Unterschriftensammlung im Ostberliner Grenzgebiet
22. Oktober 1964
Einzelinformation Nr. 937/64 über eine Unterschriftensammlung von Einwohnern im Grenzgebiet des demokratischen Berlin
Am 13.10.1964 erkundigte sich der [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1937, wohnhaft Berlin N 58, [Straße, Nr.], beschäftigt als Maler im VEB Ausbau, bei dem FDJ-Sekretär des VEB Ausbau, [Name 2], warum die Westberliner nicht ihre Verwandten im Grenzgebiet der DDR besuchen dürfen. Da [Name 2] keine konkrete Antwort geben konnte, unterbreitete er dem [Name 1] den Vorschlag, sich doch bei einer amtlichen Stelle Auskunft zu holen und zu diesem Zweck an Staatssekretär Wendt1 zu schreiben. Beide formulierten dann auch folgenden Brief, wobei sie übereinkamen, den Brief von weiteren Bewohnern des Grenzgebietes unterschreiben zu lassen. Der Brief hat folgenden Text:
»Werter Genosse Wendt! | Unter den Bewohnern des Grenzgebietes Kremmener Straße, Wolliner Straße, | Schwedter Straße, | Rheinsberger Straße, | Swinemünder Straße | gibt es sehr bösartige Diskussionen über den Besuch Westberliner Bürger in unserer Hauptstadt Berlin. Diese Diskussionen beziehen sich besonders auf den Besuch dieser Westberliner Bürger in den Grenzgebieten unserer Hauptstadt. Wir alle sind der Auffassung, dass wir keinen Besuch aus Westberlin empfangen dürfen. Dafür gibt es bei keinem unserer Mieter Verständnis. Trotz Bemühungen, uns eine ausreichende Aufklärung zu verschaffen, konnte uns keiner bisher eine klare Antwort geben. Wir bitten Sie um die Beantwortung folgender Fragen: Dürfen Westberliner Bürger ihre Verwandten in den Grenzgebieten der Hauptstadt besuchen? Warum dürfen Westberliner Bürger unsere Grenzgebiete zum Zwecke eines Verwandtenbesuches nicht betreten? Welche Möglichkeiten haben wir sonst, unsere Besucher zu empfangen? Wir danken Ihnen für Ihre Bemühungen im Voraus und verbleiben mit freundschaftlichen Grüßen | Die Bewohner des Grenzgebietes«.
[Name 2] ließ diesen Brief mit Maschine schreiben, konsultierte sich aber nochmals mit dem Parteisekretär des VEB Ausbau, [Name 3]. Da der Parteisekretär keine Einwände hatte, übergab [Name 2] den Originalbrief sowie den Durchschlag an [Name 1]. [Name 1] sammelte dann in den Häusern Kremmener Straße 1–8a, Schwedter Straße 222–224, Wolliner Straße 20–21 und 51–54 insgesamt 189 Unterschriften. [Name 1] ging dabei von Wohnung zu Wohnung und befragte die Mieter, ob sie dafür wären, dass die Westberliner während des Passierscheinabkommens2 in das Grenzgebiet dürften, um ihre Verwandten zu besuchen. Dabei legte er den Brief vor und forderte die Mieter auf, bei Einverständnis zu unterschreiben. (Der Brief wurde vor Absendung an Staatssekretär Wendt sichergestellt.)
[Name 1] ist aktiv in der FDJ-Organisation tätig. Bis zum 13.8.1961 war er Grenzgänger.3 Die Ehefrau ist Mitglied der SED und hat den Brief ebenfalls unterschrieben. Feindliche Motive für diese Handlung konnten bisher nicht festgestellt werden.
Mit den Bürgern, die den Brief mit unterschrieben, werden gruppenweise Aussprachen geführt.