Negative Auswirkungen des Auftretens von Professor Horn
11. Dezember 1964
Einzelinformation Nr. 1103/64 über negative Auswirkungen des Auftretens von Prof. Dr. Horn, Forschungsleiter der Farbwerke Hoechst, vor Chemikern und Studenten der Humboldt-Universität
Nach vorliegenden übereinstimmenden Informationen hat das vom Ortsverband Berlin der Chemischen Gesellschaft der DDR veranstaltete Kolloquium mit Prof. Dr. Horn1 dazu beigetragen, Chemiker und Studenten der Humboldt-Universität im negativen Sinne zu beeinflussen bzw. Träger negativer Auffassungen in ihrer Haltung zu stärken. Diese Feststellung trifft sowohl auf das Zustandekommen und den Verlauf des Kolloquiums zu wie auch auf das Verhalten einer Reihe von Genossen bei der Auswertung dieser Veranstaltung in der zuständigen Parteigrundorganisation bzw. Parteigruppe.
Von verschiedenen Quellen wurde eingeschätzt, dass Prof. Dr. Horn es geschickt verstanden hat, die angebliche westliche Überlegenheit in der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Chemie zu demonstrieren und an in der DDR noch vorhandenen Mängeln und Schwächen anzuknüpfen, ohne das direkt anzusprechen.
Seine Ausführungen waren ferner geeignet, unter den Studenten und unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs vorhandene Unzufriedenheit (z. B. in Fragen der Vermittlung und des Einsatzes von Absolventen und der Forschungsmöglichkeiten, in Gehalts- und Wohnungsfragen usw.) zu schüren.
Abgesehen davon, dass während des Vortrages von Prof. Dr. Horn von Zuhörern öfters Erstaunen und Bewunderung zum Ausdruck gebracht wurde, kam es nach dem Kolloquium zu skeptischen Äußerungen hinsichtlich der Möglichkeiten der DDR, Westdeutschland einzuholen bzw. zu überholen.
Am 1.12.1964 fand eine Versammlung der Parteigrundorganisation der Chemiker statt, wo die Genossen zur Einschätzung des Kolloquiums Stellung nehmen sollten. Der Sekretär der GO, Genosse [Name 1], gab eine erste parteiliche Einschätzung, die anwesenden Genossen enthielten sich jedoch jeglicher Stellungnahme.
Auf einer zweiten GO-Versammlung am 7.12.1964 referierte Genosse Dr. [Name 2] über die Perspektivplandiskussion. Es wurde eingeschätzt, dass diese Problematik in der GO gut angekommen ist, in der Diskussion wurde jedoch nicht darauf eingegangen. Die Versammlungsleitung hatte an die Genossen zwei Fragen gestellt, und zwar: 1. Hat uns das Auftreten von Prof. Horn in der fachlichen und politischen Arbeit vorangebracht; 2. Wie ist das Auftreten von Horn parteilich einzuschätzen?
Wie berichtet wurde, nahmen in der sehr regen Diskussion die Genossen [Vorname Name 3] und Dr. Barnikow2 – unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus bzw. unter Berufung auf Ausführung von Genossen Walter Ulbricht auf der 7. ZK-Tagung3 – gegen die von der Parteileitung gegebene Einschätzung des Kolloquiums Stellung. Sie beriefen sich insbesondere auf Ausführungen von Genossen Walter Ulbricht über den Kampf gegen den Dogmatismus, über die Erziehung der Parteimitglieder zum Kämpfertum, über ihre Erziehung für Auseinandersetzungen mit der imperialistischen Ideologie (die Genossen nicht unter eine Käseglocke stellen) usw. Von diesen Genossen wurde »eingeschätzt«, dass Horn »keine« gezielte Konzernpropaganda betrieben habe und, wenn es um die Einholung von Forschungsinformationen gehe, man sich auch mit dem Teufel, d. h. auch mit Vertretern der westdeutschen Konzerne, verbünden müsse. Die Veranstaltung habe auf jeden Fall »Informationswert« gehabt. Sie führten weiter an, dass die Einschätzung des Kolloquiums durch die Partei eine »Einschränkung der Informationsfreiheit« beinhalte und die Universitätsparteileitung keine Angst vor den Fakten haben solle.
