Unterstützungsmaßnahmen für Rentner im Westen
2. November 1964
Einzelinformation Nr. 960/64 über die in Westdeutschland und Westberlin vorbereiteten sogenannten Unterstützungsmaßnahmen für die im Rentenalter stehenden Besucher aus der DDR
Im Zusammenhang mit dem Beschluss des Ministerrats der DDR, in Rentenalter stehenden Bürgern der DDR Verwandtenbesuche in Westdeutschland und Westberlin zu ermöglichen,1 haben die Bonner Regierung, der Westberliner Senat und andere Stellen umfangreiche Maßnahmen zur sogenannten Unterstützung der Besucher aus der DDR vorbereitet.
Im Folgenden eine Zusammenstellung der wichtigsten intern und offiziell bekannt gewordenen diesbezüglichen Maßnahmen sowie einige Hinweise über die Stellungnahme politischer Kreise in Bonn und Westberlin zur Frage des möglichen Verbleibs von Rentnern aus der DDR in Westdeutschland oder Westberlin:
I. Übersicht über die sogenannten Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen der Bonner Regierung, des Westberliner Senats und anderer Stellen für die im Rentenalter stehenden Besucher aus der DDR
1. Die von der Bonner Regierung beschlossenen Maßnahmen
Nach einem Beschluss des Bonner Kabinetts vom 14.10.19642 sollen im gesamten Bundesgebiet sowie in Westberlin folgende »Unterstützungen« gewährt werden:
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Barauszahlung von 30,00 DM/DBB aus Bundesmitteln (Der Bundestagsausschuss für »gesamtdeutsche und Berliner Fragen« forderte auf einer Sitzung am 22.10.1964, die Summe auf 50,00 DM/DBB zu erhöhen);
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Kostenlose ärztliche Betreuung;
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Bezahlung der Rückfahrkarten (Nach Bekanntwerden der Anordnung des Ministers für Verkehrswesen der DDR über die Ausdehnung der Gültigkeit der Fahrkarten auf die Rückfahrt hat der Präsident der »Deutschen Bundesbahn«, Oeftering,3 erklärt, man müsse die Rückfahrkarten »zunächst« anerkennen.).
Auf einer Sitzung des Bundestagsausschusses für »gesamtdeutsche und Berliner Fragen« am 5.10.1964 erklärte Bundesminister Mende,4 dass die Bundesregierung für die »Betreuung« der Rentner bis zu 40 Mio. DM/DBB vorgesehen habe, wobei nicht beabsichtigt sei, kleinlich vorzugehen, sondern über frühere Maßnahmen hinausgegangen werde.
Politische Kreise vertreten die Meinung, dass die Bonner Regierung nicht allein die sogenannten Unterstützungsmaßnahmen finanzieren dürfe. Bundesschatzminister Dollinger5 kündigte am 9.10.1964 offiziell eine Spendenaktion an. Nach seinen Ausführungen werde ein Kuratorium gebildet, dem namhafte Persönlichkeiten angehören würden. Brandt6 hat sich ebenfalls für eine Spendenaktion ausgesprochen. Demgegenüber hat der Geschäftsführende Vorsitzende des »Kuratoriums Unteilbares Deutschland«,7 Schütz,8 auf einer Sitzung des Präsidiums des Kuratoriums am 12.10.1964 erklärt, ein Aufruf zu einer Sammlung dürfe auf keinen Fall erfolgen.
SPD-Kreise (besonders Brandt und Wehner9) und der Westberliner Senat haben mehrmals vorgeschlagen, mithilfe der sogenannten Treuhandstelle für den Interzonenhandel10 zu erreichen, dass den Rentnern in der DDR die Möglichkeit gegeben wird, Gutscheine (»Innerdeutsche Reiseschecks«) im Werte von ca. 100 MDN in ihren Wohnorten zu erwerben, die sie dann bei ihren Besuchen in Westdeutschland oder Westberlin gegen DM/DBB im Kurswert 1: 1 eintauschen könnten. Diese Geldbeträge ließen sich dann über den Weg des Handels zwischen beiden deutschen Staaten wieder im Kurswert 1: 1 verrechnen. Nach Presseberichten habe die Bundesregierung jedoch noch keine Weisung an den Leiter der sogenannten Treuhandstelle für den Interzonenhandel, Pollak,11 gegeben, mit Behörden der DDR über einen solchen Umtausch zu verhandeln.
