Verlauf des 2. Passierscheinabkommens (23)
9. November 1964
23. Bericht Nr. 994/64 über den Verlauf des 2. Passierscheinabkommens
Der Besucherverkehr1 über die KPP an der Staatsgrenze in Berlin verlief am 7. und 8.11.1964 wie folgt:
[Besuchsverkehr] | 7.11. | 8.11. |
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Aufgrund der ausgegebenen Passierscheine wurden erwartet | 109 113 | 112 616 |
eingereist sind | 102 535 (93,9 %) | 106 080 (94,2 %) |
mit Kfz | 8 060 | 8 187 |
Davon reisten über die einzelnen KPP ein:
[Übergang] | 7.11 | 8.11. |
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Bahnhof Friedrichstraße | 56 223 | 57 911 |
Chausseestraße | 8 728 | 9 642 |
Invalidenstraße | 8 108 | 7 677 |
Oberbaumbrücke | 13 539 | 14 040 |
Sonnenallee | 15 937 | 16 810 |
Damit reisten seit dem 30.10. insgesamt 515 938 Westberliner Bürger mit Passierscheinen in die Hauptstadt der DDR ein. Außerdem reisten mit Passierscheinen für dringende Familienangelegenheiten 84 Personen am 7.11. und 43 Personen am 8.11. ein. Daneben reisten am 7.11. 12 576 und am 8.11. 10 415 Personen aus Westdeutschland und dem nichtsozialistischen Ausland in die Hauptstadt der DDR ein.
Die Ausreise von DDR-Bürgern im Rentenalter2 belief sich am 7.11. auf 9 821 und am 8.11. auf 6 778 Personen. Damit haben seit dem 1.11.1964 insgesamt 49 043 DDR- Bürger im Rentenalter die Staatsgrenze nach Westberlin passiert.
Für die nächsten Tage ist aufgrund der ausgegebenen Passierscheine mit folgenden Einreisezahlen Westberliner Bürger zu rechnen:
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9.11.: 23 322,
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10.11.: 14 290,
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11.11.: 11 371,
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12.11.: 12 627.
Trotz des größeren Andrangs wurde der Reiseverkehr auch am 7. und 8.11. durch Gewährleistung des Einsatzes aller Kräfte und der Öffnung aller Abfertigungsstellen im Wesentlichen zügig und reibungslos abgewickelt.3 Zu verhältnismäßig größeren Wartezeiten (bis zu 30 Minuten) kam es in den Vormittagsstunden des 7.11. am KPP Friedrichstraße und, verursacht durch die Abfertigung einer größeren Anzahl von Bussen, am KPP Chausseestraße (bis zu 40 Minuten). Am 8.11. traten am KPP Friedrichstraße bis zu 45 Minuten und an anderen KPP bis zu 20 Minuten und 30 Minuten Wartezeiten auf.
Es kam zu keinen besonderen Vorkommnissen.4 Lediglich ein Westberliner Bürger trat bei der Ausreise am 8.11. beleidigend gegen Zollkontrolleure der DDR auf, weil sie seinen Verwandten aus der DDR zurückhielten, der ihn angeblich bis unmittelbar zum Grenzübergang hatte begleiten wollen.
Schwerpunkt der Einreise war wiederum die Zeit zwischen 7.00 und 11.00 Uhr (am 8.11. besonders zwischen 9.00 und 11.00 Uhr). Zwischen 7.00 und 11.00 Uhr wurden am 7.11. 71 % und am 8.11. 77 % der Gesamtzahl der Einreisenden abgefertigt (am 8.11. allein zwischen 9.00 und 10.00 Uhr 23 430 Personen und zwischen 7.00 und 8.00 Uhr 1 606 Kfz). Der Schwerpunkt der Ausreise lag wiederum zwischen 21.00 und 24.00 Uhr (an beiden Tagen ca. 75 %).
Als Geschenke wurden die gleichen Warenarten wie an den Vortagen mitgeführt. Es erfolgten am 7.11. vier und am 8.11. fünf Beschlagnahmungen (neben MDN besonders Medikamente, Blattgold und neuerdings auch Fernsehzubehör und Konverter5). Bei der Ausreise wurden in einigen Fällen Textilien und auch wiederum entgegen den gesetzlichen Bestimmungen mitgeführte Fleisch- und Wurstwaren beschlagnahmt. In 943 Fällen wurden Zeitungen, Zeitschriften und Schundliteratur eingezogen. In der Einreise waren 371 und bei der Ausreise 203 Rückweisungen im Wesentlichen wegen der gleichen Gründe wie an den Vortagen zu verzeichnen.
Zu besonderen Vorkommnissen kam es nicht.6 (Am KPP Invalidenstraße wurden zwei Westberliner Bürger zurückgewiesen, weil sie sich weigerten, Abzeichen mit der Aufschrift »Freies Europa« zu entfernen.)
