Verlauf des 2. Passierscheinabkommens (16)
24. Oktober 1964
16. Bericht Nr. 942/64 über den Verlauf des 2. Passierscheinabkommens
Am 22.10.1064 wurden insgesamt 141 057 Passierscheine, davon 50 878 für den 1. und 90 179 für den 2. Besuchszeitraum mit nach Westberlin genommen.1
Ausgegeben wurden 127 342 Passierscheine (46 085 für den 1., 81 257 für den 2. Besuchszeitraum), während 13 715 Passierscheine (4 793 für den 1. und 8 922 für den 2. Besuchszeitraum) von den Westberliner Antragstellern nicht abgeholt wurden bzw. ein kleiner Teil zur Ergänzung und Veränderung wieder zurückgenommen werden musste.
Am 23.10.1964 wurden insgesamt 115 823 Passierscheine, davon 41 783 für den 1. und 74 040 für den 2. Besuchszeitraum mit nach Westberlin genommen.
Ausgegeben wurden 102 257 Passierscheine (37 017 für den 1. und 65 240 für den 2. Besuchszeitraum), während 13 566 Passierscheine (4 766 für den 1. und 8 800 für den 2. Besuchszeitraum) von den Westberliner Antragstellern nicht abgeholt wurden bzw. ein kleiner Teil zur Ergänzung und Veränderung wieder zurückgenommen werden musste.
Damit wurden seit dem 16.10.1964 insgesamt 736 576 Passierscheine (davon 264 213 für den 1. und 472 363 für den 2. Besuchszeitraum) ausgegeben.
Die Ausgabe der Passierscheine verlief am 22. und 23.10.1964 wiederum im Allgemeinen reibungslos. Trotz eines meist größeren Andrangs in den Nachmittagsstunden konnten alle Passierscheinabholer abgefertigt werden.
Wie schon an den Vortagen verhielten sich die Passierscheinempfänger diszipliniert und bedankten sich verschiedentlich bei unseren Postangestellten für die schnelle und korrekte Abfertigung. (Letzteres trifft besonders auf solche Personen zu, deren Passierscheine von unseren Angestellten sofort an Ort und Stelle berichtigt wurden.)
Auch in den Fällen, in denen die Ausgabe eines Passierscheines – es handelte sich fast durchweg um Doppelantragsteller – abgelehnt wurde, gab es bis auf Einzelfälle kaum negative Äußerungen. Meist zeigten sich die Personen verwundert darüber, dass unsere Behörden die Doppelbeantragungen so exakt feststellen konnten. In wenigen Fällen, in denen infolge der Lenkungsmaßnahmen die Mitnahme eines Kfz nicht genehmigt wurde oder der erwartete KPP zum Übergang nicht auf dem Passierschein vermerkt war, zerrissen Antragsteller ihre Passierscheine.
Vereinzelt erschienen am 22.10. in einigen Passierscheinstellen noch Personen, die verspätet einen Antrag stellen wollten, weil sie während der Annahmeperiode nicht in Westberlin gewesen seien. Unter Hinweis auf das Protokoll wurden sie höflich abgewiesen.
In mehreren Passierscheinstellen erschienen wiederum Betriebsräte, um Passierscheine gesammelt in Empfang zu nehmen. Nach den Hinweisen unserer Angestellten, dass das ein Verstoß gegen das Protokoll wäre, erklärten sie sich in allen Fällen bereit, die Antragsteller selbst zu den Passierscheinstellen zu schicken.
Wie schon an den Vortagen wurden in den Fällen, in denen Passierscheine verschrieben bzw. nicht korrekt ausgefüllt waren, von den Gruppenleitern unserer Angestellten neue Passierscheine ausgestellt. In der Regel betraf das Passierscheine solcher Personen, denen infolge Alter bzw. Gebrechlichkeit ein nochmaliges Aufsuchen der Passierscheinstellen nicht zumutbar war. Vonseiten der Westberliner Kräfte erfolgte gegen diese Maßnahmen keinerlei Einspruch mehr. Das gilt auch für die Passierscheinstellen, in denen die Westberliner Angestellten noch am 21.10. »protestiert« hatten.
Auch am 22. und 23.10. wurden von einer Reihe von Antragstellern wiederum Zoll- und Devisenerklärungen verlangt, da ihnen diese bei der Antragstellung nicht ausgehändigt worden seien (Charlottenburg und Kreuzberg/Urbanstraße). Zum Teil handelte es sich um solche Personen, die ihre Anträge durch Betriebsräte empfangen hatten. Die fehlenden Erklärungen wurden daraufhin auch wieder Westberliner Kräften zur Verteilung ausgehändigt.