2. Die von den westdeutschen Ländern und örtlichen Verwaltungen beschlossenen Maßnahmen
Neben den 30,00 DM/DBB aus Bundesmitteln wollen eine Anzahl von Städten zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. So z. B. Bremen 25,00 DM/DBB, Essen 70,00 DM/DBB und die übrigen Städte im Rhein-Ruhr-Gebiet zwischen 20,00 und 50,00 DM/DBB.
Alle Städte beabsichtigen ferner, für die Besucher verbilligte oder kostenlose Fahrscheine für die kommunalen Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen und außerdem den Besuch kultureller Einrichtungen zu verbilligen oder die Eintrittskarten kostenlos abzugeben.
3. Die vom Westberliner Senat beschlossenen Maßnahmen
Zur sogenannten Betreuung der Rentner aus der DDR hat der Westberliner Senat am 22.9.1964 eine Kommission aus den Senatoren für Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Wissenschaft und Gesundheit gebildet, die unter Leitung von Johannes Völckers12 vom Büro für »Gesamtberliner Fragen«13 steht. Auf Empfehlung dieser Kommission hat der Westberliner Senat für die Besucher aus der DDR folgende Maßnahmen vorgesehen (»Jedermann-Regelung«):
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die Zahlung einer Bargeldhilfe in Höhe von 50,00 DM/DBB (davon 30,00 DM/DBB aus den bewilligten Mitteln der Bundesregierung);
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die Zahlung einer zusätzlichen Krankenhilfe, wenn während des Aufenthaltes in Westberlin ein Arzt oder ein Krankenhaus aufgesucht werden muss (Nach internen Angaben wurde im Gebäude des Senats für Gesundheitswesen eine große ärztliche Betreuungsstation eingerichtet);
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freie Fahrt auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln einschließlich der Ausflugsbusse (Als »Dauer-Freifahrtschein« auf den Verkehrsmitteln der Westberliner BVG sollen die Reisebescheinigungen der Rentner aus der DDR anerkannt werden);
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verbilligte Eintrittskarten für Kinos und Theater;
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freier Eintritt im Zoologischen und Botanischen Garten sowie in allen staatlichen Museen und Sammlungen.
Für sogenannte Härtefälle, wenn z. B. die Westberliner Gastgeber selber nur über beschränkte Mittel verfügen, ist eine Reihe von zusätzlichen, »subsidiären Hilfen« vorgesehen:
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minderbemittelte Gastgeber können in den Beratungsstellen Anträge auf Zahlung einer »Hilfe zum Lebensunterhalt« stellen. Diese Hilfe beträgt, wenn sie als gerechtfertigt anerkannt wird, 4,00 DM/DBB pro Tag und Gast.
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Wenn es Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Besucher gibt, wird auf Antrag eine Unterkunft vermittelt, die von Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung gestellt wird.
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Kranke Besucher können in senatseigenen Fahrzeugen an ihren Bestimmungsort gefahren werden, wenn ihr Ankunftstermin rechtzeitig von den Gastgebern gemeldet wird.
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Für gehbehinderte Gäste wird in den Bezirksämtern eine Anzahl von Rollstühlen bereitgehalten.
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Rentner der DDR, die Angehörige in Westberliner Altersheimen besuchen, werden für die Zeit ihres Besuches in den Westberliner Altersheimen aufgenommen.
Sogenannte Kontaktstellen für Rentner aus der DDR wurden in Westberlin am 28.10.1964 unter der Bezeichnung »Besucher- und Auskunftsdienst« in den Rathäusern der Stadtbezirke eröffnet.
In Rentnerkreisen der Hauptstadt der DDR wird nach internen Informationen davon gesprochen, dass Personen, die ehemals im Beamtenverhältnis in Westberlin standen und dort Pensionen beziehen, unter allen Umständen nach Westberlin fahren wollen, um sich über den Konto-Stand zu informieren.
4. Die von den Parteien, Gewerkschaften und Organisationen bekannt gewordenen Maßnahmen
Zu einer »gesamtdeutschen Besuchsaktion« rief in der »Welt am Sonntag« vom 27.9.1964 Dufhues14 (CDU) auf. Danach sollen Westdeutsche auch solche Rentner einladen, die keine Verwandten oder Bekannten in Westdeutschland haben. Zu diesem Zweck sollen Adressen von Rentnern der DDR gesammelt werden, »die gern nach Westdeutschland reisen möchten, aber nicht wüssten, wohin sie sich wenden sollen«.