Die Einsatzkräfte der Westberliner Polizei auf der westlichen Seite der KPP wurden am 7. und 8.11. verstärkt. In einem Falle versuchten sie, am 7.11. bei der Schließung des KPP Invalidenstraße nach Beendigung der Ausreise unsere Posten mit beleidigenden Äußerungen über unsere Staatsgrenze zu provozieren.7
Am KPP Sonnenallee traten am 8.11. zwei Westberliner Bürger, die nicht einreisen wollten, provokatorisch gegen die Berliner Staatsgrenze auf und versuchten, Gesundheitshelfer des DRK zum Übertritt nach Westberlin zu bewegen. Sie wurden von Angehörigen der Westberliner Polizei zurückgewiesen.
Am 9.11. wurden gegen 1.00 Uhr auf dem Bahnsteig C des Bahnhofes Friedrichstraße 51 gegen die Berliner Staatsgrenze der DDR und das Passierscheinabkommen gerichtete Hetzflugblätter sichergestellt. Auf dem Ausreisebahnsteig des Bahnhofs für Westberliner Bürger wurden keine Exemplare dieser Flugblätter gefunden. Auch Kontrollen auf anderen Bahnhöfen blieben ergebnislos. Es wurde nicht festgestellt, dass Westberliner Bürger diese Flugblätter bemerkten. (Weitere Untersuchungsmaßnahmen wurden eingeleitet.)
Auf der westlichen Seite von verschiedenen KPP hielten sich am 7. und 8.11. Westberliner Reporter auf und filmten, zum Teil mit Unterstützung der Westberliner Polizei, die Ausreise von Rentnern aus der DDR sowie den verstärkten Andrang bei der Einreise der Westberliner Bürger.
Die korrekte und zügige Abfertigung auch am 7. und 8.11. wurde von verschiedenen Westberliner Bürgern lobend anerkannt. Als besonders vorbildlich wurde in mehreren Fällen der Hilfsdienst des DRK für ältere und gebrechliche Personen bezeichnet und, im Gegensatz dazu, erwähnt, dass diesen Personen auf der Westberliner Seite bei Weitem nicht eine derartige Hilfe zuteilwürde.
Am 7.11. reisten der Westberliner Senatspressechef Bahr,8 seine Frau und seine Tochter über den KPP Sonnenallee ein. Den Mindestumtausch9 nahmen sie nicht vor.
Am 7.11. wurden fünf und am 8.11. 24 (14 davon allein in Waldesruh) Westberliner Bürger zurückgewiesen, die versuchten, in die Bezirke Potsdam bzw. Frankfurt/O. zu gelangen.
In der Hauptstadt der DDR verstarben am 7.11. (bzw. 6.11.) zwei und am 8.11. ebenfalls zwei Westberliner Bürger. Es handelt sich um Günter Brosse, geboren [Tag, Monat] 1912, wohnhaft Berlin 44, [Straße, Nr.] (Herzinfarkt) [und] um Erich Kalisch, geboren [Tag, Monat] 1895, wohnhaft Tempelhof, [Straße, Nr.] (verstorben am 6.11.; der Passierschein der Ehefrau wurde für den 7.11. verlängert) und Anna Rogge, geboren [Tag, Monat] 1907, wohnhaft Berlin SW 23, [Straße, Nr.] (ebenfalls Herzschlag).
Am 8.11. wurde gegen 13.50 Uhr im Stadtbezirk Prenzlauer Berg ein Westberliner Pkw in einen schweren Verkehrsunfall mit einem Rettungswagen des DRK verwickelt, an dem der Fahrer des Rettungswagens die Schuld trug. Die Insassin des Westberliner Pkw und Ehefrau des Fahrers, Stanislawa Schlipp (geboren [Tag, Monat] 1903, wohnhaft Berlin-Steglitz, [Straße, Nr.]), musste mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden, an denen sie verstarb.
Geldumtausch
Am 7.11.1964 tauschten 33 523 Westberliner Bürger (32,7 % der Einreisenden) 100 525 DM/West, und am 8.11.1964 tauschten 34 667 Westberliner Bürger (32,6 %) 104 029 DM/West im Mindestumtausch. Damit haben seit dem 30.10.1964 insgesamt 177 923 Westberliner Bürger 533 992 DM/West umgetauscht.
Der verstärkte Andrang wirkte sich trotz aller Bemühungen unserer Finanzkontrolleure rückläufig auf die Durchführung des Mindestumtauschs aus. In den zeitweiligen Schlangen der Wartenden brachten oftmals mehrere Personen hintereinander die gleiche Begründung für seine Ablehnung vor.
Es wurden an beiden Einreisetagen wiederum mehrere negative Äußerungen Westberliner Bürger zum Mindestumtausch bekannt. So wurde besonders zum Ausdruck gebracht, dass die Finanzkontrolleure angeblich »eine Art Druck« ausüben würden, um den Mindestumtausch zu erzwingen. Teilweise wurde er von Westberliner Bürgern in kategorischer Art und Weise abgelehnt.
Nach Angaben eines Helfers des West-DRK sei in seiner Dienststelle die Weisung erteilt worden, bei Besuchsreisen in die Hauptstadt der DDR nur 2,90 DM/West mitzunehmen, um den Mindestumtausch umgehen zu können.
Es wurde weiterhin festgestellt, dass in den Westberliner Wechselstuben Hochbetrieb herrscht. Dabei werden nagelneue Scheine der MDN ausgegeben.