Verlauf des 2. Passierscheinabkommens (7)
10. Oktober 1964
7. Bericht Nr. 876/64 über den Verlauf des 2. Passierscheinabkommens
Am 9.10.1964 wurden in den 16 Passierscheinstellen in Westberlin 62 250 Antragsformulare (insgesamt 968 625) ausgegeben, davon 31 000 (insgesamt 483 600) für den 1. und 31 250 (insgesamt 485 025) für den 2. Besuchszeitraum.1
Am 9.10.1964 wurden 74 644 Anträge (damit insgesamt 537 459) gestellt, und zwar für den 1. Besuchszeitraum 36 872 (damit insgesamt 268 901) und für den 2. Besuchszeitraum 37 772 (damit insgesamt 268 558) Anträge.
Auf den am 9.10. gestellten Anträgen sind
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63 932 Personen (mit 5 679 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,
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116 397 Personen (mit 12 177 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,
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also insgesamt 180 329 Personen (mit 17 856 Kfz)
erfasst.
Damit sind auf den vom 1. bis 9.10.1964 gestellten Anträgen
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482 964 Personen (mit 52 323 Kfz) für den 1. Besuchszeitraum,
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865 184 Personen (mit 94 980 Kfz) für den 2. Besuchszeitraum,
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also insgesamt 1 348 148 Personen (mit 147 303 Kfz)
erfasst.
In den einzelnen Passierscheinstellen wurden am 9.10. mit durchschnittlich 3 000 bis 6 000 Anträgen bedeutend weniger als an den Vortagen entgegengenommen.
Die Konzentrierung auf die bekannten Schwerpunktbesuchstage führte bereits dazu, dass nach den bis 9.10.1964 abgegebenen Anträgen je über 100 000 Personen am 8. und 9.11.1964 im 1. Besuchszeitraum und am 26.12.1964 und 2.1.1965 im 2. Besuchszeitraum die Hauptstadt der DDR besuchen wollen.
Die einzelnen Passierscheinstellen waren fast durchweg voll ausgelastet. Teilweise traten längere Wartezeiten auf, die jedoch weniger auf zu großen Andrang von Antragstellern als auf die teilweise längeren Diskussionen zurückzuführen waren, die sich mit vielen Antragstellern wegen der Veränderung ihres Besuchstages ergaben. Mit Ausnahme von je 100 Antragstellern auf den Passierscheinstellen Spandau sowie Charlottenburg und einer Sammelabfertigung des Betriebsrates der BEWAG (ca. 200 Anträge) in der Passierscheinstelle Wedding/Müllerstraße konnten alle Antragsteller abgefertigt werden.
Wie bereits am 8.10. spielte die Frage der bereits erreichten Limits für bestimmte Einreisetage bzw. für Kfz in allen Passierscheinstellen eine Rolle. Obwohl sowohl die Westberliner Antragsteller als auch die Westberliner Verantwortlichen durch unsere Gruppenleiter sehr ausführlich und in verständlicher Form aufmerksam gemacht wurden, dass verschiedene Besuchstage bereits weitgehend ausgelastet seien, gab es daraufhin unterschiedliche Reaktionen.
Während ein Teil der Westberliner Verantwortlichen die Vorschläge unserer Gruppenleiter aufgriff und die Antragsteller in geeigneter Form auf die Sachlage orientierte (z. B. Lautsprecherdurchsagen, Anschläge), akzeptierten andere Westberliner Verantwortliche diese Vorschläge sehr wenig oder gar nicht, wobei sie sich stets darauf beriefen, dass eine derartige Regelung im Passierscheinabkommen nicht vorgesehen sei. In einigen Passierscheinstellen wurden die Hinweise unserer Gruppenleiter von den Verantwortlichen der Westberliner Kräfte zwar weitergegeben, dabei jedoch versucht, durch ein striktes Verbot für bestimmte Besuchstage jeder Diskussion aus dem Wege zu gehen. Teilweise mussten auf Veranlassung unserer Gruppenleiter auch Anschlagtafeln entsprechend berichtigt werden.
In verschiedenen Passierscheinstellen (z. B. Wedding/Gotenburger Straße, Neukölln/Karl-Marx-Straße) war zu verzeichnen, dass die eingesetzten Westberliner Kräfte ziemlich lustlos arbeiteten, nachdem ihnen nochmals die Notwendigkeit erläutert worden war, bereits bei der Vorkontrolle der Anträge auf bestimmte bisher weniger ausgelastete Besuchstermine zu orientieren. Teilweise wurden die Antragsteller an unsere Mitarbeiter verwiesen mit der Bemerkung, dass das nicht ihre Sache sei.
Verschiedentlich wurde von den Westberliner Kräften auch versucht, die Passierscheinstellen gegeneinander auszuspielen, indem erklärt wurde, in den anderen Stellen sei von den Beschränkungen nichts bekannt. (Besonders bei den beiden Passierscheinstellen in Wedding der Fall.)
