt, einen konkreten Auftrag der Partei übernehmen müsse. Es ginge vor allem darum, »die Ostzonen-Jugend über die freiheitlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik aufzuklären«.
Der FDP-Vorsitzende von Düsseldorf Rasche20 sprach sich offen für die Teilnahme der Jungdemokraten am Deutschlandtreffen aus.
Von einer vertrauenswürdigen Quelle wurden im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen folgende Äußerungen einiger westdeutscher Politiker bekannt, die sie Ende April im Verlauf von persönlichen Gesprächen gemacht haben:
Nach Meinung von Bundesminister Mende hätten die Kommunisten mit dem Aufruf an die westdeutsche Jugend, sich am Deutschlandtreffen zu beteiligen, der westdeutschen Seite ein Kuckucksei ins Nest gelegt. So einfach wäre das nicht, auf den Aufruf nur mit Verboten oder Ausflüchten zu reagieren. Für ihn als Minister für »gesamtdeutsche Fragen« sei das sogar ein ausgesprochenes Problem. Er bemühe sich gerade zu den Jugendverbänden Kontakte aufzunehmen und dort für den Wiedervereinigungsgedanken zu werben. Bislang konnte er allen Fragen nach Kontaktmöglichkeiten zwischen west- und ostdeutschen Jugendlichen dadurch begegnen, dass er auf die Mauer und auf die Reisebeschränkungen hinwies. Nun aber ist es die westdeutsche Seite, die eine Schutzmauer dadurch errichtet, indem sie die FDJ-Funktionäre bei der Einreise in die Bundesrepublik verhaftet. Über diese Entwicklung, auch über die Verhaftungen, sei Mende höchst unglücklich. Das wäre nicht die richtige Antwort, die sie gegeben haben.
Bei der CDU habe es eine Zeitlang die Idee gegeben, eine Gegenveranstaltung in Westberlin aufzuziehen. Dieser Plan wäre aber deshalb aufgegeben worden, weil die Kommunisten dann die Interzonenstrecke aus Sicherheitsgründen gesperrt hätten. Es hätte aber allerdings auch die Vorstellung eine Rolle gespielt, dass die Jugendlichen bestimmt zum überwiegenden Teil in den Ostsektor gegangen wären.
Nach Ansicht von Zoglmann21 (Bundestagsabgeordneter der FDP) habe Albertz eindeutig mit seinem Plan die Absicht verfolgt, die FDJ ein wenig aus dem Konzept zu bringen oder gar zu provozieren. Aber genau durchdacht hätte er seinen Plan auch nicht. Albertz habe übersehen, dass der Schuss auch nach hinten und in die eigenen Reihen losgehen könnte.
Rasner22 (Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion) meinte zum Albertz-Plan, dass außer vom Christlichen Verein Junger Männer doch nur die Falken nach Berlin gefahren wären, die sich dann mit der FDJ verbrüdert hätten. So ein Vorschlag müsste im Keime erstickt werden. Es hätte nicht erwogen werden dürfen, die ziemlich kräftig rot angehauchten Falken dem Kontakt mit der FDJ auszusetzen.
Erler23 (stellvertretender SPD-Vorsitzender) vertritt die Meinung, dass der Plan von Albertz gut war, wenn auch in der Praxis undurchführbar. Die westdeutschen Jugendlichen wären zahlenmäßig in der halben Million FDJler untergegangen. Man hätte in Westberlin eine größere und schönere Gegenveranstaltung aufziehen müssen. Alles in allem sei es wohl weniger beschämend als vielmehr schade, dass die westliche Seite nicht in der Lage ist, mit gleichen Dingen aufzuwarten. Eine Manifestation der Jugend mache sich immer gut.
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