Nach internen Angaben aus Westberliner SPD-Kreisen wird aufgrund bisher eingegangener Briefe damit gerechnet, dass auch Rentner nach Westberlin kommen, die dort keine Verwandten haben. Diese Rentner würden Deckadressen in Westberlin angeben, um überhaupt eine Reisegenehmigung zu erhalten. Es wird eingeschätzt, dass Rentner, die früher der SPD angehörten, Adressen Westberliner Sozialdemokraten angeben, die ihnen im Rahmen der Päckchen-Aktionen bekannt wurden.
Von zuverlässigen Quellen wurde intern aus DGB-Kreisen Folgendes bekannt: Der Geschäftsführende Bundesvorstand des DGB hatte vorgesehen, alle Kreisvorsitzenden in einem vertraulichen Rundschreiben aufzufordern, bei ihnen vorsprechende Rentner aus der DDR zu empfangen und mit ihnen Aussprachen zu führen. Die Gespräche sollten nach Möglichkeit vom Kreisvorsitzenden selbst geführt werden. Über den Inhalt der Gespräche müsste dem Landesbezirk bzw. dem DGB-Bundesvorstand berichtet werden, da man sich einen Überblick über die Meinungen und Wünsche der Rentner verschaffen solle. Der DGB hätte für diese Aktion entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Die Besucher sollen bewirtet werden und Päckchen mit Lebensmitteln überreicht bekommen. Ferner sollten die Rentner einen sogenannten kleinen Ratgeber zur Orientierung über die Bundesrepublik erhalten.
Da die SPD und der DGB annehmen würden, dass ein geringer Prozentsatz der Rentner aus der DDR in Westdeutschland verbleiben werden, habe der DGB folgenden Beschluss vorbereitet: Bei FDGB-Mitgliedern wird die Mitgliedschaft anerkannt, wenn darüber eine Bescheinigung vorgelegt werden kann. Ehemalige Mitglieder der Gewerkschaft Leder, welche sich an die Gewerkschaftsbüros wenden, sollen einen einmaligen Zuschuss von 50,00 DM/DBB erhalten.
Im Zusammenhang mit den Möglichkeiten für die Rentner der DDR, Westdeutschland oder Westberlin aufzusuchen, hätten bereits viele Gewerkschaftsveteranen aus der DDR beim Landesbezirksvorstand der IG Druck und Papier Westberlin und beim Hauptvorstand der IG Druck und Papier in Stuttgart einen Antrag auf eine zusätzliche Rente gestellt. Diese Antragsteller hätten die Absicht, in Westdeutschland oder Westberlin zu verleiben. Die IG Druck und Papier zahle zusätzlich zur Altersrente in Westdeutschland und Westberlin etwa 45,00 DM/DBB aus Gewerkschaftsmitteln.
Die Rentner, die vor dem 13.8.1961 als Bauarbeiter in Westberlin gearbeitet haben und der IG Bau-Steine-Erden angehörten, sollen bei ihren Besuchen in Westdeutschland oder Westberlin aus der Alterszusatzversorgung Nachzahlungen erhalten.
In dem Zusammenhang wird auf eine Pressemitteilung hingewiesen, nach der DDR-Bürger im Rentenalter während ihres Aufenthaltes in Westdeutschland oder Westberlin auf Wertpapiere oder angewachsene Zinsen zurückgreifen könnten.
Der »Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands« hat seine Mitglieder aufgerufen, den Besuchern die beste ärztliche Betreuung zuteilwerden zu lassen. Die Besucher könnten beim Fürsorge- oder Sozialamt kostenlos einen Behandlungsschein beantragen.
Die »Vereinigten Landsmannschaften«15 haben ebenfalls zur »Hilfe« für die Rentner aus der DDR aufgerufen. Die Organisationen der Landsmannschaften mit ihren etwa 1 000 örtlichen Gruppen wollen im Einvernehmen mit den örtlichen Stellen »alle erdenkliche Hilfe leisten«.
