Pressegespräch von Bürgermeister Albertz über den Tod von Egon Schultz
15. Oktober 1964
Einzelinformation Nr. 892/64 über ein Informationsgespräch des Westberliner Bürgermeisters Albertz mit Westberliner Chefredakteuren und Korrespondenten westdeutscher Zeitungen über die Ermordung des Genossen Unteroffizier Schultz
Wie eine zuverlässige Quelle berichtet, hatte der Westberliner Bürgermeister Albertz1 Westberliner Chefredakteure und Korrespondenten westdeutscher Zeitungen für den 6.10.1964 zu einem Informationsgespräch über die Grenzprovokation vom 5.10.1964 und die Ermordung des Genossen Uffz. Schultz2 eingeladen.
Von der Quelle wird vermutet, dass sich Albertz zu diesem Gespräch entschlossen habe, um den an der Grenzprovokation beteiligten Presseorganen – die illustrierte Zeitschrift »Stern«3 und das Stuttgarter Magazin »Zeitung«4 – bzw. dem westdeutschen Fernsehen das Konzept wenigstens einigermaßen zu zerschlagen.
Die Provokation und der Mord an Uffz. Schultz wurden von Albertz wie folgt dargestellt:
Vor und während des Mordes an Uffz. Schultz hätten sich im Fluchttunnel ein Redakteur der illustrierten Zeitschrift »Stern«, ein Redakteur des Stuttgarter Magazins »Zeitung« und ein angeblicher Journalist aus München aufgehalten.
Während sich die sogenannten Fluchthelfer außerhalb des Tunnels auf dem Territorium der DDR aufhielten, seien plötzlich drei Personen aufgetaucht, die sich als »Fluchtwillige« ausgegeben hätten. Die »Fluchtwilligen« seien in Zivil gekleidet gewesen und hätten geäußert, dass sie noch auf einen vierten »Fluchtwilligen« warten würden. Die sogenannten Fluchthelfer hätten die drei »Fluchtwilligen« zunächst nur mit der Waffe bedroht und ausgefragt. Unmittelbar darauf sei ihnen jedoch gestattet worden, den vierten »Fluchtwilligen« zu holen. Bei dieser Person soll es sich um Uffz. Schultz gehandelt haben. Auch er habe einen Zivilmantel über der Uniform getragen.
Wie Albertz weiter äußerte, hätten die Mörder von Uffz. Schultz ausgesagt, dass sie – als die vier Personen auf sie erneut zugekommen seien – die Worte: »Fertig, durchladen« gehört hätten. Daraufhin hätten auch sie sich verständigt und unmittelbar darauf geschossen.
In dem Kreis der Westberliner Journalisten wurde jedoch daran gezweifelt, dass in einer derartigen Situation die Worte: »Fertig, durchladen« gesprochen wurden. Darüber hinaus vertraten die anwesenden Westberliner Journalisten die Meinung, dass es logischer gewesen wäre, wenn man die drei »Fluchtwilligen« keineswegs zurückgehen lassen, sondern zum Tunnel geführt hätte. Wären die sogenannten Fluchthelfer jedoch der Ansicht gewesen, aufgrund eines Verdachtes die »Fluchtwilligen« laufen zu lassen, dann sei es nach Auffassung der Journalisten logischer gewesen, das Unternehmen sofort abzubrechen. Das dies nicht geschehen sei, wäre unter den Journalisten der Gedanke aufgetaucht, dass es sich bei den drei »Fluchtwilligen« unter Umständen wirklich um solche gehandelt habe. Auch Uffz. Schultz soll nach Ansicht der Journalisten »fluchtwillig« gewesen sein. Nur aufgrund der Tatsache, dass die sogenannten Fluchthelfer unter Alkohol gestanden hätten, sei Uffz. Schultz erschossen worden. Entsprechend dieser Behauptung veröffentlichten Westberliner Blätter am 8.10.1964 Meldungen, in denen behauptet wurde, Uffz. Schultz habe flüchten wollen und sei von seinen eigenen Genossen erschossen worden. Von einem verantwortlichen Sprecher der Westberliner Polizei sei diese Behauptung eindeutig zurückgewiesen worden. Ermittlungen hätten ergeben, dass Schüsse auf der Seite »Ostberlins« erst lange nach der Ermordung von Uffz. Schultz gefallen seien.
