Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse (2)
4. März 1964
Einzelinformation Nr. 174/64 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1964 (2. Bericht)
Nach den vorliegenden Angaben steigt die Besucherzahl der Leipziger Messe1 weiterhin schnell an. Bisher wurden folgende Besucher registriert (in Klammern die Vergleichszahlen des entsprechenden Tages der Frühjahrsmesse 1963):
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sozialistische Staaten: 1 867 (1 714) + 153,
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kapitalistische Staaten: 8 545 (4 247) + 4 277,
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Westberlin: 2 886 (1 369) + 1 517,
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Westdeutschland: 8 850 (4 506) + 4 344.
Das starke Ansteigen der Besucher aus Westdeutschland und Westberlin ist offensichtlich nicht nur auf geschäftliche Interessen der Besucher zurückzuführen, sondern ist teilweise durch private Gründe bedingt. Nach wie vor werden Berichte über verstärkte Kontrolltätigkeit durch westdeutsche Stellen beim Grenzübergang bekannt, die die bisherigen Angaben bestätigen. Bis zum 3.3.1964 wurden von unserer Industrie Exportverträge in Höhe von 140 Mio. DM abgeschlossen. Der Exportplan wurde bisher für 1964 mit 80,2 % vertraglich gebunden. Nach den ersten Kontaktaufnahmen fordert der Außenhandel von der Industrie zusätzlich Waren in Höhe von etwa 700 Mio. DM an. Davon sind etwa 180 Mio. DM bereits ausspezifiziert. Ein Zurückbleiben gibt es noch bei den Importen, insbesondere im Bereich der Hauptverwaltungen I und II.
Nach wie vor ist ein reges Interesse der Vertreter aus dem kapitalistischen Ausland an der Messe zu verzeichnen. Nach Einschätzung des MAI hat sich die Beteiligung der afroasiatischen Überseeländer gegenüber dem Vorjahr qualitativ und quantitativ verbessert. Besonders hervorgehoben wurden die erstmalige Beteiligung Burmas mit einer Ausstellung an der Messe und die Anwesenheit der Regierungsdelegationen aus dem Irak und Guinea. Genosse Balkow2 hat am 3.3.1964 mit der irakischen Regierungsdelegation ein Gespräch geführt.
Als noch unbefriedigend wird die Teilnahme offizieller Delegationen aus den Fernost-Ländern, insbesondere aus Indien, eingeschätzt. Es wird betont, dass die Kollektivausstellungen der afroasiatischen Länder stärker als bisher die traditionellen Warenbeziehungen mit der DDR berücksichtigen. So wurde im indischen Pavillon die Ausstellung von Rohstoffen und industriellen Fertigerzeugnissen wesentlich verstärkt. Auf der Messe ist auch ein Vertreter des Präsidiums der Handelskammer der Bahrain-Inseln anwesend, der die Aufnahme direkter Handelsbeziehungen zur DDR vorschlug. Insbesondere sind die Bahrain-Inseln am Import von Nahrungs- und Genussmitteln, Baumaterialien, elektrischen Haushaltsgeräten, Möbeln und Chemikalien interessiert. Von Interesse ist auch die Beteiligung des stellvertretenden Wirtschaftsministers Kolumbiens, der in einem Gespräch mit Genossen Balkow die Lieferung einer Zementfabrik an Kolumbien zu international üblichen Zahlungszielen anregte. Mit kanadischen Kaufleuten, insbesondere mit den Geschäftsleuten [Name 1] und [Name 2], wurden Verhandlungen über den Export von Weizen in die DDR geführt. Der Kontrahent der DIA Nahrung bei diesem Geschäft ist der Präsident der Canadian Wheet Corporation, der als einflussreicher und seriöser Geschäftsmann beurteilt wird. Er hat Einfluss auf die dortige Regierungspartei. Nach Ansicht von [Name 1] und [Name 2] wird es möglich sein, für DDR-Wirtschaftler, die nach Kanada reisen, das Travel Board3 schrittweise als nicht zuständig für die Regelung des Reiseverkehrs zu erklären.
