Verhinderte Flucht bei Sülzhayn
9. Juni 1964
Einzelinformation Nr. 457/64 über einen verhinderten bewaffneten Grenzdurchbruch im Raum Sülzhayn, [Kreis] Nordhausen, [Bezirk] Erfurt, am 6. Juni 1964
Am 6.6.1964, gegen 19.00 Uhr, wurde dem MfS bekannt, dass der [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1940, wohnhaft Nordhausen, [Straße, Nr.], Arbeiter im Sand- und Kieswerk Nordhausen, wegen Fahnenflucht, Anstiftung zur Fahnenflucht und Abwerbung zu 2 Jahren, 9 Monaten Gefängnis verurteilt, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1937, wohnhaft Zwickau, [Straße, Nr.], Maschinenarbeiter im VEB Sachsenring, 1958 wegen unerlaubten Waffenbesitz zu einem Jahr Zuchthaus und 1962 wegen Verbindungsaufnahme zum UfJ nach § 19 zu 2½ Jahren Gefängnis verurteilt, [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1941, wohnhaft Dresden, [Straße, Nr.], Häftling im Haftarbeitslager Oelsnitz wegen Hetzschmiererei, Flugblatt- und Hetzschriftenverbreitung zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, und [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1938, wohnhaft Zwickau, [Straße, Nr.], Kfz-Schlosser im Verkehrsbetrieb Zwickau, 1958 nach § 19 verurteilt zu 2 Jahren, 8 Monaten Gefängnis, 1962 nach § 19 verurteilt zu einem Jahr, 6 Monaten Gefängnis, in der Nacht vom 6. Juni zum 7. Juni 1964 im Gebiet Sülzhayn Kreis Nordhausen, unter Anwendung von Sprengmitteln die Grenze nach Westdeutschland durchbrechen wollen.
Alle Genannten saßen 1963 im Haftarbeitslager Oelsnitz ein und hatten bereits im Juli 1963 den Grenzdurchbruch geplant und entsprechende Absprachen geführt. Da [Name 2] bereits im Oktober 1963 nach § 346 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, sollte er zum Zwecke des Grenzdurchbruchs Handfeuerwaffen besorgen. Nachdem auch [Name 1] am 16.4.1964 vom Haftarbeitslager entlassen wurde, trafen sich [Name 2] und [Name 1] mehrmals im Raum Nordhausen, wo sie das Grenzgebiet aufklärten und weitere Vereinbarungen trafen. Bei der Zusammenkunft Anfang Mai 1964 wurde durch [Name 2] vorgeschlagen, den Zeitpunkt des bewaffneten Grenzdurchbruchs auf den 6. Juni 1964 festzulegen. Am 23.5.1964 erschien [Name 2] erneut bei [Name 1], wobei als Treffpunkt die Brücke an der Hauptstraße nach Werther festgelegt wurde. [Name 1] sollte an dieser Stelle am 6.6.1964, gegen 20.00 Uhr, auf [Name 2], [Name 3] und [Name 4] warten. Bei dieser Zusammenkunft erzählte [Name 2] auch, dass er bereits entsprechende Sprengmittel für den Grenzdurchbruch angefertigt habe. Die Fahrt von Zwickau bzw. Oelsnitz nach Nordhausen sollte mit einem Mietwagen erfolgen, der bereits Anfang Mai für den 6. und 7.6.1964 durch [Name 2] bestellt wurde.
Die sofort durch das MfS eingeleiteten Überprüfungen ergaben, dass [Name 2] tatsächlich am 6.6.1964 einen Mietwagen empfangen hat und der Häftling [Name 3] bei Schichtende um 21.30 Uhr nicht mehr im Haftarbeitslager war. Durch die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen konnten alle Genannten am 6.6.1964, gegen 23.15 Uhr, am vereinbarten Treffort (Brücke an der Hauptstraße nach Werther) gestellt und festgenommen werden.
In der bisherigen Untersuchung wurde festgestellt, dass [Name 2] der Initiator der geplanten bewaffneten Grenzprovokation ist. Er hielt auch ständigen Kontakt zu [Name 4] und dem noch einsitzenden [Name 3], der mittels Zeichensprache vom genauen Termin des Ausbruchs informiert wurde. Zu diesem Zweck begab sich [Name 2] mit seinem Motorroller in die Nähe des Haftarbeitslagers, wo er [Name 3] durch Zeichengebung verständigte. [Name 3] wechselte am 6.6.1964 unter einem Vorwand zur Mittelschicht über und begab sich nach dem Einfahren in den Schacht 111, wo er seit längerer Zeit einen Schlosseranzug und einen schwarzen Helm versteckt hatte. Nachdem er sich umgekleidet hatte, begab er sich vom Friedrich-Engels-Schacht zum Karl-Liebknecht-Schacht, wo es ihm gegen 18.45 Uhr unter einem Vorwand gelang, aus dem Schacht auszufahren. Nach Verlassen des Schachtes ging er sofort zum ca. 200 m entfernten Treffort, wo er bereits von [Name 2] und [Name 4] erwartet wurde.
Anschließend fuhren alle drei nach Kleinfurra/Nordhausen, Wohnort der Eltern des [Name 2], wo [Name 2] in einer kleinen Werkstatt seines Vaters zwölf selbstgefertigte Sprengkörper versteckt hatte. (Dabei handelt es sich um Konservendosen, die innen mit Bleistücken ausgelegt sind. Als Sprengladung wurde Sprengstoff von Panzerfäusten und Artilleriegeschossen verwendet, die [Name 2] in noch nicht abgesuchten Wäldern gefunden haben will.) Danach fuhren die Genannten mit den selbstgefertigten Sprengkörpern unmittelbar zum vereinbarten Treffort an der Straße Nordhausen/Werther, wo ihre Festnahme erfolgte.
Nach Aussagen des [Name 1] sollte er als Ortskundiger und ehemaliger Unteroffizier der NVA/Grenze die Führung bis zur Grenzbefestigung übernehmen, anschließend unter Anwendung der Sprengmittel eine Gasse im Minenfeld freilegen und durch eine selbstgefertigte gestreckte Ladung die Drahthindernisse beseitigen. Da er Angst vor der ihm zugedachten Aufgabe hatte und befürchtete, dass die Anwendung der selbstgefertigten Sprengmittel zu einer persönlichen Gefahr für ihn werden könnte, erstattete er über den geplanten Grenzdurchbruch Meldung.
Bei einem Zusammentreffen mit Angehörigen der NVA/Grenze im Grenzgebiet sollten die Sprengsätze gegen die Sicherungskräfte eingesetzt werden und bei einer hoffnungslosen Lage sollte mithilfe der Sprengsätze Selbstmord verübt werden.
Am Festnahmeort konnten das Fahrzeug (Pkw Wartburg), die Sprengsätze, ein Fernglas, ein Kompass, Drahtzangen, Landkarten, Verbandsmaterial und eine Stablampe sichergestellt werden.
Die Untersuchungen werden durch das MfS weitergeführt.