Auf der Tagung des »Kuratoriums Unteilbares Deutschland«16 mit der SPD am 26. und 27.9.1964 in Offleben bei Helmstedt forderte Schütz, weitere Grenzübergänge an der Staatsgrenze der DDR West zu schaffen, da die bisherigen zwölf Übergangsstellen nicht ausreichten. Es gelte insbesondere, für die zu erwartenden Besucher lange Umwege und hohe Reisekosten zu vermeiden.
5. Die von der Politischen Polizei getroffenen Vorbereitungen
Aus einer internen Information aus Kreisen der Politischen Polizei in Düsseldorf (K 14) wurde bekannt, dass in Nordrhein-Westfalen Vorbereitungen getroffen wurden, um die einreisenden Rentner aus der DDR unter Kontrolle zu bekommen. Die Politische Polizei in Düsseldorf hat eine enge Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer Ordnungsamt, welches die Auszahlung des sogenannten Handgeldes sowie die Aushändigung von Kino- und Theaterkarten vornehmen soll, vorgesehen. Dadurch würde es möglich sein, eine genaue Übersicht zu erhalten, die Einreisenden kennenzulernen, einzuschätzen und mit ihnen Kontakt aufzunehmen.
II. Die Haltung politischer Kreise zur Frage des möglichen Verbleibs von Rentnern aus der DDR in Westdeutschland und Westberlin
Aus internen und offiziellen Äußerungen führender westdeutscher und Westberliner Politiker geht hervor, dass führende politische Kreise in Bonn und Westberlin nicht an einem Verbleib von Rentnern aus der DDR in Westdeutschland und Westberlin interessiert sind. Diese Kreise schätzen auch ein, dass wahrscheinlich nur ein geringer Prozentsatz der Besucher in die DDR nicht wieder zurückkehren wird.
Bundesschatzminister Dollinger erklärte offiziell, dass die Bundesregierung auf irgendeine Art zum Ausdruck bringen müsste, dass möglichst jeder Rentner wieder zurückkehren solle. Er verwies darauf, dass auch die Möglichkeit bestehe, durch die Familienzusammenführung in die Bundesrepublik überzusiedeln. Auf einer Regionaltagung der »Exil-CDU«17 hat sich Bundesminister Lemmer18 gegen eine »Rentnerflucht« aus der DDR gewandt. Auf der o. g. Sitzung des Präsidiums des »Kuratoriums Unteilbares Deutschland« forderten Schütz und Mattick,19 dass die Rentner nach Abschluss ihrer Besuche wieder nach Hause zurückkehren. Sie sollten nicht ermutigt werden, im Westen zu bleiben.
Nach internen Einreisen haben sich die Westberliner Senatoren Schütz20 und Exner21 ebenfalls gegen den Verbleib von Rentnern in Westberlin ausgesprochen. Den Rentnern solle klargemacht werden, dass sie wieder zurückfahren müssten. Westberlin könne keine Rentner aufnehmen. Abgesehen davon, dass die Bevölkerung von Westberlin überaltert sei und ein »Rentnerstrom« auch finanziell kaum verkraftet werden könne, wäre das Problem vom Standpunkt der Wohnraumfrage überhaupt nicht zu lösen. Senator Exner rechnet damit, dass etwa 20 % der Rentner, vor allem frühere Grenzgänger22 und diejenigen, die Anspruch auf Altersrentenzuschuss hätten, in Westberlin verbleiben wird.
Auch die Kommission des Westberliner Senats für die Vorbereitung der Rentnerbesuche ist der Auffassung, dass die Anzahl derjenigen Rentner, die im Westen bleiben wollen, gering sein werde, da dieser Personenkreis jederzeit die Möglichkeit habe, im Rahmen der Familienzusammenführung nach dem Westen zu gehen. Darüber hinaus nimmt man an, dass ein großer Teil der Rentner sich zunächst einmal bei einem Besuch im Westen informieren will, um später die Konsequenzen zu ziehen. Den sogenannten Nicht-Heimkehrwilligen wurde offiziell geraten, sich um ein Notaufnahmeverfahren zu bemühen.
Auch Brandt brachte in einem am 12.10.1964 veröffentlichten Interview der Zeitung »The Times« zum Ausdruck, »dass die Mehrzahl dieser Rentner wieder nach Ostdeutschland zurückgehen will«. Besonders wichtig sei, dass diese Leute eine Menge erzählen werden. Sie würden über alles berichten, was sie in Westdeutschland gesehen haben.23
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