Tätigkeit der Senatskommission für den Besuch von Rentnern
16. Oktober 1964
Einzelinformation Nr. 914/64 über die Tätigkeit der Senatskommission für den Besuch von Rentnern in Westberlin
Eine zuverlässige Quelle berichtet über die Tätigkeit der Kommission, die vom Westberliner Senat gebildet wurde, um Maßnahmen zur Vorbereitung des Besuches von Personen im Rentenalter aus der DDR1 in Westberlin festzulegen. Die Kommission steht unter Leitung von Johannes Völckers2 vom Büro für »Gesamtberliner Fragen«.3
Die Kommission hat sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit damit zu rechnen sei, dass Personen im Rentenalter den Besuch in Westberlin zur Republikflucht ausnutzen.
Die Kommission ist der Auffassung, dass die Anzahl derjenigen Rentner, die im Westen bleiben, gering sein werde, da dieser Personenkreis jederzeit die Möglichkeit habe im Rahmen der Familienzusammenführung nach dem Westen zu gehen. Darüber hinaus nimmt man an, dass ein großer Teil der Rentner sich zunächst einmal bei einem Besuch im Westen informieren will, um später die Konsequenzen zu ziehen.
Senatspressechef Bahr4 äußerte dazu, dass der Rentnerbesuch dazu beitragen werde, festgefügte Vorstellungen über die Bevölkerung der »Zone« zu zerstören. Man müsse sehen, was es in Deutschland und im Ausland psychologisch für Folgen haben werde, wenn die erdrückende Mehrheit der Rentner freiwillig in den »Machtbereich Ulbrichts« zurückkehren werde. Jeder Rentner, der im Westen bleibe, sei zwar ein Gewinn für den Westen, aber die Millionenzahl, die zurückkehre, werde die westlichen Positionen schwächen. Der Westen müsse sich rechtzeitig in seiner Argumentation auf diese Frage einstellen.
Die Kommission habe eine Reihe von Maßnahmen zur finanziellen Betreuung von Personen im Rentenalter beraten, die nach Westberlin reisen.
Bisher sei beschlossen worden, dass jeder Rentner ein Begrüßungsgeld5 in Höhe von 30,00 DM, darüber hinaus 20,00 DM für kulturelle Zwecke und 6,00 DM für Fahrgeld erhält. (In der Presse wird inzwischen bestätigt, dass 30,00 DM für Rentner ausgezahlt werden. Jeder Rentner erhält vom Westberliner Senat ein Scheckheft, für das er Eintrittskarten für kulturelle Veranstaltungen erwerben kann. Darüber hinaus soll den Rentnern freie Fahrt auf den öffentlichen Verkehrsmitteln und freier Zutritt zu städtischen kulturellen Einrichtungen, wie Museen, Schlösser u. Ä. gewährt werden.)
In der Diskussion wurde in erster Linie auf die organisatorischen Fragen eingegangen, insbesondere darauf, wie diese Mittel den Rentnern zugänglich gemacht werden.
Dabei wurden drei Möglichkeiten erwogen:
- 1.
Der Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel,6 Dr. Leopold,7 soll mit Hauptabteilungsleiter Behrendt8 in den nächsten Tagen ein Gespräch führen, um ihn offiziell davon zu unterrichten, dass die Westseite diese Zuwendungen an die Rentner vornimmt und als Nachweis die Reisedokumente der infrage kommenden DDR-Bürger abstempelt. Gegen diesen Plan wurde geltend gemacht, dass, falls die Ostseite sich dagegen wende, der gesamte Plan hinfällig werde.
- 2.
Die Reisedokumente sollen ohne vorherige Konsultation über die Treuhandstelle bei der Geldausgabe auf den Kreditinstituten abgestempelt werden.
Hiergegen wurde eingewandt, dass dadurch den Rentnern bei der Rückkehr große Schwierigkeiten erwachsen könnten.
- 3.
Die Einführung eines exakten Meldesystems für die Rentnerbesuche wurde abgelehnt, da hierfür ein zu großer Arbeitsaufwand erforderlich sei.
- 4.
Jeder Rentner soll eine Begrüßungsschrift bei seiner Einreise erhalten, die in ihrer Konzeption bereits genehmigt sei. Diese Begrüßungsschrift werde auch politische Stellungnahmen enthalten und vermutlich von Erhard9 und Brandt10 unterzeichnet werden. Einer solchen Begrüßungsschrift, die an jeden Rentner durch freiwillige Helfer übergeben werden könnte, könne unter Umständen eine Zahlungsanweisung beigelegt werden, die dem nächsten Geldinstitut vorgelegt werden kann.
Über keinen dieser Vorschläge ist bisher entschieden worden.
Neben diesem Programm, das eine finanzielle Unterstützung aller Rentner vorsieht, ist geplant, in Einzelfällen nach den Richtlinien des Bundessozialhilfegesetzes besondere Zuwendungen zu gewähren. Der Gastgeber müsse seine soziale Bedürftigkeit nachweisen, wenn er Unterstützungsgelder für seinen Gast beanspruchen will. Überlegungen gab es auch für die Fälle, bei denen der Gastgeber nicht in der Lage ist, seinen Gast in der eigenen Wohnung aufzunehmen. Man müsse hier entweder Zuschüsse für Übernachtungskosten zahlen oder die Person in den Gästehäusern des Senats und anderen leerstehenden Gebäuden unterbringen.
Für eine solche Gelegenheit böten sich die Wohnungen für westdeutsche Arbeitnehmer an, die noch nicht alle bezogen seien. Allein in Kreuzberg stünden 600 dieser Wohnungen frei.
Die Finanzierung dieser Maßnahmen soll über die Haushaltsstelle des Büros für »gesamtberliner Fragen« erfolgen, deren Mittel notfalls aufgestockt werden müssen. Weitere Mittel sollten aus dem Haushalt des Ministeriums für »gesamtdeutsche Fragen« kommen. Vorsichtige Schätzungen über den Mittelbedarf haben bereits zu sehr hohen Zahlen geführt, sodass eine Erhöhung der einzelnen Haushaltspositionen und eine Verwendung von Lottomitteln in Erwägung gezogen werden muss.
Die Kommission beschloss alle Fragen vertraulich zu behandeln und jede vorzeitige Publizität zu vermeiden. Einzelheiten werden nicht publiziert, damit die »östliche Seite« nicht die Möglichkeit habe, diese Maßnahmen zu torpedieren.
Die Information darf aus Gründen der Sicherheit der Quelle publizistisch nicht ausgewertet werden.