Verlauf der Leipziger Herbstmesse (2)
8. September 1964
Einzelinformation Nr. 734/64 über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse 1964 (2. Bericht)
Die Anzahl der Messebesucher1 erhöht sich weiter im raschen Tempo. Am 7.9.1964, 23.00 Uhr, waren folgende westdeutsche Besucher, Westberliner Bürger und Ausländer polizeilich gemeldet:
[Besucher] | [Herbstmesse] 1964 | [Herbstmesse] 1963 | Veränderung |
---|---|---|---|
Westdeutsche Besucher | 7 359 | 3 636 | + 3 723 |
Westberliner Besucher | 2 891 | 1 569 | + 1 322 |
Besucher aus sozialistischen Staaten | 691 | 600 | + 91 |
Besucher aus kapitalistischen Staaten | 3 221 | 2 436 | + 758 |
Es wird eingeschätzt, dass ein großer Teil der westdeutschen und Westberliner Bürger die Messe nur aus familiären Gründen besuchen.
Bei der Einreise westdeutscher Messebesucher zeigt sich, dass diese vielfach DDR-Banknoten aus Westdeutschland einführen. In der Sondermeldestelle West wird dabei mit alten Banknoten der DDR bezahlt, obwohl an westdeutsche Bürger beim Geldumtausch nur neues Geld ausgegeben wird.2 Im Allgemeinen wird eingeschätzt, dass sich die Qualität der westdeutschen Besucher erhöht hat.
Von einer Reihe von westdeutschen Besuchern wird zum Ausdruck gebracht, dass nunmehr fest damit zu rechnen ist, dass die westdeutschen Konzerne sich an der Jubiläumsmesse 19653 beteiligen. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Interzonenhandel, Matthias Schmitt,4 hat nach Angaben des eng mit unseren Außenhandelsorganen zusammenarbeitenden westdeutschen Industriellen Brannekämper5 mit den zuständigen Ressorts der Bonner Ministerien Einigung in dieser Frage erzielt.
Gegenwärtig zeichnet sich beim Leipziger Messeamt eine rege Bestelltätigkeit für Standflächen für 1965 ab. Die westdeutschen Stahlkonzerne bemühen sich um eine günstige Platzierung und bringen dabei ausdrücklich zum Ausdruck, dass keinerlei Bedingungen im Hinblick auf die Errichtung eines Kollektivstandes der westdeutschen Stahlindustrie gestellt werden.
Die westdeutschen Konzerne versuchen im Gegenteil, ihre späte Meldung auf die verschiedenste Art und Weise zu entschuldigen.
In Vorbereitung der Leipziger Messe hat der Parteistab Außenhandel eingeschätzt, dass in den Außenhandelsorganen noch Unklarheiten über die praktische Durchsetzung der ersten Schritte des neuen ökonomischen Systems6 bestehen. Vonseiten der Industrie werden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems in den Vertragsabschlüssen gemacht. Die Exportbetriebe, insbesondere auf dem Gebiet Büromaschinenbau, weigern sich, Verträge mit dem Außenhandel zu unterschreiben, da sie die in den Verträgen festgelegten Sanktionen nicht anerkennen wollen.
Der Parteistab schätzte ferner ein, dass die Übergabe der Kalkulationen für Neuentwicklungen nicht entsprechend den terminlichen Festlegungen des Volkswirtschaftsrates bis zum 15.8.1964, sondern erst auf der Leipziger Messe erfolgte. Dadurch sind Verzögerungen bei der Währungspreiskalkulation besonders bei der Rundfunk- und Fernsehindustrie, bei Lampen und Leuchten und in der Möbelindustrie eingetreten.
Sowohl vom Parteistab als auch vom Volkswirtschaftsrat wurden bei der Messebegehung Mängel in der Ausgestaltung der Stände und die Art und Weise des Auftretens der Mitarbeiter der Industrie kritisiert. So wurde vom Volkswirtschaftsrat besonders hart die VVB Rundfunk und Fernsehen und die Campingschau kritisiert. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates Genosse Böhme7 bezeichnete dieses Versagen als ein Leitungsproblem und erklärte weiter, dass man fragen müsse, ob hier aus Dummheit gehandelt oder dies bewusst organisiert wird. Die Campingschau wurde von den leitenden Genossen des Volkswirtschaftsrates als »Dorfladen« bezeichnet. Kritisiert wird das unordentliche Auftreten vieler Mitarbeiter der Industrie, die in ungebügelten Hosen mit geschmacklosen Krawatten und übernächtigt zur Messe erscheinen. Genosse Neumann8 wies darauf hin, dass die Wirtschaftsfunktionäre unbedingt seriöser sein müssen. Es wurde dazu eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen.
Beim Messerundgang des Volkswirtschaftsrates wurde kritisiert, dass die Firmen zu wenig unter ihren eigenen Marken werben.
Außerdem wurde eingeschätzt, dass bisher ungenügend gezielt auf die Exportländer geworben wird und dass keine Konzeptionen für das Eindringen in bestimmte Länder bestehen.
Anerkennung fanden durch den Genossen Neumann die ausgestellte Reiseschreibmaschine vom Typ »Erika«, der Kaltgetränkeautomat, die Erzeugnisse der Möbelindustrie, insbesondere die ausgestellte Elektroküche. Gleichzeitig erklärte Genosse Neumann jedoch, dass es in diesem Jahr keinen ausgesprochenen Messeschlager gibt.