Nach Angaben der Quelle bestünde die Möglichkeit, dass in den nächsten Tagen die Westberliner Blätter, die die Ermordung von Uffz. Schultz missbilligen, jedoch nicht offiziell gegen die Mörder polemisieren wollen, in ihrer Berichterstattung versuchen werden, diesen Fakt so darzustellen, als hätte Uffz. Schultz tatsächlich flüchten wollen und sei nur versehentlich von seinen Mördern daran gehindert worden.5 Damit soll nach Angaben der Quelle erreicht werden, dass
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offengelassen werde, ob Uffz. Schultz nicht tatsächlich fliehen wollte,
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die Möglichkeit geschaffen wird, den Mörder nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe zu verurteilen und den Mord als Notwehr zu deklarieren.
Wie die Quelle hierzu erklärte, könnte aber selbst unter diesen Umständen eine Verurteilung des Mörders wegen fahrlässiger Tötung oder Totschlag erfolgen, weil Notwehr bei derartigen Fluchtunternehmen nicht anerkannt würde.
In seiner Antwort auf die Frage eines Journalisten, ob durch den Mord an Uffz. Schultz damit zu rechnen sei, dass die Grenzsicherungskräfte der DDR in Zukunft ohne jeden Anruf auf Grenzverletzer schießen werden, äußerte Albertz, das sei die andere bedauerliche Seite dieser Angelegenheit. Im Grunde genommen würde der Senat sich mit den sogenannten Fluchthelfern nicht identifizieren.
Die anwesenden Journalisten zogen zwar aus den Ausführungen von Albertz die Schlussfolgerung, dass der Senat dieses Fluchtunternehmen nicht billigt, jedoch waren sie der Meinung, dass eine Verurteilung des Mörders von Uffz. Schultz aus Angst vor der CDU-Presse nicht erfolgt.
Auf die Frage eines anderen Journalisten, ob er bereits mit den »Flüchtlingen« bzw. »Fluchthelfern« gesprochen habe, erklärte Albertz, dass er bisher nicht mit diesen Leuten gesprochen habe und auch nicht die Absicht hätte, dies zu tun.
Auf die Frage, ob die Westberliner CDU mit dem Bau des Fluchttunnels etwas zu tun gehabt habe, äußerte sich Albertz widersprüchlich. Einerseits erklärte er, dass es ihm nicht bekannt sei, ob die CDU zur Finanzierung des Fluchttunnels beigetragen habe, andererseits bestätigte er, dass es sich bei den »Flüchtlingen« um Personen handelt, an denen die CDU-Landesleitung Westberlin ein Interesse gehabt habe. Später äußerte er sogar, dass sich die Westberliner CDU mit 30 000 DM an der Finanzierung des Tunnelbaues beteiligt hätte.6
Albertz äußerte ferner die Vermutung, dass auch das Bundesministerium für »gesamtdeutsche Fragen« und andere Bonner Stellen an der Finanzierung des Fluchttunnels beteiligt gewesen seien. Schon deshalb müsse der Senat lavieren, würde aber ansonsten die Sache verurteilen. Wie die Quelle ergänzend hierzu berichtet, hätten sich auch Brandt7 und Bahr8 in internem Kreise gegen derartige Fluchtunternehmen ausgesprochen und zum Ausdruck gebracht, dass sie mit Mördern dieser Art nichts zu tun haben wollten.
Auf die Einschaltung der Westberliner Polizei ging Albertz nicht ein. Aus verantwortlichen Kreisen der Westberliner Polizei wurde der Quelle jedoch bekannt, dass sich die Westberliner Polizei generell bei Fluchtunternehmen – falls sie davon Kenntnis erhält – einschaltet. So sei es auch bei dem Fluchtunternehmen am 5.10.1964 gewesen. Auf den umliegenden Häusern seien mit Funksprechgeräten ausgerüstete Polizisten in Zivil stationiert gewesen. Ihre Aufgabe habe darin bestanden, das Fluchtgebiet zu beobachten, das Fluchtunternehmen unter Kontrolle zu halten und den »Flüchtlingen« sowie den sogenannten Fluchthelfern Warnzeichen zu geben.
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