Verlauf des 2. Passierscheinabkommens (2)
3. Oktober 1964
2. Bericht Nr. 842/64 über den Verlauf des 2. Passierscheinabkommens
Am 2.10.1964 wurden in den 16 Passierscheinstellen in Westberlin 138 625 Antragsformulare ausgegeben, davon 69 450 für den 1. und 69 175 für den 2. Besuchszeitraum.1 Damit wurden am 1. und 2.10. insgesamt 437 450 Antragsformulare ausgegeben, davon 219 225 für den 1. und 218 225 für den 2. Besuchszeitraum.
Am 2.10. wurden 83 575 Anträge gestellt, und zwar 42 086 für den 1. Besuchszeitraum und 41 489 für den 2. Besuchszeitraum. Damit wurden am 1.10. und 2.10.
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für den 1. Besuchszeitraum: 72 490 Anträge,
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für den 2. Besuchszeitraum 73 398 Anträge,
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also bisher insgesamt 145 888 Anträge gestellt.
Auf den am 2.10. gestellten Anträgen sind
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73 720 Personen (mit 8 840 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,
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136 458 Personen (mit 15 286 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,
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also insgesamt 210 178 Personen (mit 24 126 Kfz)
erfasst.
Damit sind auf den am 1. und 2.10. gestellten Anträgen
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130 697 Personen (mit 15 812 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,
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240 966 Personen (mit 27 323 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,
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also insgesamt 371 663 Personen (mit 43 135 Kfz)
erfasst. (Bei den Gesamtzahlen sind die Zahlen vom 1.10. geringfügig berichtigt worden.)
In den einzelnen Passierscheinstellen wurden gestern im Durchschnitt jeweils 3 600 Anträge angenommen.
Die bisher zu erkennenden Schwerpunkte der beabsichtigten Besuchstage sind
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für den 1. Besuchszeitraum: Sonnabend, 31.10., Sonntag, 1.11., Sonnabend, 7.11., Sonntag, 8.11.
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für den 2. Besuchszeitraum: 1. und 2. Weihnachtsfeiertag, Silvester und Sonnabend, 2.1.1965.
Der Transport unserer Postangestellten nach Westberlin, Rücktransport sowie Öffnung und Schließung der Passierscheinstellen am 2.10. wiesen keine Veränderungen zum Vortage auf und verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Der Arbeitsablauf in den Passierscheinstellen war im Allgemeinen zügig und reibungslos. Es kam zu keinen außergewöhnlichen Wartezeiten.
Es ist jedoch einzuschätzen, dass in verschiedenen Passierscheinstellen die Abfertigung noch zügiger vonstattengehen könnte, wenn (wie beispielweise in Tiergarten) der Besucherstrom durch die Westberliner Ordnungskräfte noch besser geleitet würde. So wurden Antragsteller, deren Namen nicht den aufgerufenen Anfangsbuchstaben hatten, auch dann nicht vorgelassen, als ihre Abfertigung durchaus möglich gewesen wäre. In Schöneberg mussten die Ordnungskräfte erst darauf aufmerksam gemacht werden, die Antragsteller zuerst zur Vorkontrolle zu leiten.
Für Samstag, 3.10., wird allgemein mit einem größeren Arbeitsanfall gerechnet (sogenannte Nachzüglerabfertigung ohne bestimmte Anfangsbuchstaben, arbeitsfreier Tag). In der Passierscheinstelle Zehlendorf wurde am zweiten Tag der Beantragung festgestellt, dass einige Westberliner Bürger, die bereits am 1.10. Anträge abgegeben hatten, noch einmal erschienen und weitere Besuchstermine zu erhalten versuchten.