Aus verschiedenen Passierscheinstellen wurde am 22.10. bekannt, dass nach wie vor verschiedene Gerüchte, teilweise unter Berufung auf westliche Presse- und Rundfunkmeldungen, verbreitet wurden. Im Mittelpunkt stand dabei, dass sogenannte Nachzügler in Kürze noch einmal Gelegenheit bekämen Anträge zu stellen (beispielsweise Wedding, Charlottenburg). In Steglitz wurde von Passierscheinabholern geäußert, es werde in Westberlin vielfach davon gesprochen, dass junge Westberliner Bürger, die in den letzten Wochen ihr 16. Lebensjahr vollendet hätten und noch keinen eigenen Personalausweis besäßen, damit rechnen müssten, in der Hauptstadt der DDR festgehalten zu werden. Weiterhin wurde das Gerücht verbreitet, dass bei Abholung der Passierscheine nachträglich noch der Besuchstag geändert werden könne (Kreuzberg/Lobeckstraße).
Tätigkeit und Verhalten der Westberliner Kräfte zeigten wie in den letzten Tagen eine gewisse Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit. Das drückte sich u. a. darin aus, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben oft nur oberflächlich oder gar nicht durchführten. Der gesamte Arbeitsablauf wurde mehr und mehr den DDR-Postangestellten überlassen. Auch die Erfassung der Passierscheinabholer auf Strichlisten wurde meist nur noch sehr lückenhaft durchgeführt.
Die meiste Zeit verwandten die Westberliner Kräfte nach wie vor auf die Befragung von Passierscheinabholern. Vorwiegend interessierten sie sich dabei für solche Personen, deren Anträge abgelehnt worden bzw. bei denen Änderungen oder Fehler auf den Passierscheinen zu verzeichnen waren. In einigen Fällen (beispielsweise Spandau und Kreuzberg/Urbanstraße) wurde zusätzlich eine unauffällige Registrierung aller die Passierscheinstelle verlassender Personen vorgenommen (auf Strichlisten, offensichtlich als Gegenkontrolle zu den bereits in der Passierscheinstelle geführten).
In der Passierscheinstelle Zehlendorf wurde am 22.10. am Ausgang ein Hinweis angebracht, wonach sich Personen, deren Passierschein abgelehnt oder abgeändert wurde, melden sollten. Zwei Senatsangestellte befragten diese Personen u. a., ob ein bestimmter Besuchstag abgelehnt worden sei, ob Wünsche nach einem bestimmten KPP nicht berücksichtigt wurden, ob der gewünschte Einreisetag genehmigt wurde, welche Fehler und Mängel ihr Passierschein enthalten habe und welche Meinung sie zum Passierscheinabkommen überhaupt hätten. Auffällig dabei war, dass diese Befragung nur durchgeführt wurde, wenn sich keiner der DDR-Angestellten in der Nähe befand. Auch in Tempelhof und Neukölln/Morusstraße wurde eine gründliche Befragung des genannten Personenkreises durchgeführt.
In Tempelhof wurden die Passierscheinabholer von Westberliner Kräften wiederum falsch informiert, indem ihnen entgegen mehrmaliger klarer Hinweise unserer Gruppenleiter erklärt wurde, auch für Ehepartner und Kinder seien beim Abholen der Passierscheine Vollmachten vorzulegen. In verschiedenen Passierscheinstellen wurden die Passierscheinabholer von den Westberliner Kräften darauf orientiert, sie könnten auf ihren Passierscheinen nachträglich Änderungen bezüglich Besuchstag und KPP vornehmen lassen.
Abgesehen von solchen einzelnen Störmaßnahmen war die Zusammenarbeit mit den Westberliner Kräften am 22. und 23.10. im Allgemeinen zufriedenstellend. In einigen Passierscheinstellen verhielten sich die Westberliner Kräfte allerdings äußerst disziplinlos. In Neukölln/Karl-Marx-Straße standen die meisten der Westberliner Angestellten am 22.10. im Abfertigungsraum herum und führten lange Unterhaltungen, die sich störend auf den Arbeitsablauf auswirkten. Gegen Abend stellten sie ihre Tätigkeit ganz ein. Auch in Tempelhof wurde von den Westberliner Kräften in den letzten Tagen die Arbeitszeit nicht mehr eingehalten. Einige nahmen Alkohol zu sich. In Reinickendorf/Thurgauer Straße sprachen die Westberliner Kräfte am 22.10. bereits bei der Ankunft der DDR-Angestellten dem Alkohol zu. Auch am 23.10. wurde von ihnen Alkohol getrunken. Am 23.10. mussten einige Ordner aus der Passierscheinstelle verwiesen werden, weil sie in ihrer Trunkenheit die Passierscheinabholer anpöbelten. Auch in Reinickendorf/Scharnweber Straße waren am Nachmittag des 23.10. fast alle Westberliner Angestellten einschließlich des Senatsverantwortlichen betrunken.