Versenden von gefälschten Telegrammen an den Staatsratsvorsitzenden
20. April 1964
Einzelinformation Nr. 335/64 über das Versenden von gefälschten Telegrammen an den Staatsratsvorsitzenden Genossen Walter Ulbricht durch den Bäckermeister [Vorname Name], wohnhaft in Staupitz, Kreis Finsterwalde
In der Zeit vom 10. bis 17. April 1964 wurden an den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Genossen Walter Ulbricht, aus Finsterwalde bzw. Cottbus insgesamt vier Telegramme abgesandt, deren Inhalt als gefälscht und irreführend eingeschätzt werden muss. Ein solches Telegramm vom 16.4.1964 konnte infolge der Aufmerksamkeit von Mitarbeitern des Haupttelegrafenamtes Berlin angehalten und dem MfS übergeben werden. Auch die zwei weiteren am 16. und 17.4.1964 aus Finsterwalde abgesandten gefälschten Telegramme wurden nicht befördert und sichergestellt. Die Telegramme sind ziemlich umfangreich und umfassen bis über 200 Worte. Der Inhalt dieser Telegramme ist darauf abgestimmt, Verwirrung zu stiften.
In dem Telegramm vom 16.4.1964 »verhängt« z. B. der Verfasser als »Bevollmächtigter Generalleutnant der Warschauer Vertragspartner« – wie er sich selbst bezeichnet – die Mobilmachung sämtlicher Warschauer Vertragspartner und trifft »Anordnungen« über einzelne seiner Meinung nach damit notwendige Maßnahmen. (Zum Beispiel Besetzung sämtlicher Sender, Funkstationen und Elektrizitätswerke, Verstärkung der Staatsgrenze West und der Staatsgrenze Berlin durch sowjetische Einheiten, Kontrolle der Autobahn und des Luftkorridors, Inkrafttreten des Militärmobilmachungsgesetzes u. a.) Das Telegramm ist unterschrieben mit »Bevollmächtigter Generalleutnant der Warschauer Vertragspartner«. In einem weiteren Telegramm fordert der Verfasser den Genossen Walter Ulbricht auf, Marschall Malinowski1 Grüße zu übermitteln. Der Verfasser bezeichnet sich darin als »alter Kommunist« und »unbekannter General«, der »gemeinsam mit den Generälen in der DDR den Sozialismus aufbaut«; an seiner Seite stünden »alle Frauen und Kinder der Republik«. Ferner fordert der Verfasser in einem weiteren Telegramm an den Genossen Walter Ulbricht, ihm einen Wagen mit Begleitung zu senden.
Ein weiteres Telegramm an den Genossen Walter Ulbricht beinhaltet, der Verfasser würde als »schwarzer Stern im Weltenraum« von sowjetischen Kosmonauten gefunden und »enthüllt« worden sein. In einem Telegramm an den Genossen Chruschtschow zu dessen Geburtstag mit Geburtstagsglückwünschen fordert der Verfasser ein baldiges persönliches Wiedersehen in Berlin.
Als Verfasser dieser Telegramme wurde durch das MfS der [Name, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1922 in Staupitz, Beruf: Bäckermeister, wohnhaft Staupitz, [Straße, Nr.], verheiratet – sechs Kinder, ermittelt.
[Name] gab in der Befragung sofort zu, die Telegramme versandt zu haben. Über die Ursachen seiner Handlungsweise befragt, gab er an, er habe die Telegramme, deren Texte er selbst entworfen habe, verschickt, um den Staatsratsvorsitzenden auf seine Person aufmerksam zu machen. Er habe den Wunsch, eine höhere Funktion einzunehmen, eventuell in der Volksarmee oder in der Regierung. In dem Telegramm, in welchem er sich als »schwarzer Stern im Weltenraum« bezeichnete, habe er auf seine »höhere Berufung« hingewiesen. Er habe außerdem einen »Weltuntergang« oder die »Sintflut« befürchtet und den Staatsratsvorsitzenden in seinem Telegramm davor warnen wollen. Er fühle sich ständig verfolgt und bedroht und wollte durch eine Berufung in eine höhere Funktion seinen jetzigen Wohnort wechseln.
Bei [Name] handelt es sich um einen Menschen mit vermutlich krankhaften Vorstellungen über angebliche Verfolgungen. In seinem Wohnort ist er als »Prahlhans« mit einem übersteigerten Geltungsbedürfnis bekannt. Da [Name] von vielen Bürgern nicht für voll genommen wird, legt er großen Wert auf eine gute Kleidung, um als »großer Mann« anerkannt zu werden. [Name] führt ein liederliches Leben und hat mehrfach Schulden. Er befürchtet, von dem im gleichen Ort tätigen Bäckermeister verdrängt zu werden. In seiner Betriebsführung hat er seit Jahren Schwierigkeiten und befindet sich in Steuerschulden.
Nach 1945 übte [Name] im elterlichen Betrieb in Staupitz den Beruf eines Bäckers aus. 1950 war er ein Jahr acht Monate wegen Wirtschaftsvergehen (Schiebungen mit Nahrungsmitteln) inhaftiert. Danach arbeitete er als Schichtführer im Bäckereibetrieb der HO Senftenberg, später als Produktionsleiter der HO-Bäckerei Grünewalde, HO-Kreisbetrieb Senftenberg. Während dieser Zeit führte er seine eigene Bäckerei in Staupitz nebenbei weiter. 1962 wurde [Name] wegen Arbeitsbummelei und Unregelmäßigkeiten vom HO-Kreisbetrieb Senftenberg fristlos entlassen. Seitdem geht [Name] seiner Arbeit in der eigenen Bäckerei nach.
Vor 1945 war [Name] bei der faschistischen Wehrmacht bei der Marine. Nach 1945 organisierte sich [Name] kurze Zeit in der CDU. 1950 wurde er Mitglied der SED, wurde aber bei der Parteiüberprüfung 1951 als Mitglied bereits wieder gestrichen. Für kurze Zeit übte in seinem Wohnort die Funktion als Vorsitzender der Nationalen Front aus, musste jedoch wegen mangelnder Eignung abgelöst werden. Die politische Einstellung [Name] ist in seinem Wohnort als negativ bekannt. Er machte z. B. abfällige Bemerkungen über die DDR und ihre Einrichtungen und beabsichtigte, ein Glückwunschschreiben an Adenauer2 zu senden.
[Name] gab in der Befragung an, 1942 infolge einer ihm unbekannten Krankheit drei Wochen ohne Bewusstsein gewesen zu sein. 1943 habe er infolge eines Sturzes eine Schädelverletzung erlitten. Röntgenologisch wurde bei [Name] eine Schädelfraktur aus früheren Jahren festgestellt.
Da die Vermutung nahe liegt, dass es sich bei [Name] um einen geistig gestörten Menschen handelt, wurde er durch den Kreisarzt des Kreises Finsterwalde zum Zwecke der psychiatrischen Beobachtung in das Bezirkskrankenhaus eingewiesen. Nach Vorliegen des Untersuchungsergebnisses werden durch das MfS weitere Maßnahmen gegen [Vorname Name] eingeleitet.