Die Schreibmöglichkeiten für die Antragsteller wurden in einigen Passierscheinstellen verbessert (Spandau). Der Spandauer Bezirksbürgermeister überzeugte sich während eines kurzen Besuchs selbst davon. In anderen Stellen reichen sie noch nicht aus (Kreuzberg/Lobeckstraße). Die Einsatzleiter der Westberliner Kräfte wurden in diesen Fällen erneut darauf aufmerksam gemacht. Lobend sprach sich der stellvertretende Bezirksbürgermeister von Neukölln während eines kurzen Besuchs über die Tätigkeit der Passierscheinstelle Morusstraße aus.
Einsatzbereitschaft, Arbeitsmoral und Disziplin aller eingesetzten Postangestellten der DDR waren gut und zeigten sich in einer weiteren Erhöhung der Arbeitsintensität. Ihre Tätigkeit fand erneut die Anerkennung der Westberliner Antragsteller. Es wurde wiederum in mehreren Passierscheinstellen festgestellt, dass sich die Antragsteller mit der Bitte um Auskünfte vorzugsweise an unsere Angestellten wandten. (Über Fragen bezüglich des Geldumtauschs wurde dabei nichts bekannt.)
Es wurde wieder eine Reihe von Kontaktaufnahmeversuchen seitens der Westberliner Ordnungs- und Hilfskräfte festgestellt. Im Wesentlichen dienten Fragen der Tätigkeit der Post als Anknüpfungspunkt. In einem Falle bemühten sich die den Rücktransport begleitenden Westberliner Kriminalbeamten vornehmlich um Auskunft über Fahrziel, Unterbringung und persönliche Verhältnisse unserer Angestellten. Angebote besonders von Zigaretten (auch durch Antragsteller), Kaffee und warmen Mittagessen wurden in fast allen Passierscheinstellen gemacht und generell zurückgewiesen.
Arbeitsintensität, Arbeitsmoral und Qualifikation der Westberliner Hilfskräfte waren unterschiedlich. Teilweise zeigte sich besonders in der Vorkontrolle eine gewisse Verbesserung im Verhältnis zum Vortage.
Es wurde aber auch wieder in mehreren Fällen eine mangelhafte Vorkontrolle der Anträge festgestellt. Dabei war (Kreuzberg/Lobeckstraße, Reinickendorf/Thurgauer Straße) die Tendenz bei den Westberliner Hilfskräften zu erkennen, bewusst falsche Anträge (auf Besuche bei nicht im Protokoll vorgesehenen Verwandten) weiterzuleiten und die Antragsteller zu ermuntern, es damit bei unseren Angestellten zumindest zu versuchen. Weiterhin wurden Anträge durchgelassen, in denen die Besuchszeiträume nicht berücksichtigt bzw. zwei Feiertage im zweiten Zeitraum angegeben waren. Besonders in Tiergarten wurden viele lückenhaft ausgefüllte Antragsformulare festgestellt. In Schöneberg mussten die Westberliner Hilfskräfte erst ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden, auch die Zollerklärungen mit auszugeben.
Teilweise musste von den Westberliner Einsatzleitern gefordert werden, ihre Kräfte, die sich öfter vom Arbeitsplatz entfernten, zurückzuholen (Wedding, Neukölln). Der in Zehlendorf eingesetzte Westberliner Polizeihauptkommissar [Name 1] äußerte sich selbst negativ über die mangelhafte Unterweisung der Westberliner Kräfte. Es ist festzustellen, dass besonders die Jüngeren unter ihnen, bei denen es sich nach verschiedenen Einschätzungen nicht um Postbeamte handelt, zum Teil die größte Arbeitsunlust zeigen.
Insgesamt ist einzuschätzen, dass die Zusammenarbeit mit den Westberliner Kräften im Wesentlichen normal verlief. Alle auftauchenden Fragen wurden sachlich geregelt. Es ist aber auch insgesamt festzustellen, dass eine noch schnellere Abfertigung noch größeren Umfangs bei einer qualitativ besseren Arbeit der Westberliner Hilfskräfte möglich wäre.
Die Westberliner Kräfte führten wiederum Strichlisten. Mehrfach verlangte Auskünfte über einen Vergleich mit unseren Angaben wurden nicht erteilt.
