Verlauf der Leipziger Herbstmesse (3)
10. September 1964
Einzelinformation Nr. 738/64 über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse 1964 (3. Bericht)
Bis zum 9.9.1964, 19.00 Uhr, waren in Leipzig folgende Messegäste1 polizeilich angemeldet:
[Besucher] | [Herbstmesse] 1964 | [Herbstmesse] 1963 | Veränderung |
---|---|---|---|
Westdeutsche Besucher | 9 001 | 4 856 | + 4 145 |
Westberliner Besucher | 3 761 | 1 976 | + 1 785 |
Besucher aus sozialistischen Staaten | 1 144 | 4 215 | – 3 071 |
Besucher aus kapitalistischen Staaten | 3 628 | 4 495 | – 867 |
Der Rückgang der Besucherzahl aus den sozialistischen Staaten ist offenbar dadurch zu erklären, dass die Touristen aus dem sozialistischen Ausland nicht mehr als Messebesucher erfasst werden. Die Touristenzahl aus dem sozialistischen Ausland hat sich gegenüber der Herbstmesse 19632 bisher von 3 501 auf 5 558 erhöht.
Die Anzahl der Besucher aus dem kapitalistischen Ausland ist zwar zurückgegangen, jedoch wird vom Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel eingeschätzt, dass die Qualität der Besucher aus dem kapitalistischen Ausland im Vergleich zum Vorjahr besser ist. Allerdings muss auch eingeschätzt werden, dass eine Reihe von Kunden für Investitionsgüter, besonders auf dem Gebiet der Elektrotechnik, nicht erschienen sind, obwohl sie eingeladen wurden. Nach Einschätzung des MAI ist im Besuch der Messe durch Vertreter überseeischer Staaten noch keine Besserung eingetreten.
Der Besuch der Messe durch Westdeutsche und Westberliner wächst jetzt in einem etwas langsameren Tempo. Es sind eine Reihe von westdeutschen Messebesuchern erstmalig seit der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles oder gar erstmalig nach dem Krieg wieder eingetroffen. Dazu gehört u. a. auch der Generaldirektor der Firma Wacker-Chemie, Dr. Berg.3
Bemerkenswert beim Auftreten der westdeutschen Messebesucher in Leipzig ist die Tatsache, dass sie sich zum großen Teil für eine Verstärkung der Kontakte zwischen der DDR und Westdeutschland einsetzen. Soweit politische Gespräche geführt werden, bringen diese westdeutschen Vertreter zum Ausdruck, dass sie den Dementis der Bonner Regierung zu den Kontaktgesprächen im Jahre 1962 keinen Glauben schenken.
Auffallend ist die Tatsache, dass fast alle westdeutschen Messebesucher große Illusionen hinsichtlich des bevorstehenden Besuchs des Genossen Chruschtschows in Bonn haben.4 So wird in breitem Maße spekuliert, dass der Besuch des Genossen Chruschtschow durch Änderungen in der Politik der DDR und in der Führungsspitze vorbereitet werde bzw. solche Änderungen im Gefolge haben werde. Dabei wird auf die Möglichkeit des Einsatzes der wirtschaftlichen Potenzen Westdeutschlands spekuliert.
Im Allgemeinen werden von den westdeutschen und den ausländischen Ausstellern die Erfolge der DDR gewürdigt. Die Veränderungen im Leipziger Stadtbild und die rege Bautätigkeit im Stadtzentrum haben allgemeines Erstaunen hervorgerufen.
Zur Handelstätigkeit
Nach den bisher vorliegenden Materialien hat sich bereits eine Vielzahl von Geschäften angebahnt. Die Mehrzahl der auf der Messe ausgestellten Waren ist außerordentlich gefragt, sodass offensichtlich bei Weitem nicht alle Bedürfnisse gedeckt werden können. Insbesondere trifft das auf sämtliche Branchen der Textilindustrie, auf die Produktion von elektrischen Haushaltsgeräten und auf die Rundfunkindustrie zu. Fernsehapparate, Erzeugnisse der chemischen Industrie, Nähmaschinen, Staubsauger wurden besonders von den sozialistischen Ländern gefragt, so erstmalig nach langer Zeit wieder Staubsauger von der ČSSR. Rumänien wünscht 10 000 Fernsehapparate für das Jahr 1964 zusätzlich zu kaufen. Die Sowjetunion beabsichtigt für das Jahr 1965 ca. 70 000 Haushaltsnähmaschinen aus der DDR zu importieren. Haushaltsnähmaschinen werden offensichtlich auch in größeren Mengen in kapitalistische Länder exportiert werden können.