In diesem Zusammenhang wurde – offensichtlich in provokatorischer Absicht – die Frage gestellt, wie würde die Partei erst reagieren, wenn es zur friedlichen Koexistenz und zur Konföderation in Deutschland komme, wenn »wir unsere Leute jetzt schon abschirmen wollen«. Die Wissenschaftler und Studenten seien unter diesen Umständen für die kommenden Klassenauseinandersetzungen nicht gewappnet. Eine solche Maßnahme, wie z. B. die Absetzung des Kolloquiums, müssten sie als Misstrauen gegenüber den Genossen der Chemie bezeichnen und sie wären grundsätzlich nicht damit einverstanden.
Sie erklärten weiter, dass sie mit den Äußerungen Horns zur Planung durch die Konzerne bzw. im Sinne der Abwertung der Perspektivplanung nicht in allen Punkten einverstanden seien, wobei sie jedoch auch hier betonten, dass es sich bei den Ausführungen Horns um seine persönliche Meinung gehandelt haben könne. Sie würden das Auftreten Horns »nicht als eine politische Demonstration« gegen Partei und Regierung betrachten. Die Universitätsparteileitung würde die einzelnen Fakten sehr aufbauschen und dramatisieren.
In diesem Zusammenhang wurde von diesen Genossen »argumentiert«, was würden wir unternehmen, wenn der vom Genossen Walter Ulbricht vorgeschlagene Zeitungsaustausch4 stattfinde; die Hamburger »Zeit« würde wegen der DDR »nicht kommunistisch« schreiben. Die Einschätzung des Kolloquiums durch die Universitätsparteileitung stehe, nach ihrer Meinung, »im Gegensatz« zur Meinung des Genossen Walter Ulbricht.
Nach den vorliegenden Informationen sind die Genossen Dr. Barnikow, [Name 3], Oberassistent [Name 4], Oberassistent Blumenthal,5 Keilert,6 [Name 6], Dr. Reimer,7 Oberassistent [Name 7], [Name 8] und teilweise Prof. Rühlmann8 als negative bzw. in diesen Fragen unklare Sprecher aufgetreten. Mit einer klaren parteilichen Stellungnahme seien die Genossen [Name 1], Prof. Landsberg9 und Kotowski10 aufgetreten. Die Genossen Dr. Heinz Scheithauer11 (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Marxismus-Leninismus) und Dr. Horst Bartelt12 (Oberassistent im Physikalisch-Chemischen Institut) hätten sich nicht geäußert. Keiner der Genossen aus dem sogenannten alten Havemann13-Kreis14 habe zu den aufgeworfenen Fragen parteilich Stellung genommen. Solche sogenannten Havemann-Anhänger wie Dr. Georg Tomaschewski15 und Nieswand16 waren außerdem nicht anwesend.
Am 8.12.1964 fand eine weitere Aussprache, und zwar der Parteigruppe des Fachrichtungsrates Chemie statt. Zu den Teilnehmern gehörten u. a. Genossin Prof. Dornberger,17 die Genossen Prof. Schirmer,18 Dr. Pietsch19 (bekannt als »rechte Hand« Havemanns), Prof. Landsberg, Prof. Rühlmann und die Oberassistenten Dr. Barnikow, [Name 4] und [Name 7] sowie von der Universitätsparteileitung die Genossen Prof. Rapoport20 und Dr. [Name 2].
