Selbstmord des Arbeitsdirektors der Schuhfabrik Heidenau
29. Oktober 1964
Einzelinformation Nr. 958/64 über den Selbstmord des Arbeitsdirektors vom VEB Schuhfabrik Heidenau, Kreis Pirna
Am 24.10.1964 verübte der Arbeitsdirektor des VEB Schuhfabrik Heidenau [Vorname Name 1] (Mitglied der SED) Selbstmord durch Erhängen. Wie die bisherigen Untersuchungen ergaben, kommen für den Selbstmord folgende Motive infrage:
[Name 1] hatte die Aufgabe, in der Abt. Zwickerei des Betriebes in Verbindung mit anderen Wirtschaftsfunktionären die Einführung einer neuen Lohnform (Prämienstücklohn)1 vorzubereiten. Die in der Abteilung Beschäftigten organisierten eine Unterschriftensammlung gegen diese Lohnform. Sie waren der Meinung, dass bei deren Einführung eine Verdienstminderung eintritt. In einer Abteilungsversammlung am 28.9.1964, an der leitende Funktionäre der VVB teilnahmen, wurde den Forderungen der Arbeiter Rechnung getragen, weil festgestellt wurde, dass noch verschiedene Voraussetzungen in technologischer Hinsicht zur Einführung dieser Lohnform fehlen. Verschiedene Funktionäre des Betriebes waren mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Sie sahen ihre geleistete Arbeit in dieser Richtung als umsonst an. Unter anderem wurde davon gesprochen, eine Annonce aufzugeben, »dass die neuen Plannormen beerdigt seien«. Diese Diskussion nahm der bisherige Produktionsleiter [Name 2] zum Anlass, am 29.9.1964 auf einen Bogen Papier (DIN A4) folgende Losung zu schreiben: »Dem unbekannten Toten, gefallen für die Plannormen 1964«.
Auf diesen Bogen malte er weiterhin einen Palmenzweig. Mit dieser Losung begab sich [Name 2] zunächst in das Arbeitszimmer des [Name 1], anschließend zeigte er es verschiedenen im Versammlungsraum anwesenden Personen, die mit der Dekoration dieses Raumes beschäftigt waren. Schließlich ließ er es auf einem Tisch in diesem Raum liegen. Einige Zeit nachdem alle Personen den Versammlungsraum verlassen hatten, wurde festgestellt, dass diese Losung an der Dekoration des Versammlungsraumes mit angebracht war.
Erst am 22.10.1964 erklärte der [Name 1] gegenüber dem Werkleiter, dass er diese Losung selbst angebracht habe. Daraufhin wurde von ihm gefordert, eine schriftliche Stellungnahme zu dieser Handlung abzugeben. Aus dieser Stellungnahme war jedoch das Motiv seiner Tat nicht konkret sichtbar. Weiter wurde [Name 1] in einer Leitungssitzung der BPO, die gemeinsam mit der Kreisleitung Pirna durchgeführt wurde, mitgeteilt, dass er von seinen Funktionen als Arbeitsdirektor sowie auch als Mitglied der Leitung der BPO entbunden wird.
Der Produktionsleiter [Name 2] wurde ebenfalls abgelöst und erhält eine untergeordnete Funktion in einem anderen Betrieb der VVB. Am 24.10.1964 wurde [Name 1] in seinem Gartengrundstück tot aufgefunden. Er hinterließ einen Brief, in dem u. a. zum Ausdruck kam: »Ich bin kein Spion und wäre auch keiner geworden«.
Weitere Untersuchungen werden geführt.