Verstärkter Druck der Bundesregierung auf den Westberliner Senat
12. Februar 1964
Einzelinformation Nr. 102/64 über verstärkten Druck der Bundesregierung auf den Westberliner Senat in der Passierscheinfrage
Von dem bekannten westdeutschen Journalisten Stehle1 wurde einer zuverlässigen Quelle mitgeteilt,2 dass sich der Druck der Bundesregierung und der Westberliner CDU auf den Senat in der Passierscheinfrage3 in den letzten Tagen verstärkt habe. Dem Senat werde vorgeworfen, dass die gegenwärtigen Verhandlungen zwischen Wendt4 und Korber5 keine konkreten Ergebnisse bringen und dass er es nicht verstehe, diese Verhandlungen mit den laufenden Wirtschaftsverhandlungen zu koppeln.
Besonders hervortreten würden Lemmer6 und der Staatssekretär im Bundesministerium »für gesamtdeutsche Fragen« Krautwig.7 Sie drängten darauf, die gegenwärtigen Passierscheinverhandlungen abzubrechen und sie zu einem günstigeren Zeitpunkt (kurz vor Ostern), verbunden mit Wirtschaftsfragen, wieder aufzunehmen.
Hinter Lemmer und Krautwig stehe Mende8 mit seiner Absicht, die bisherige Arbeit seines Ministeriums zu verändern und alle Kontakte und Verhandlungen mit der DDR in die Hand zu bekommen. Krautwig nutze seine ehemalige Funktion als Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium dazu aus, um im Auftrage Mendes Druck auf den Leiter der Westberliner Treuhandstelle für den Interzonenhandel und auf den Westberliner Wirtschaftssenator Schiller9 auszuüben. Lemmer bemühe sich um Verstärkung seines Einflusses in der Westberliner CDU-Führung, um sie noch stärker gegen die Kreise um Brandt10 zu mobilisieren.
Stehle äußerte zu dieser Information die Auffassung, dass sich Brandt, Albertz11 und Bahr12 wahrscheinlich dem Druck fügen werden, wenn die Gespräche zwischen Wendt und Korber nicht bald Ergebnisse auf der bisherigen Ebene bringen. Ungünstig wirke sich aus, dass sich Bahr zzt. auf einer Urlaubsreise in der Schweiz befinde.
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