Plan einer Richtfunkverbindung zwischen der ČSSR und Westdeutschland
16. April 1964
Einzelinformation Nr. 325/64 über eine geplante Richtfunkverbindung zwischen der ČSSR und Westdeutschland
Mit Datum vom 5. März 1964 sandte die Zentralverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen der ČSSR ein Schreiben an das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR. In diesem Schreiben, das lediglich vom Leiter der Internationalen Sektion Ing. G. Vodňanský unterzeichnet ist, wurde mitgeteilt, dass Anfang Februar 1964 zwischen Vertretern der Zentralverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen der ČSSR und Vertretern der Deutschen Bundespost (WD) Besprechungen über Probleme der Errichtung einer Richtfunkverbindung zwischen beiden Ländern geführt wurden. Dabei sei vereinbart worden, 1966 mit dem Aufbau einer Richtfunkverbindung zu beginnen, damit schon 1967 der Betrieb aufgenommen werden könne. Als Begründung wird angeführt, diese Verbindung diene zur Vermehrung und Verbesserung bestehender Fernsprech- und Rundfunkverbindungen zwischen der ČSSR und Westdeutschland und sei auf Wunsch des Generalsekretariats der OIRT (Rundfunkorganisation der sozialistischen Länder)1 auch für die Fernsehverbindungen zwischen der Intervision2 und Eurovision3 vorgesehen.
Im Zusammenhang mit dieser vorgesehenen Richtfunkverbindung ist es notwendig, auf folgende Probleme aufmerksam zu machen:
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Der im Schreiben der ČSSR angeführte Wunsch der OIRT ist, wenn er tatsächlich ausgesprochen wurde, ohne Konsultation der DDR-Vertreter erfolgt, die sowohl im Generalsekretariat als auch in allen Sektionen der OIRT ihren Sitz haben.
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Eine Realisierung dieser Vereinbarungen zwischen der ČSSR und Westdeutschland in einem solchen Umfange, dass neben dem Rundfunk-, Fernsprech- und Fernschreibverkehr auch die Fernsehverbindung zwischen Intervision und Eurovision einbezogen würde, widerspräche den gültigen Abmachungen, wie sie von der 1960 gebildeten Intervisionszentrale (Fernsehorganisation der sozialistischen Länder – Sitz Prag) getroffen und auch auf einer Konferenz in Genf zwischen Vertretern der sozialistischen und westlichen Rundfunkorganisationen akzeptiert wurden. Dort wurde festgelegt, dass Programmaustausche und gegenseitige Übernahme von Direktsendungen durch die Übergabestationen Ungarn – Österreich und DDR – Westdeutschland (Dequede und Brocken) erfolgen.
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Über die geplante Richtfunkverbindung ergibt sich jedoch auch die Möglichkeit, in großem Maße die Transitverbindungen abzuwickeln, für die nach Abstimmung mit den sozialistischen Ländern in der Hauptstadt der DDR u. a. das neue internationale Fernamt in der Dottistraße4 in Betrieb genommen wurde.
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Bei der Verwirklichung dieses Projekts einer Richtfunkverbindung ČSSR – Westdeutschland würde der DDR nicht nur großer ökonomischer Schaden, sondern auch politischer Schaden entstehen, der nicht im Interesse der sozialistischen Länder liegen kann, wohl aber im Interesse Westdeutschlands und anderer westlicher Staaten. Wenn es die geplante Richtfunkverbindung von ihrem Umfang her zulässt, wird dies mit Sicherheit von Westdeutschland u. a. westlichen Ländern zur Isolierung der DDR auf diesem Gebiet ausgenutzt. Es bestünde für sie dann die Möglichkeit, die DDR als Verhandlungspartner auszuschalten und den Fernseh-, Rundfunk- und Nachrichtenverkehr – auch im Transitverkehr – ausschließlich über die ČSSR abzuwickeln. Eine entsprechende Praxis wird von westdeutscher Seite bereits insofern geübt, dass zwar die rein technische Übernahme (Deutsche Post – Deutsche Bundespost) z. B. zwischen Intervision und Eurovision über die Übergabestation Brocken erfolgt, aber alle Vereinbarungen in diesem Zusammenhang über die Intervisionszentrale Prag abgewickelt werden.
Hinzu kommen Hinweise – allerdings handelt es sich hier um noch nicht bestätigte Angaben, dass die VR Polen einerseits die Inbetriebnahme der Übergabestation Frankfurt/O. verzögere, andererseits aber den Ausbau der Nachrichtenverbindung zu den nordischen Ländern vornehme. Mit dem Projekt der ČSSR in Verbindung gebracht, würde das bedeuten, dass die VR Polen den gesamten Nachrichtenverkehr von den nordischen Ländern über die ČSSR nach den sozialistischen Ländern und die ČSSR den der westlichen Ländern nach der VR Polen und den anderen sozialistischen Ländern abwickeln könnten.
Zur genauen Prüfung und Einschätzung des Sachverhaltes wurde mit dem Stellvertreter des Ministers für Post- und Fernmeldewesen Genosse Aull5 vereinbart, u. a. folgende Probleme zu untersuchen und detailliert darzulegen, um entsprechende Maßnahmen einleiten zu können: Internationale Vereinbarungen und Verträge auf dem Gebiet des internationalen Fernmelde- und Rundfunkverkehrs zwischen den sozialistischen Ländern, zwischen der DDR und kapitalistischen Ländern (gegenwärtiger Stand, Perspektive, Einhaltung der Verträge durch die DDR, Rolle der DDR-Vertreter in den internationalen Sektionen u. Ä.). Welche Nachteile und finanzielle Verluste entstehen für die DDR, wenn ein oder mehrere Vertragspartner die Verträge nicht einhalten bzw. zusätzlich eigene Wege gehen.
Vom Inhalt des Schreibens der Zentralverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen der ČSSR wurde der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Genosse Stoph,6 durch Staatssekretär Franke7 vom Ministerium für Post- und Fernmeldewesen bereits informiert.