Auch die anderen NATO-Staaten und die neutralen europäischen Staaten sind nach wie vor aktiv. So erklärte der Vizepräsident der Union der Handelskammer der Türkei, Gazioğlu, dass er im Auftrag des Präsidenten der Union die Vorbereitung einer offiziellen Beteiligung der Türkei an den nächsten Messen prüfen soll. Britische Kaufleute, darunter Mr. [Name 3], die wegen größerer Käufe mit dem Handelsunternehmen Chemieausrüstungen und Nahrung verhandeln, möchten eine Pressekonferenz mit dem Fernsehen über ihre Geschäftsabsichten mit der DDR veranstalten. Amerikanische Firmen interessieren sich für zusätzliche Lieferungen von Schreibmaschinen, schwedische Firmen für Kompensationsgeschäfte auf dem Gebiet der Metallurgie. Der Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer Österreichs, Wakolbinger,4 erklärte anlässlich eines von ihm gegebenen Sektfrühstücks, dass er noch keine Messe gesehen habe, deren Charakter so vom Geschäftssinn geprägt sei, wie die Leipziger Frühjahrsmesse. Er zeigte sich besonders stark beeindruckt von den Exponaten der DDR auf dem Gebiete des Maschinenbaus und der Textilindustrie.
Im Handel mit den sozialistischen Ländern sind bisher keine besonderen Schwierigkeiten aufgetreten. Lediglich die Außenhandelsunternehmen der Sowjetunion zögern die Bestätigung von Verträgen für den Export nach der DDR teilweise erheblich hinaus. Vonseiten der Sowjetunion und Ungarns werden Überlegungen angestellt, in Zukunft auf Kollektivausstellungen zu verzichten und die Ausstellungen branchenmäßig aufzugliedern.
Interessante Einzelheiten werden über die Haltung der westdeutschen Regierung zum Handel mit der DDR bekannt. Nach Angaben des leitenden Mitarbeiters der Bochumer Chemie Imhausen-Company, Brannekämper,5 hat am 20.2. ein Gespräch zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft Schmücker6 und führenden westdeutschen Wirtschaftlern, darunter Beitz,7 Mommsen8 und Matthias Schmitt,9 stattgefunden. In diesem Gespräch haben sich nach Angaben Brannekämpers die Wirtschaftler gegen die den Handel behindernden Bedingungen gewandt und sich für eine Ausweitung des Handels ausgesprochen. Schmücker habe dazu geäußert, dass er die gemachten Vorschläge zur Kenntnis genommen habe und sie an das Kabinett weiterleiten wolle.
Nach Angaben des Stiefschwiegersohnes von Erhard,10 Böhner,11 der vom Genossen Balkow zur Messe eingeladen worden war, hat Erhard ihm geraten, die Messe noch nicht zu besuchen. Erhard habe jedoch in keiner Weise gegen die Leipziger Messe Stellung genommen. Genosse Balkow hatte bekanntlich in Vorbereitung der Messe 50 prominente westdeutsche Persönlichkeiten nach Leipzig eingeladen. Positiv haben darauf bisher das Vorstandsmitglied der Ferrostaal AG, Kuhlmann,12 und der Vertreter von Klöckner, Wiegand, reagiert. Abgelehnt haben die Vertreter von Krupp, der August Thyssen-Hütte, des Hüttenwerkes Oberhausen-AG und der Cassella-Farbwerke. Von Mannesmann ist eine größere Einkaufsdelegation in Leipzig vertreten, die über Bezugsmöglichkeiten auf dem Gebiete des Maschinenbaus verhandeln will. Ferner sind mit Westdeutschland gegenwärtig Verhandlungen über den Verkauf von Enten im Werte von drei Mio. DM, Obertrikotagen, Trainingsanzügen, sowie über den Import von Kali im Gange.
Kritiken gab es von ausländischen Messebesuchern insbesondere wegen fehlender Hotelkapazitäten in Leipzig, wodurch einige Delegierte und Ehrengäste nicht die von ihnen erwartete Unterkunft erhielten. Infolge ungenügender Organisation durch die zuständigen Stellen wurde auch einigen besonders wichtigen britischen Messegästen kein bzw. nur ungenügendes Hotelquartier zur Verfügung gestellt. Durch Einschaltung des Einsatzstabes konnte Abhilfe geschaffen werden.
Seitens der irakischen Delegation kam es zu Protesten, dass anstelle der neuen irakischen Fahne die Flagge des Qāsim-Regimes13 gezeigt wurde. Ähnliche Proteste kamen von Albanien, da infolge der Tatsache, dass Albanien nicht auf der Messe ausstellt, keine albanische Flagge aufgezogen war. Da von Albanien, der Volksrepublik China und der Koreanischen Volksdemokratischen Republik Regierungsdelegationen anwesend sind, beschloss der Operativstab der Messe, auch diese Flaggen zu hissen.