Stellungnahmen des Bonner Auswärtigen Amtes zur Passierscheinfrage
4. Mai 1964
Einzelinformation Nr. 362/64 über Stellungnahmen des Bonner Auswärtigen Amtes und des Bonner Staatssekretärs Carstens zur Passierscheinfrage
Zuverlässig wurde bekannt, dass das Bonner Auswärtige Amt Mitte April dieses Jahres die Botschaften der Westmächte in Bonn über den Bonner Standpunkt in den Passierscheingesprächen unterrichtete. Danach nehme die Bundesregierung keine negative Haltung zu den Gesprächen ein, wende sich aber gegen irgendwelche ernsthaften Zugeständnisse insbesondere in der Frage der Anwesenheit von Postangestellten der DDR in Westberlin.
Das Auswärtige Amt halte es für zweckmäßig, »vernünftige« Vorschläge zu unterbreiten, die die DDR, falls sie sich ablehnend verhalte, in eine schwierige Situation bringen würden. Zugleich werde es für erforderlich gehalten, die Möglichkeit einer Einstellung der Gespräche vorzusehen, falls sie zu keinen Ergebnissen führen, da allein die Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen dem Senat und der Regierung der DDR von der DDR als ein Erfolg betrachtet wird.
Die DDR setze ihre Hoffnungen in die Meinungsverschiedenheiten, die zwischen dem Senat und der Bonner Regierung sowie zwischen den westdeutschen Parteien bestehen.
Der Staatssekretär im Bonner Auswärtigen Amt Carstens1 äußerte in einem Gespräch mit Brandt am 13.4., das Abkommen vom 17.12.19632 enthalte mehr positive als negative Momente. Es solle der Versuch fortgesetzt werden, in dieses Abkommen »einige Verbesserungen« einzuarbeiten.
Nach Auffassung von Carstens komme der Frage der Anwesenheit von DDR-Angestellten in Westberlin keine große Bedeutung zu. Der Hauptmangel des Abkommens vom 17.12.1963 bestehe in der Form des Dokuments und den Umständen, unter denen es unterzeichnet wurde. In einem neuen Abkommen dürften die Behörden der DDR und Westberlins nicht mehr erwähnt und nur noch die Namen von Wendt3 und Korber4 genannt werden. Für die DDR wäre möglicherweise eine einfache Bezugnahme auf das Abkommen vom Dezember vergangenen Jahres annehmbar.
Carstens äußerte auch die Meinung, die Westmächte würden eine größere Verantwortung übernehmen, damit ein neues Abkommen als reine Westberliner Angelegenheit und nicht als ein Dokument erscheine, das eine Bonner Anerkennung der DDR zum Ausdruck bringt.
Brandt5 äußerte sich zufrieden über das Gespräch mit Carstens. Auf der von ihm beschriebenen Grundlage könne eine Einigung mit der DDR erzielt werden. Brandt betonte zugleich, im Unterschied zum vergangenen Jahr gebe es jetzt keine Gründe für eine besondere Eile bei den Verhandlungen.
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