Schusswaffengebrauch an der Staatsgrenze Berlin
6. April 1964
Einzelinformation Nr. 281/64 über einen Schusswaffengebrauch im Bereich der Staatsgrenze Hauptstadt der DDR/Westberlin am 4. April 1964
Am 4.4.1964, gegen 16.15 Uhr, näherten sich von der Seydelstraße kommend an der Neuen Grünstraße (Bezirk Mitte) zwei männliche Personen mit Rennrädern unmittelbar den zur Markierung des Grenzsperrgebietes errichteten Sicherungsanlagen. Wie die späteren Überprüfungen ergaben, handelte es sich dabei um [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1939 in Berlin, Beruf: Fleischer, zuletzt: VEB Fleischkombinat/Zerlegung Berlin, wohnhaft Berlin N 113, [Straße, Nr.], geschieden (vor dem 13.8.1961 in Westberlin gearbeitet); Schufft, Georg,1 geboren [Tag, Monat] 1940 in Berlin, Beruf: Bäcker, zuletzt tätig als Spleißer beim VEB Gasversorgung Werk Dimitroffstraße, wohnhaft Berlin N 58, [Straße, Nr.], verheiratet. Beide sind Mitglieder der TSG Oberschöneweide/Sektion Radsport.
Während [Name 1] unmittelbar an der Absperrung verweilte und das Grenzsperrgebiet beobachtete, fuhr Schufft mit seinem Rad in der Neuen Grünstraße mehrere Runden. Aufgrund dieses verdächtigen Verhaltens entschloss sich die dort Dienst versehende Streife der NVA/Grenze Uffz. [Name 2] (Postenführer) und Soldat [Name 3] (Posten) die Personalien festzustellen und Postenführer [Name 2] begab sich an den Grenzzaun und verlangte die Personalausweise der beiden Personen zur Kontrolle. [Name 1] und Sch. weigerten sich jedoch, ihre DPA zur Kontrolle vorzuzeigen. [Name 1] verlangte zuerst eine Begründung für diese Kontrolle. Dabei äußerte er sinngemäß: ihr könnt mich mal, was wollt ihr überhaupt. Daraufhin erklärte ihnen Postenführer [Name 2], dass sie vorläufig festgenommen seien und im Falle eines Fluchtversuches von der Schusswaffe Gebrauch gemacht würde.
Trotzdem versuchten [Name 1] und Sch. mit ihren Fahrrädern zu entkommen. Das wurde insofern begünstigt, weil sich der Postenführer und der Posten noch hinter dem Absperrzaun befanden. Da [Name 1] und Sch. trotz dreimaliger Aufforderung stehen zu bleiben weiterhin zu entkommen versuchten, gab Postenführer [Name 2] zunächst zwei Warnschüsse ab. Daraufhin blieb Schufft sofort stehen, während [Name 1] weiterfuhr. Postenführer [Name 2] gab deshalb einen gezielten Schuss ab und traf [Name 1] mit einem Oberschenkeldurchschuss. Nachdem [Name 1] durch die Verletzung vom Rad gestürzt war, begab sich Postenführer [Name 2] zu ihm und leistete Erste Hilfe. Anschließend wurde durch den inzwischen eingetroffenen Zugführer Leutnant [Name 4] seine Überführung ins VP-Krankenhaus und die Zuführung des festgenommenen Sch. veranlasst.
In den ersten Befragungen gaben [Name 1] und Sch. übereinstimmend an, nicht die Absicht gehabt zu haben, die Staatsgrenze zu durchbrechen oder zu diesem Zweck das Grenzgebiet zu erkunden. Es habe sich um eine reine Spazierfahrt gehandelt, die ohne besonderen Grund an der Staatsgrenze vorbeigeführt habe.
Ihr Nichtbefolgen der Aufforderungen der Grenzstreife begründeten sie damit, sie hätten nach ihrer Meinung nichts Verbotenes getan und hätten auch nicht angenommen, dass der angedrohte Schusswaffengebrauch erfolgen würde.
Wie vom MfS ermittelt wurde, verhielt sich [Name 1] in der Vergangenheit politisch indifferent. Schuffts Auftreten zu politischen Fragen wird im Betrieb als negativ eingeschätzt. Er trat mit politisch-abwertenden negativen Äußerungen hervor und wird als nicht auf dem Boden unseres Staates stehend eingeschätzt.
Unmittelbar nach dem Vorfall erschienen am Ort der Festnahme, an dem noch eine Blutlache zu sehen war, 15 Personen aus den Häusern Neue Grünstraße 14 und 15. Von zwei weiblichen und einer männlichen Person wurde argumentiert, dass die Grenzsoldaten einfach die DDR-Bürger erschießen würden, dass dabei auch ihre eigenen Kinder getroffen werden könnten und die Grenzsoldaten falsch gehandelt hätten.