Es wurde in mehreren Passierscheinstellen festgestellt (Reinickendorf/Thurgauer Straße, Neukölln/Morusstraße), dass die Westberliner Hilfskräfte zusätzlich Anträge anforderten, obwohl sie noch über genügend Anträge verfügten. In Neukölln verbreitete der Verantwortliche des Bezirksamtes für die Passierscheinstelle, dass auf »höherer Ebene« Verhandlungen über eine Erhöhung der Ausgabezahl der Anträge stattgefunden hätten.
Zugleich war mehrfach zu bemerken, dass die Westberliner Hilfskräfte die Antragsformulare wahllos und ohne System zum Teil auch bereits vor den Passierscheinstellen verteilten bzw. auf Anforderung zwei bis drei Anträge mit der Begründung ausgaben, einer davon werde ohnehin verschrieben (Neukölln/Karl-Marx-Straße, Tempelhof, Wedding/Müllerstraße). Kontrollen ergaben in Zehlendorf, dass sich 1 500 bis 2 000 verschriebene Anträge in den Papierkörben befanden.
Am zweiten Tag der Antragstellung wurden an Vertreter von Betrieben und Institutionen Anträge ausgegeben bzw. Sammelbestellungen für Anträge entgegengenommen. Dabei wurde teilweise mit den Vertretern dieser Betriebe und Institutionen vereinbart, dass die antragstellenden Belegschaftsmitglieder geschlossen zu bestimmten Zeitpunkten ihre Anträge abgeben (Wedding).
Die Betriebsbestellungen nahmen einen so großen Umfang an, dass in einigen Fällen (Wedding, Charlottenburg) neue Termine für die Abholung der Anträge vereinbart werden mussten. Alle Einzelantragsteller wurden abgefertigt.
Direkte Störtätigkeit von Westberliner Seite wurde auch am zweiten Tag der Antragstellung nicht festgestellt. In vier Passierscheinstellen tauchte, unter Berufung auf angebliche westliche Presse- bzw. Rundfunkmeldungen, das Gerücht auf, die Antragsteller könnten die Grenzübergangsstellen selbst wählen, wodurch zusätzliche Auskunftserteilung und Aufklärung nötig wurde.
Zur Beeinträchtigung der Arbeit in der Passierscheinstelle Steglitz führte der Versuch eines Kamerateams des »SFB«, unsere Postangestellten einzeln zu filmen. Sowohl dagegen als auch gegen die Anbringung eines Mikrofons auf einem Arbeitstisch wurde Verwahrung eingelegt. Das Mikrofon wurde daraufhin entfernt. Westliche Bildreporter tauchten auch wieder in mehreren anderen Passierscheinstellen auf.
In einigen Passierscheinstellen wurden westliche Presseorgane ausgelegt, teilweise direkt auf den Schaltertischen. Von unserer Seite wurde ihre Entfernung verlangt.
In Zehlendorf wurde bekannt, dass sich der bewaffnete Westberliner Kriminalbeamte [Name 2] ständig im Rücken unserer Angestellten an ihren Arbeitstischen aufzuhalten bemühte und sich fortlaufend Notizen machte.
In der Dauerpassierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten Berlin-Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 196, war am 2.10. der Andrang merklich zurückgegangen. Es kam zu keinen größeren Menschenansammlungen mehr, sodass im Laufe des Nachmittags sogar ein Schalter geschlossen werden konnte. Die Arbeitsatmosphäre war ruhiger und die Abfertigung der Antragsteller erfolgte zügiger. Die Verteilung der Merkblätter der DDR durch die DDR-Postangestellten bzw. durch Westberliner Kräfte hat wesentlich dazu beigetragen, bei Teilen der Westberliner Bevölkerung Klarheit über Einreisemöglichkeiten zu schaffen.