Genosse Prof. Schirmer informierte über die Ausführungen des Genossen Honecker21 auf der 7. ZK-Tagung22 und schätzte ein, dass das Auftreten Horns der Partei geschadet habe. Genosse Dr. [Name 2] berichtete nochmals über den Verlauf des Kolloquiums und über die anschließenden Auseinandersetzungen. Prof. Rapoport wies ausdrücklich auf das einheitliche Auftreten der Genossen, besonders der Genossen Professoren, bei der ideologischen Klärung des Kolloquiums hin. Die anwesenden Oberassistenten mussten erst aufgefordert werden, zu den Vorkommnissen Stellung zu nehmen und die Linie der Partei zu vertreten. Barnikow und [Name 7] versuchten zu bagatellisieren und zu beteuern, dass es sich bei ihrer Haltung nur um Meinungsverschiedenheiten handle und sie im Prinzip die Meinung der Partei unterstützen würden.
Im Interesse der Herbeiführung weiterer Klarheit sind eine Fachrichtungsratssitzung, Parteigruppenversammlungen, Arbeitsberatungen, Aussprachen usw. vorgesehen.
Nachträglich wurde bekannt, dass bereits am 30.11.1964 in Auswertung vorangegangener Aussprachen mit Genossen des ZK eine Beratung mit Dr. Reimer und Prof. Landsberg stattfand. Dort gab Dr. Reimer gegenüber den Genossen der Universitätsparteileitung zu, dass er als Sekretär der Chemischen Gesellschaft als erster die Möglichkeit gehabt habe, das Kolloquium zu verhindern bzw. sich vorher mit der Universitätsparteileitung zu beraten. Er, Reimer, habe von einem Vertreter der Farbwerke Hoechst erfahren, dass dieser Konzernbetrieb an einer Verbindung mit der DDR großes Interesse habe. Die Farbwerke Hoechst würden zur Leipziger Jubiläumsmesse23 »ganz groß herauskommen« und mit einigen Vorstandsmitgliedern des Konzerns erscheinen.
Reimer halte es für möglich, dass Prof. Rieche24 während eines Aufenthaltes in Westdeutschland das Auftreten Horns schon vorher organisiert habe. Prof. Rapoport bezeichnete in diesem Zusammenhang Prof. Rieche als »ausgesprochenen IG-Farben-Mann«,25 der sich auch noch als solcher fühle. Eine andere Quelle wies darauf hin, dass Prof. Rieche wissenschaftlicher Mitarbeiter des IG-Farben-Konzerns war, schon jahrelang enge Verbindungen zu westdeutschen Wissenschaftlern unterhalte, regelmäßig Vortragsreisen in Westdeutschland durchgeführt und sogar die IG-Farben-Nachfolger besucht habe. Prof. Rieche habe Prof. Horn anlässlich der Achema-Tagung 196426 zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen seines Instituts27 eingeladen.
In der angeführten Aussprache vom 30.11. brachte Dr. Reimer weiter zum Ausdruck, dass einige Professoren wie z. B. Rienäcker,28 Schirmer und Leibnitz29 eine »vornehme Zurückhaltung« in der Form geübt hätten, dass sie am Kolloquium nicht teilnahmen. (Prof. Schirmer sei gebeten worden, das Colloquium zu leiten, habe jedoch wegen Teilnahme an einer Parteigruppenversammlung abgelehnt. Prof. Hilgetag30 wurde daraufhin mit der Leitung beauftragt.) Dr. Reimer vertrat ferner die Meinung, dass Horn außer einigen Aspekten der Konzernforschung nichts Neues gesagt habe und seine Angaben im Wesentlichen schon in westdeutschen Fachzeitschriften behandelt worden seien.
Von verschiedenen Quellen werden die Professoren Rieche, Hilgetag und Thilo31 als die wichtigsten Organisatoren des Kolloquiums genannt, die Prof. Kolditz32 überredet hätten, der Veranstaltung zuzustimmen. Es wurde jedoch auch bekannt, dass Prof. Kolditz für den 8.1.1965 ein weiteres Kolloquium beantragt hat, auf welchem ein Professor aus Mainz über Probleme der westdeutschen Forschung sprechen soll. Der amtierende Rektor Prof. Mohrmann33 werde diesen Antrag ablehnen.
Die Information darf publizistisch nicht ausgewertet werden.