Situation in der LPG Friesack, Kreis Nauen
5. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 366/64 über die Situation in der LPG Typ III Friesack, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam
Dem MfS liegen über obengenannte LPG folgende Hinweise vor: Die LPG »Rotes Banner« in Friesack wurde 1955 auf der Basis eines ÖLB gegründet und bewirtschaftet 1 074 ha – davon 512 ha LNF. Die Mitgliederzahl beträgt 86, davon haben nur acht eine größere LNF in die LPG eingebracht. Durch die Übernahme von Betrieben republikflüchtiger Einzelbauern sowie des Ortsteiles Briesen bereitet das Arbeitskräfteproblem große Schwierigkeiten.
Die LPG Friesack gehörte seit der Gründung ständig zu den wirtschaftsschwachen Betrieben des MTS-Bereiches, erst seit 1963 zeichnet sich ein gewisser Aufschwung ab, der sich in einer realen Entwicklung des Wertes der AE widerspiegelt. Dieser Aufschwung ist in erster Linie auf den Einsatz des Genossen [Name 1], der den Genossen [Name 2] als Vorsitzenden ablöste, zurückzuführen. Er machte zur besseren Arbeitsorganisation im Jahre 1964 einzelne LPG-Mitglieder für einzelne Produktionsbereiche verantwortlich. Kollege [Name 3], Mitglied der DBD und 2. Vorsitzender der LPG wurde für die Feld- und Viehwirtschaft verantwortlich gemacht, der Kreistagsabgeordnete Setzermann arbeitet künftig als Feldbaubrigadier, Genosse [Name 4] als Zootechniker. (Genosse [Name 5] ist für einen Besuch der Parteischule vorgesehen.) Diese Veränderungen bieten nach bisherigen Einschätzungen die Gewähr für eine Verbesserung der Leitungstätigkeit.
Es liegen konkrete Pläne für die Organisierung des Wettbewerbs auf innerbetrieblicher Basis vor, die die volle Zustimmung der Mitglieder haben. (In diesen Wettbewerb sind alle Betriebsbereiche wie Feld- und Viehwirtschaft und Technik mit einbezogen.)
Durch die Erreichung einiger wirtschaftlicher Erfolge im Jahre 1963 und die erstmalig seit Bestehen der LPG zur Auszahlung gelangte Restsumme von 3,00 DM pro AE ist das Vertrauen der Mitglieder in die weitere ökonomische Stärkung der LPG gewachsen. Das zeigt sich besonders in einer Erhöhung der Arbeitsmoral besonders bei der Frühjahrsbestellung, wo jedes Mitglied an der Einhaltung des festgelegten Termins interessiert war.
Neben diesen durchaus positiven Ansätzen gibt es jedoch eine Reihe von Schwächen, die sich hemmend auf die Entwicklung der LPG auswirkten: Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die noch ungenügende Leitungstätigkeit des seit ca. einem Jahr eingesetzten Vorsitzenden – Genossen [Name 1]. Er konzentriert sich sehr stark auf die wirtschaftlichen Aufgaben und vernachlässigt vollkommen die politischen Aufgaben eines Leiters und tritt gegenüber den Mitgliedern diktatorisch auf. Infolge seiner Auffassung, alles allein machen zu müssen, gab es viele Auseinandersetzungen, die zu elf Austrittserklärungen führten. (Nach Aussprachen mit diesen Mitgliedern durch Partei und Staatsapparat in Verbindung mit dem LPG-Vorstand wurden die Austrittserklärungen bis auf eine zurückgenommen.)
Ungünstig wirkt sich dabei besonders aus, dass Genosse [Name 1] als Ingenieur zwar gute technische Kenntnisse, aber wenig landwirtschaftliche Erfahrungen besitzt. Nachteilig auf die Entwicklung der LPG wirkt sich auch aus, dass es in der Vergangenheit, bis auf wenige Ausnahmen, nicht verstanden wurde, die Mitglieder auf der Basis des materiellen Anreizes für eine gute genossenschaftliche Arbeit zu begeistern. (Zum Beispiel wusste die Melkerbrigade nicht, wie die Planerfüllung gewertet wurde.)
Diese Probleme hängen eng damit zusammen, dass der Vorstand sehr wenig mit den Mitgliedern gesprochen hat – und wenn, dann nur über einzelne fachliche Fragen. Das zeigte sich deutlich in den Aussprachen mit den elf Mitgliedern, die einen Austritt beabsichtigten. Diese hatten keinerlei Klarheit über die Rolle und Aufgaben der LPG.
Über politische Fragen zeigten sich die Mitglieder wenig orientiert und erklärten nur, sie seien vom Vorstand nicht darüber informiert worden und Zeit, die Beschlüsse selbst zu lesen, hätten sie nicht. Vom Vorstand selbst wird ähnlich »argumentiert«, indem man die nicht erfolgte Auswertung der Beschlüsse von Partei und Regierung mit dringenden Feldarbeiten »begründete«.
Die vier LPG vom Typ I1 erhalten durch den Vorstand der LPG Typ III keinerlei Unterstützung. Es herrschte bisher die Meinung vor, an die Unterstützung anderer LPG könne man erst denken, wenn die eigene LPG rentabel arbeite. Dabei stehe die LPG Typ III sowieso im Vordergrund. Ähnliche Schwächen in der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit weist die Parteiorganisation der LPG auf. Es ist einzuschätzen, dass diese nicht die führende Rolle in der LPG spielt. Der Parteisekretär – Genosse [Name 6] – tritt sehr egoistisch auf, verhält sich liberalistisch und setzt nur dann seine Meinung durch, wenn es um persönliche Vorteile für ihn geht. Eine ständige Auswertung der Parteibeschlüsse erfolgt nicht. Erst in Vorbereitung der Parteiwahlen 1964 gelang es,2 Parteigruppen zu gründen, die aber bisher noch nicht in Erscheinung traten. Viele Mitglieder schätzen diesen Schritt so ein, dass er lediglich durchgeführt wurde, »um etwas aufweisen zu können«. In Wirklichkeit werde die politische Arbeit im »alten Trott« weitergehen. Aufgrund der angeführten Schwächen gelingt es dem Parteisekretär nicht, die Verbindung zwischen Vorstand und Mitgliedern zu festigen.
Der Patenbetrieb für die LPG ist die Ingenieur-Schule für Landtechnik in Friesack. Auch diese spielte in der Vergangenheit in der Unterstützung der politisch-ideologischen Arbeit der LPG eine ungenügende Rolle. Obwohl diese Schule einen großen, politisch geschulten Kaderbestand besitzt, beschränkt man sich in erster Linie auf die Unterstützung durch Arbeitskräfte. Auch das erfolgt vom »grünen Tisch« aus. Die verantwortlichen Genossen der Schule nehmen nicht mehr an Versammlungen, Leitungssitzungen oder Einsätzen teil, obwohl der stellvertretende Direktor, Genosse [Name 7], gleichzeitig Ortsparteisekretär ist. Erst durch die Neuwahl des Genosse [Name 8] als Ortsparteisekretär ist eine Unterstützung auf politischem Gebiet vorgesehen.
Auch durch den Rat der Stadt Friesack wurde die LPG Typ III sehr wenig unterstützt. In erster Linie konzentrierte man sich auf die Entwicklung und Unterstützung der vier LPG des Typ I, ohne aber auch hier wesentliche Fortschritte zu erreichen.