Schwerer Bahnbetriebsunfall bei Waßmannsdorf (2)
31. Juli 1964
Einzelinformation Nr. 602/64 über den schweren Bahnbetriebsunfall am 19. Juli 1964 beim Bahnhof Waßmannsdorf, [Bezirk] Potsdam
Ergänzend zu unserer ersten Information Nr. 585/64 vom 20.7.1964 über obengenannten Unfall, bei dem vier sowjetische Bürger den Tod fanden, wird nachstehend das abschließende Ergebnis mitgeteilt:
Die Untersuchungsergebnisse des MfS, der Transportpolizei und des Kriminaltechnischen Instituts (KTI) sowie der in diesem Zusammenhang eingesetzten Sachverständigenkommission der Deutschen Reichsbahn und das vom Industriezweig Schienenfahrzeuge erarbeitete Gutachten stimmen überein. Damit ist einwandfrei erwiesen, dass als Unfallursache – wie in unserer ersten Information bereits eingeschätzt wurde – die herabhängende kurze Bremszugstange mit Spannschloss der Diesellokomotive V 180 006 in Frage kommt, die die Weiche beschädigte, sich später vollends löste und bei der Streckenbegehung auch gefunden wurde. Weil dadurch jedoch nur der mechanische Teil der rechten Weichenzunge, nicht aber der elektrische Weichenantrieb beschädigt wurde, konnte dies im zuständigen Stellwerk sicherungstechnisch nicht festgestellt werden, sodass vom nachfolgenden P 481 durch die frei bewegliche Weichenzunge zwei Wagen entgleisten.
Wie in den Untersuchungen gleichzeitig erarbeitet wurde, ist sowohl dem Herstellerwerk (VEB Lokomotivbau »Karl Marx« Babelsberg) als auch der Deutschen Reichsbahn bekannt, dass es bei der V 180 noch eine Reihe konstruktiver und anderer technischer Mängel gibt. Die V 180 ist deshalb auch noch nicht in Serie gegangen, sondern wird als Versuchsfahrzeug gefahren. Im Verbrennungstriebwagenbahnbetriebswerk (VT Bw) Berlin-Karlshorst, wo 14 V 180 stationiert sind, kam es ständig zu Ausfällen dieser Lok, sodass ca. 50 % abgestellt werden mussten. Hinzu kommt eine ungenügende Ersatzteilbelieferung.
Zu den bekannten Mängeln gehört auch, dass sich bei der V 180 durch besonders starke Vibration die Befestigungsmuttern der Bremsgestänge leichter lockern, als bei anderen Lokomotiven, die mit gleichem Bremsgestänge ausgerüstet sind. So löste sich bei einer V 180 (V 180 010) bereits einmal während einer Werks-Probefahrt am 1.9.1963 das Spannschloss des Bremsgestänges und fiel herunter. Ein deshalb angebrachtes Sicherungsblech stellte jedoch auch keine wirksame Abhilfe dar. Die Tatsache, dass die Anbringung des Bremsgestänges mittels Kontermuttern nicht ausreicht und eine zusätzliche Sicherungseinrichtung erfordert, ist seit Frühjahr bis Mitte 1963 dem VEB Lokomotivbau »Karl Marx« Babelsberg, dem VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke »Hans Beimler« Hennigsdorf, dem Institut für Schienenfahrzeuge, dem Ministerium für Verkehrswesen – Hauptverwaltung der Maschinenwirtschaft der DR – und der Verkehrs- und Entwicklungsstelle für die Maschinenwirtschaft der DR in Halle bekannt. Bis jetzt wurde jedoch noch keine brauchbare Lösung gefunden und offensichtlich fehlt es auch an der dafür notwendigen Koordinierung dieser Stellen.
Ferner wurde in der Untersuchung festgestellt, dass von dem an der V 180 006 vor ihrem Einsatz beschäftigten Werkstatt- und Lokpersonal das Anziehen der Kontermuttern entgegen den Bestimmungen mittels Hammerschlägen erfolgte, was aus den Schlagspuren an diesen Kontermuttern ersichtlich wurde. Mit diesem aus Bequemlichkeit angewandten Verfahren ist ein einwandfreies Anziehen der Kontermuttern nach Feststellung der Gutachterkommission nicht möglich.
Vom Ministerium für Verkehrswesen – Hauptverwaltung der Maschinenwirtschaft – wurde in Auswertung dieses folgenschweren Unfalls u. a. angeordnet, dass eine endgültige konstruktive Lösung durch Anbau einer zusätzlichen Spannschlosssicherung und Fangvorrichtung für kurze Bremszugstangen erarbeitet und bis 31.7.1964 vorgelegt wird.