Vom Parteistab wurde kritisiert, dass bei der Ausstellung politische Fehler in der handelspolitischen Aussage zugelassen wurden. So wurde die Südafrikanische Union in die Aufzählung der Exportländer bei der VVB Textima einbezogen.
Erste wichtige Abschlüsse wurden bereits getätigt, so für Erzeugnisse der Gummiindustrie in Höhe von 2 Mio. VMDN nach Westdeutschland, Textilien im Wert von 9,7 Mio. VMDN nach England, Schweden, dem Irak, Holland und Ghana, Ascota-Buchungsmaschinen im Wert von 1,3 Mio. VMDN u. a. Wichtige Geschäftsanbahnungen gibt es besonders auf dem Gebiet der Elektrotechnik nach Westdeutschland und dem westlichen Ausland.
Die Nachfrage nach Erzeugnissen der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie seitens westdeutscher Versandhäuser ist so groß, dass die Einkaufsabsichten im Interesse der Versorgung unserer Bevölkerung nicht befriedigt werden können.
Auch die Nachfrage nach Musikinstrumenten, insbesondere Gitarren, ist ebenfalls so groß, dass sie nicht gedeckt werden kann.
Während der Verhandlungen konnten auf einer Reihe von Gebieten Preisverbesserungen erzielt werden.
Im Handel mit der Sowjetunion gibt es jedoch Schwierigkeiten, da die Sowjetunion Verträge für 1965, besonders im Bereich Textil, Bekleidung, Leder, nicht unterschreibt und eine Preissenkung von 35 bis 40 % fordert. Vom MAI wurde daraufhin entschieden, dass bis auf weiteres Verkäufe aus dem für die Sowjetunion bestimmten Kontingent unter devisengünstigen Voraussetzungen in das kapitalistische Ausland erfolgen können. Auch auf anderen Gebieten gibt es ähnliche Erscheinungen.
Von anderen sozialistischen Ländern, insbesondere von der Volksrepublik Polen, wird dagegen starkes Interesse an der Erhöhung der Konsumgüterimporte aus der DDR gezeigt.
Schwierigkeiten gibt es gegenwärtig beim Außenhandel mit Erzeugnissen der Chemieindustrie, da die Industrie es ablehnt, langfristige Lieferzusagen zu machen. Die ausländischen Abnehmer sind unter diesen Umständen nicht geneigt, sich in ihrer Versorgung mit Halb- und Fertigerzeugnissen der Chemieindustrie auf die DDR zu konzentrieren. Unsere Exporte tragen daher weitgehend den Charakter von Gelegenheitsgeschäften, die preisliche Konzessionen erfordern.
Nach wie vor klagen ausländische Kunden über die ungenügende Versorgung mit Ersatzteilen. Von einer Westberliner Firma wurde das Fehlen von Belichtungsmessern kritisiert, die bereits Ende Januar 1964 bestellt wurden. Derartige Beschwerden betreffen besonders den VEB Pentacon Dresden und den VEB Carl Zeiss Jena.
Vom VEB LEW Hennigsdorf wird die Einhaltung des Beschlusses über den Abschluss von Exportverträgen über Ersatzteile durch die Lieferbetriebe mit der Begründung abgelehnt, dass Planstellen fehlen.
Es liegen erste Reaktionen ausländischer Messebesucher vor. So wurde bekannt, dass der bereits auf der vorhergehenden Messe aufgetauchte Goldstein nach seiner Rückkehr von der Messe dem französischen Ministerpräsidenten Pompidou9 Bericht erstatten soll. Goldstein erklärte, dass die am Osthandel beteiligten französischen Firmen durch die zuständigen Wirtschaftsorgane eine Bevorzugung erfahren.
Der Präsident des griechischen Tabakverbandes SEKE, Assimakis,10 hat der DDR ein Angebot über Zigarettentabake im Wert von ca. 20 Mio. VMDN unterbreitet und dabei auf die schwierige Wirtschaftslage Griechenlands hingewiesen, die durch den Zypernkonflikt11 noch verschärft werde. Als ihm entgegnet wurde, dass ein solches Abkommen nur vom Genossen Balkow abgeschlossen werden könne und eine Reise nach Griechenland selbstverständlich nur ohne Travelpass12 erfolgen könne, hat sich Assimakis umgehend nach Athen begeben, um die Einladung einer offiziellen Delegation unter Leitung des Genossen Balkow zur Messe nach Thessaloniki zu arrangieren.
Ein führender zypriotischer Kaufmann erklärte während seines Aufenthaltes in Leipzig, dass die zypriotische Regierung umfangreiche Lockerungen im Handel mit der DDR verfügt habe. Anlass dazu sei die Haltung der DDR im Zypernkonflikt und insbesondere das Telegramm des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht an Präsident Makarios.13
Von der englischen Firma Plessey (Halbleiter, Atomenergie u. a.) wurde eine Einladung für eine Delegation der Halbleiterindustrie der DDR zum Besuch der Firma ausgesprochen. Dieser Einladung ging der Wunsch der DDR voraus, Lizenzen für die Halbleiterfabrikation in England zu erwerben.
Die Informationen, dass vonseiten der westdeutschen Bundesregierung keine Behinderungen vorgenommen werden, bestätigen sich. An den Grenzübergängen werden die Personalien im Allgemeinen nicht registriert, sondern es wird lediglich die Zahl der Messebesucher, getrennt nach Westdeutschen und Ausländern, festgehalten.