Von tunesischer Seite ist das Außenhandelsunternehmen Transportmaschinen aufgefordert worden, ein Angebot über die Wiederinbetriebnahme und Komplettierung der Werftanlagen in Bizerta auf der Basis langfristiger Zahlungsziele abzugeben.5
Von Vertretern afrikanischer Länder, insbesondere Ghanas, Nigerias u. a., wurde der Wunsch zu verstärkten Direktimporten aus der DDR unter Ausschaltung der britischen Zwischenhändler geäußert.
Insgesamt zeigt es sich, dass bei einer ganzen Reihe von Erzeugnissen im Absatz gegenüber dem kapitalistischen Ausland beachtliche Preisverbesserungen (bis zu 10 %) durchgesetzt werden können.
Von ausländischen Vertretern wird hervorgehoben, dass unsere Exporte in der Konsumgüterindustrie noch erheblich gesteigert werden können. So erklärte der politische Korrespondent des »Daily Mirror« Knight London, dass er von der Entwicklung der Konsumgüter der DDR außerordentlich beeindruckt sei. Er werde sich dafür einsetzen, dass das hemmende System der Quotierung im Handel zwischen Großbritannien und der DDR beseitigt werde.
Generaldirektor Haggag von der Consumers’ Egyptian General Organisation (Ägypten) erklärte, dass er von der hervorragenden Organisation in Leipzig beeindruckt sei und für seine Organisation auf der Messe Aufträge für Konsumgüter in Höhe von 3,5 Mio. MDN platzieren werde.
Probleme des Handels mit den sozialistischen Ländern
Im Handel mit den sozialistischen Ländern fehlen zum Staatsplan noch Importe in Höhe von 448 Mio. Besondere Probleme gibt es dabei beim Import von Erzeugnissen der Schwarzmetallurgie aus der Sowjetunion. Trotzdem wird eingeschätzt, dass die Importpläne auf jeden Fall realisiert werden können. Für 1965 sind ebenfalls eine Reihe von Verträgen mit der Sowjetunion (Rohstoffe), Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der ČSSR in Vorbereitung. Vonseiten der Partnerländer gibt es jedoch Schwierigkeiten infolge mangelnder Lieferbereitschaft einer Reihe von sozialistischen Ländern. So musste der stellvertretene Minister für Außenhandel, Genosse Kerber,6 die ungarischen Genossen darauf hinweisen, dass von ungarischer Seite nur Angebote über Waren abgegeben werden, die nicht den Bedürfnissen der DDR entsprechen. Vom Leiter der polnischen Regierungsdelegation, Genossen Szyr,7 wurde zum Ausdruck gebracht, dass das Außenhandelsvolumen mit der DDR sich zu langsam entwickelt. Auf Anfragen äußerte sich Genosse Szyr positiv zu zusätzlichen Kartoffel- und Kohlelieferungen.
Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Importplanes gegenüber den sozialistischen Ländern sind dadurch entstanden, dass auf einer Reihe von Ständen keine Mitarbeiter vorhanden sind, die zum Abschluss von Verträgen berechtigt sind. Von Ungarn wurden Lebensmittelexporte nach der DDR mit der Begründung des Eintretens von höherer Gewalt als unerfüllbar deklariert. Stellenweise gibt es auch noch nach wie vor Preisunterbietungen anderer sozialistischer Länder, insbesondere durch die ČSSR:
Zur Auszeichnung von Exponaten mit Goldmedaillen
Insgesamt wurden 80 internationale Spitzenerzeugnisse mit Goldmedaillen8 ausgezeichnet, davon 43 DDR-Erzeugnisse und 37 ausländische Erzeugnisse. Von den 37 ausgezeichneten ausländischen Erzeugnissen entfallen zehn auf sozialistische Länder, 22 auf kapitalistische Länder und fünf auf Westdeutschland. Gegenüber der Frühjahrsmesse 1964 ist eine Verbesserung der Auswahl der Erzeugnisse für die Auszeichnungsanträge eingetreten. Dadurch konnten z. B. sechs Erzeugnisse von der Sowjetunion gegenüber nur drei zur Frühjahrsmesse Goldmedaillen erhalten. Die meisten Goldmedaillen der kapitalistischen Länder entfielen mit neun auf Frankreich. Von den VVB und dem Leipziger Messeamt wurde eine teilweise falsche Orientierung hinsichtlich der Erzeugnisse gegeben, für die eine Goldmedaille zu beantragen ist. Dadurch wurden für Möbel, Konfektion und Schuhe Anträge gestellt, die infolge ungenügender Qualität der Exponate keine Berücksichtigung finden konnte. Von der Antragstellung waren die Herstellerbetriebe des In- und Auslandes nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden, sodass eine Reihe von auszeichnungswürdigen Erzeugnissen nicht berücksichtigt werden konnte.