In der Passierscheinstelle Neukölln/Karl-Marx-Straße wurde bei entsprechenden Lautsprecherdurchsagen durch Westberliner Kräfte lediglich zum Ausdruck gebracht, dass an den bereits weitgehend ausgelasteten Besuchstagen mit längeren Wartezeiten zu rechnen sei. Auf Ausweichmöglichkeiten wurde nicht verwiesen.
Die Antragsteller selbst zeigten jedoch in ihrer überwiegenden Mehrheit Verständnis, gaben andere Besuchstage an oder verzichteten auf die Einreise mit Kfz. Auch die Betriebsräte, die Sammelanträge abgaben, änderten zum größten Teil selbstständig den Besuchstag um. In einigen Fällen wurden Anträge zurückgegeben, ein Teil der Antragsteller beharrte jedoch trotz längerer Gespräche mit unseren Kräften auf den angegebenen Besuchstag (z. B. Neukölln/Karl-Marx-Straße ca. 30 %, Neukölln/Morusstraße 90 %).
Als häufigstes Argument tauchte auf, dass an den betreffenden Tagen bestimmte Feierlichkeiten mit mehreren Verwandten vorgesehen seien oder dass wochentags aus beruflichen Gründen keine Besuche durchgeführt werden könnten. Letzteres trifft besonders auf solche Antragsteller zu, die Geschäfte besitzen oder im Schichtdienst (z. B. auch Deutsche Reichsbahn) stehen. Dabei trat auch wiederholt der Vorwand auf, dass man sich in Westberlin für einen Wochentag wohl freimachen könne, aber die Verwandten in der DDR hätten diese Möglichkeit nicht.
Die Betriebsrätin vom Bahnhof Charlottenburg erklärte z. B. in der Passierscheinstelle Charlottenburg, dass sich die Mitarbeiter des Bahnhofes in Übereinstimmung mit der notwendigen Schichtauslastung bereits auf freie Tage eingerichtet hätten und eine Umdisponierung nicht mehr möglich sei, ohne dass Schwierigkeiten im Dienstbetrieb eintreten würden.
Einmischungen seitens der Westberliner Kräfte in die Tätigkeit der DDR-Postangestellten gab es nicht. In einigen Passierscheinstellen (z. B. Tempelhof) ließen die Westberliner Kräfte wiederum Unstimmigkeiten bzw. Fehler beim Ausfüllen der Anträge unbeachtet.
Der Westberliner Bürgermeister Albertz2 suchte die Passierscheinstelle Tempelhof auf. Er erkundigte sich jedoch lediglich bei den Westberliner Kräften, ob es Schwierigkeiten im Arbeitsablauf gäbe. Mit Postangestellten der DDR oder Antragstellern sprach Albertz nicht.
In den meisten Passierscheinstellen tauchten wiederum Fotografen bzw. Fotoreporter auf, die die DDR-Postangestellten fotografierten. Zu Störungen des Arbeitsablaufs durch diese Personen kam es nicht.
In der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten in Berlin-Wilmersdorf wurden am 9.10.1964 120 Anträge (davon 17 für die Einreise mit Kfz) für 199 Personen (davon 74 Männer, 90 Frauen und 35 Kinder) angenommen. Nach Gründen untergliedert waren es
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36 wegen Todesfällen,
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33 wegen lebensgefährlicher Erkrankungen,
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25 wegen Geburten,
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14 wegen Familienzusammenführung
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und zwölf wegen Eheschließungen.
Damit wurden seit dem 1.10.1964 in dieser Passierscheinstelle 1 393 Anträge für 2 203 Personen entgegengenommen.
Am 9.10.1964 wurden ferner 116 Passierscheine ausgegeben.
44 Antragsteller mussten aus den bekannten Gründen (Einreise in die Bezirke der DDR; keine entsprechenden Dokumente) abgewiesen werden.
Die Arbeit in der Passierscheinstelle ging reibungslos vonstatten. Es gab keinerlei Provokationen oder Vorkommnisse.
In Auswertung der bisher gesammelten Erfahrungen bei der Antragstellung in der Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten zeigte sich, dass von Westberliner Antragstellern bereits mehrmalig Anträge gestellt wurden. Das trifft hauptsächlich für die Begründungen: schwere Erkrankungen und Todesfälle zu. Eine Überprüfung der am 8.10.1964 entgegengenommenen Anträge ergab z. B., dass elf Anträge zum 2., 3 oder 4. Mal gestellt wurden. Während eine wiederholte Antragstellung z. B. im ersten Falle wegen schwerer Erkrankung und im zweiten Falle wegen Todes (oder Tod – Beerdigung) motiviert ist, sind noch öfter gestellte Anträge nicht gerechtfertigt.
Ferner wurde festgestellt, dass bei den mit der Begründung Familienzusammenführung durchgeführten Einreisen oft lediglich ein »besuchen« der jeweiligen Partner erfolgte. Z. B. geschieht die Beantragung von Familienzusammenführung bei den Räten der Stadtbezirke nur in den wenigsten Fällen bzw. hat ein großer Teil der betreffenden Personen im demokratischen Berlin bereits seit längerem Anträge auf Übersiedlung nach Westberlin gestellt, die abgelehnt worden waren.