Schwerer Bahnbetriebsunfall bei Waßmannsdorf (1)
[ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 585/64 über einen schweren Bahnbetriebsunfall mit dem Personenzug 481 am 19. Juli 1964, gegen 0.05 Uhr, in der Nähe des Bahnhofes Waßmannsdorf, [Bezirk] Potsdam
Am 19.7.1964, gegen 0.05 Uhr, entgleisten auf der Strecke Magdeburg – Frankfurt/O. hinter dem Einfahrtsignal des Bahnhofes Waßmannsdorf (südlicher Außenring von Berlin) zwei Wagen des Personenzuges 481. (Bei dem P 481 handelt es sich um einen Urlauberzug unserer sowjetischen Freunde, der auch für die DDR-Bevölkerung freigegeben ist.)
Infolge der Entgleisung stürzte der hinter der Lokomotive laufende Begleiterwagen, der mit sieben Angehörigen der Sowjetarmee besetzt war, um, wurde gegen den Längsträger einer Straßenbrücke geschleudert und vollständig zertrümmert. Vier Sowjetbürger, darunter eine Frau, wurden dabei tödlich und drei weitere schwer verletzt. Die Verletzten wurden in den Krankenhäusern Zossen und Wünsdorf untergebracht. Außerdem entstand ein Materialschaden von ca. 40 TDM.
Der südliche Außenring war von 0.05 bis 7.00 Uhr in beiden Richtungen gesperrt und war ab 7.00 Uhr mit 10 km/h befahrbar. Der Reiseverkehr nach dem Süden und Westen der Republik wurde umgeleitet, der Güterverkehr kam zum Ausfall.
Die Entgleisung ereignete sich im Bereich der Weichen 22/23 des Bahnhofes Waßmannsdorf. Die Fahrstraße für den Personenzug 481 war auf direkte Fahrt nach dem Bahnhof Zentralflughafen Berlin-Schönefeld festgelegt. Die Lokomotive des Zuges fuhr jedoch beim Befahren der Weiche 22 auf Abzweigung, wogegen die folgenden Wagen geradeaus fuhren, wie in der Fahrstraße festgelegt war. Dadurch kam eine Zweigleisigkeit zustande, welche den ersten Personenwagen zur Entgleisung brachte. Dieser Wagen stellte sich halb quer, wurde etwa 80 m mitgezogen und brachte den an zweiter Stelle laufenden Packwagen ebenfalls zur Entgleisung. Beim Übergang über die im Gleis befindliche Brücke wurden die Aufbauten des Personenwagens total zerstört, das Untergestell kam mit den Achsen nach oben zum liegen, und der nachfolgende Packwagen kletterte auf das Untergestell auf.
Durch diese Entgleisung kam es zu einer Zugtrennung zwischen dem ersten und zweiten Wagen, wodurch der Zug und die Lok zum stehen kamen. Der Zug fuhr die zulässige Geschwindigkeit von 60 km/h.
Zu dem Unfall kam es durch die beschädigte Ausfahrtweiche des Bahnhofes Waßmannsdorf. Die Befestigungsbolzen zwischen der rechten Weichenzunge und der mit ihr verbundenen Weichenschubstange waren weggerissen. Dadurch verlor die Weichenzunge ihren festen Halt und wurde frei beweglich.
In den bisherigen Untersuchungen des MfS in Zusammenarbeit mit der Trapo wurde bei der Ermittlung der Ursachen für die Weichenbeschädigung und damit für den schweren Bahnbetriebsunfall festgestellt: Die Unfallstelle wurde ca. fünf Minuten vor dem Unfall gegen 0.00 Uhr vom Personenzug 1243 (Werder – Berlin) mit der Diesellok 180 006 in gleicher Fahrtrichtung passiert. Ab ca. 5 km vor der Unfallstelle wurden Schlagstellen im Schotter, an den Schwellen und an der Schienenbefestigung festgestellt. Diese Aufschlagstellen tragen Merkmale von Riffelungen, was darauf hindeutet, dass sie von einem herabhängenden Teil einer Lok verursacht wurden. Die vom MfS vorgenommene Untersuchung der Diesellok 180 006 ergab, dass das Bremsgestänge beschädigt war und ein Teil von ca. 140 m Länge fehlte. Außerdem wurden an den Achsen der Diesellok frische Schlagstellen festgestellt. Die auf Weisung des MfS eingeleitete Streckenbegehung der Strecke Potsdam – Berlin durch Angehörige der Trapo führte in der Nähe von Eichgestell (Einfahrt Wuhlheide) ca. 15 km nach der Unfallstelle zum Fund des fehlenden Teiles des Bremsgestänges der Diesellok. Das im vorderen Teil mit einem starken Aufschraubgewinde versehene Teil des Bremsgestänges befand sich in einem stark deformierten Zustand.
Nach Angaben eines Reisenden hat dieser bereits vor dem Bahnhof Genshagener Heide während der Fahrt schlagende Geräusche unter der Diesellok bemerkt und hat davon auf dem Bahnhof Genshagener Heide den Zugschaffner des Personenzuges 1243 in Kenntnis gesetzt. Auf der Weiterfahrt überprüfte der Zugschaffner vom Dienstabteil aus diese Angaben und stellte ebenfalls schlagende Geräusche unter der Lok, verbunden mit Funkenbildung, fest. Auf dem Bahnhof Berlin-Schönefeld – also bereits nach Passieren der späteren Unfallstelle – setzte er den Lokführer [Name] davon in Kenntnis. Dieser erklärte jedoch, seine Lok sei in Ordnung, die Apparaturen arbeiteten normal und auch bei der Bremsung sei alles normal. Auch habe er während der Fahrt kein Schlagen festgestellt. Nach Wechsel des Lokpersonals auf dem Bahnhof Karlshorst bemerkte das neue Lokpersonal bei der Lokbesichtigung das herabhängende Bremsgestänge und lehnte eine Weiterfahrt ab.
In den bisherigen Befragungen des Lokführers [Name] machte er die gleichen Angaben, dass er während der Fahrt keinerlei besondere Feststellungen getroffen habe.
Nach dem Stand der bisherigen Untersuchungen, die noch weitergeführt werden, kann als sicher angenommen werden, dass das herunterhängende und später verlorengegangene Bremsgestänge bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 90 km/h die Halterung der rechten Weichenzunge von der Ausfahrtweiche des Bahnhofes Waßmannsdorf zerstörte und so die Unfallursache hervorrief.
Wie die Untersuchungen im Stellwerk Waßmannsdorf ergaben, scheidet ein Umstellen der Weiche unter dem Personenzug 481 aus, weil zur Veränderung der Fahrtstraße durch den Fahrdienstleiter Bahnhof Waßmannsdorf die Zustimmung des Fahrdienstleiters vom Bahnhof Schönefeld erforderlich war, welche blockelektrisch erfolgen muss; es technisch nicht möglich ist, in einer Zeitspanne von ca. 5 Minuten (Abstand zwischen Personenzug 1243 und 481) eine Veränderung der Fahrtstraße durchzuführen. Auch die Lokomotive des Unfallzuges befand sich in einem betriebssicheren Zustand und wies keine Mängel auf, die zu einer Entgleisung hätten führen können.
Die bei der Streckenbegehung außerdem in der Nähe von Ahrensdorf (ca. 20 km vor dem Unfallort) neben dem Gleis gefundene Zunge steht in keinem Zusammenhang mit dem Unglücksfall. Sie weist keinerlei Schlagspuren auf, die vom Auffahren einer Lok stammen können. Auch lässt die Beschaffenheit des Fundortes erkennen, dass sie schon einige Zeit dort liegt.