Die Werbewirksamkeit der auf der Leipziger Messe verliehenen Goldmedaillen wird von den ausländischen Ausstellern hoch eingeschätzt. So erklärte die Firma Raffael, Paris, dass sie die ihr verliehene Goldmedaille auch auf anderen internationalen Messen, so in New York, auf ihrem Stand zeigen will.
Zur Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems im Außenhandel
Vom Parteistab wird eingeschätzt, dass trotz der seminaristischen Durcharbeitung der Grundfragen des neuen ökonomischen Systems9 durch die leitenden Mitarbeiter und die Parteisekretäre der Außenhandelsunternehmen noch eine Reihe von Unklarheiten vorhanden sind, die sich vor allem in einer zögernden Haltung bei der Einleitung der ersten Schritte zur Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems bemerkbar machen. In vielen Fällen wurde von den Außenhandelsunternehmen versucht, mit der Arbeit auf der Grundlage des neuen ökonomischen Systems erst nach der Messe zu beginnen. Erst nach erfolgten Aussprachen zwischen der Leitung der Parteiorganisation des Außenhandels und den ersten Sekretären der Grundorganisationen sowie mit den Generaldirektoren wurde mit der Anwendung des neuen ökonomischen Systems in Schwerpunktbetrieben begonnen.
In den Parteiorganisationen mussten Auseinandersetzungen mit Genossen des Außenhandels geführt werden, die die Bedeutung des neuen ökonomischen Systems lediglich auf die Festlegung von Sanktionen in den Verträgen zwischen Außenhandel und VVB reduzieren. Diese Genossen hatten sich ungenügend mit den ökonomischen Hebeln vertraut gemacht, die die Industrie an einer bedarfs- und termingerechten Exportproduktion interessieren.
Falsche Auffassungen im Zusammenhang mit der Anwendung des neuen ökonomischen Systems traten bei der VVB Technisches Glas auf. Die Kollegen der VVB begrüßten die Mitarbeiter der Außenhandelsunternehmen als zukünftige Angestellte der VVB. Bei Verhandlungen mit schwedischen Kunden bezeichnete Genosse [Name] die Bemühungen des Außenhandelsunternehmens zur Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems als »Räubermethoden«.
Positive Ergebnisse wurden bei der Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems in der Zusammenarbeit der VVB Möbel und den zuständigen AHU erzielt. In den Außenhandelsunternehmen selbst ist nicht überall die materielle Interessiertheit beim Abschluss von Verträgen garantiert. Eine Analyse des Inhalts der Wettbewerbsvereinbarung ergab, dass noch ungenügend auf die Erreichung qualitativer Kennziffern (Preise, Liefertermine, Kosten) orientiert wird. In einigen Außenhandelsunternehmen wurden keine Mittel für die Prämierung anlässlich der Herbstmesse bereitgestellt. In einigen Außenhandelsunternehmen sind die Genossen des Außenhandels ungenügend auf die Führung von Preisverhandlungen vorbereitet. Die Dokumentationen dafür sind nicht ausreichend. So haben die Leiter der Außenhandelsunternehmen völlig unzureichend die Presseinformationen über die Ergebnisse der Messe in Hannover10 analysiert und die Mitarbeiter der AHU und der Industrie nicht genügend auf diese Entwicklung orientiert.