In dieser Passierscheinstelle wurden um 2.10. 342 Anträge (davon 82 für die Einreise mit Pkw) für 573 Personen (191 Männer, 294 Frauen und 88 Kinder) entgegengenommen. Damit beläuft sich die Gesamtzahl der in dieser Passierscheinstelle bisher angenommenen Anträge auf 570 und 598 Personen.
Die Mehrzahl der Begründungen waren erneut lebensgefährliche Erkrankungen (166) und Todesfälle (107) in der Hauptstadt der DDR. In 29 Fällen wurde als Begründung Eheschließung, in 25 Fällen Geburten und in 13 Fällen die Beantragung der Familienzusammenführung, sonstige Gründe in zwei Fällen angegeben.
In der Dauerpassierscheinstelle wurden am 2.10. 120 Passierscheine sowie erneut fünf Passierscheine für besonders dringende Fälle (Todesfälle), die während der Mittagspause in der Hauptstadt der DDR ausgestellt wurden, ausgegeben.
Mit Passierscheinen für dringende Fälle reisten am 2.10. 81 Westberliner Bürger in die Hauptstadt der DDR ein. In drei Fällen wurde die wegen lebensgefährlichen Erkrankungen von Verwandten in der Hauptstadt der DDR beantragte Verlängerung der Passierscheine um je einen Tag genehmigt.
Obwohl am 2.10. festgestellt werden konnte, dass bei den Westberliner Bürgern größere Klarheit über die Bedingungen für die Einreise in dringenden Fällen vorhanden ist, mussten 138 Anträge zurückgewiesen werden, weil die angegebenen Gründe nicht den getroffenen Festlegungen entsprachen. Mehrfach wurde die Beantragung der Familienzusammenführung als Grund angegeben, obwohl es sich z. B. um Geschwister usw., die in beiden Teilen Berlins wohnen, handelt. In anderen Fällen wurde festgestellt, dass der angegebene Grund, lebensgefährlich Erkrankte zu besuchen, nicht den Tatsachen entsprach. Auch am 2.10. war ein Teil der Antragsteller nicht in der Lage, beglaubigte Dokumente vorzulegen.
Die Unterstützung durch die in der Dauerpassierscheinstelle eingesetzten Westberliner Kräfte ließ zwar noch zu wünschen übrig, war am 2.10. aber schon bedeutend besser als am Vortag. Das zeigte sich in einer größeren Hilfestellung beim Ausfüllen der Anträge und in einer besseren Beratung der Antragsteller. Der Gruppenleiter der DDR-Postangestellten hatte den verantwortlichen Leiter der Westkräfte vorher dazu angehalten. Desinformationen seitens der Westkräfte oder Diskriminierungen wurden am 2.10. in dieser Passierscheinstelle nicht festgestellt. Bis auf eine Ausnahme traten – im Gegensatz zum 1. Tag – Westreporter usw. nicht störend in Erscheinung.
In einem Fall versuchte eine Westberliner Bürgerin mit der Begründung, dass sie ihr 40-jähriges Parteijubiläum begehe, einen dringenden Passierscheinantrag zu stellen. Aufgrund des Verhaltens der Westkräfte, besonders des Leiters der Westberliner Landespostdirektion [Name 3], war zu erkennen, dass es sich hier offensichtlich um ein abgekartetes Spiel gehandelt hat. Die Westkräfte hatten sich bereits vor der Antragstellung so aufgestellt, dass sie den Vorgang genau beobachten konnten.
Von der Tätigkeit einer der sogenannten Beratungsstellen des Westberliner Senats für »politisch Gefährdete« (Wilmersdorf, Brabanter Straße 5) wurde bekannt, dass Personen, denen keine ausreichende Antwort gegeben werden konnte, an das Westberliner Polizeipräsidium/Politische Polizei verwiesen wurden. Auskunftsuchende Westberliner wurden ausführlich über ihre damaligen Verhältnisse zum Zeitpunkt der »Republikflucht«, den Grad ihrer »Flüchtlingsanerkennung«, über Briefverbindungen und Päckchenversand in die DDR usw. befragt.