Versuchte Abwerbung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters
22. September 1964
Einzelinformation Nr. 800/64 über versuchte Abwerbung des wissenschaftlichen Mitarbeiters im Staatssekretariat für Forschung und Technik, Diplom-Ingenieur [Name], während der Weltkraftkonferenz in der Schweiz
Diplom-Ingenieur [Vorname Name], geboren am 13.3.1935, Mitglied der SED, nahm in der Zeit vom 12.9. bis 17.9.1964 als Sekretär der unter Leitung von Prof. Dr. Dr. e. h. Bilkenroth1 stehenden zwölf Personen starken DDR-Delegation an der Weltkraftkonferenz in Lausanne/Schweiz teil.2 Bereits am 13.9.1964 besuchte er entgegen den bestehenden Verhaltensregeln eine Bar in Lausanne und wurde dort mit einem ca. 20-jährigen Mädchen, einer angeblichen Westberlinerin, bekannt gemacht. Außerdem kam er bei einem offiziellen Bankett noch mit österreichischen und dänischen Staatsbürgern in Verbindung und begab sich nach dem Bankett zusammen mit einem Dänen in eine Weinstube. Am 18.9.1964 fuhr [Name] auftragsgemäß mit der Eisenbahn nach Zürich, um dort organisatorische Vorbereitungen für die Rückreise der DDR-Delegation mit der »Swiss Air« abzuwickeln. Bei dieser Gelegenheit besuchte [Name] am Abend des 18.9. abermals eine Bar in Zürich. Dort nahm eine ca. 45 bis 50 Jahre alte männliche Person, angeblich ein Geschäftsmann aus München, Verbindung zu [Name] auf. [Name] ließ sich auf ein längeres und mit reichlichem Alkoholgenuss verbundenes Gespräch über seine familiären und arbeitsmäßigen Verhältnisse ein, in dessen Verlauf der westdeutsche Bürger systematisch [Name] zum Verlassen der DDR zu überreden versuchte. Unter anderem bot er [Name] eine Stellung in Frankfurt/M. mit einem Anfangsgehalt von 1 500 WM und Entwicklungsmöglichkeiten bis 1 800 WM Gehalt an. An weitere Einzelheiten kann sich [Name] angeblich aufgrund des übermäßigen Alkoholgenusses – der im Wesentlichen von dem westdeutschen Bürger finanziert wurde – nicht mehr erinnern.
Am 19.9.1964 morgens nach Verlassen des Büros der »Swiss Air«, das [Name] zur Regelung der Rückreise wieder aufgesucht hatte, wurde er vor dem Büro von dieser westdeutschen Person mit einem schwarzen Pkw »Mercedes« abgeholt und [Name] willigte ein, eine Spazierfahrt mit ihm zu unternehmen. [Name] wurde dabei wiederum zum Verlassen der DDR aufgefordert und erklärte sich – angeblich noch immer unter Alkoholeinfluss stehend – bereit, das westdeutsche Konsulat in Zürich aufzusuchen. Im westdeutschen Konsulat wurde [Name] von Konsul Dr. Türk als »Bürger, der die Freiheit gewählt« habe, begrüßt und gab seinen DDR-Reisepass ab. Nach Aufnahme eines Protokolls über die Gewährung eines Darlehens und nach Beschaffung von neuen Passbildern erhielt [Name] einen westdeutschen Ausweis, die im Darlehen-Protokoll angeführte Summe Westmark und eine Fahrkarte nach Westdeutschland ausgehändigt. Daraufhin wurde er von dem westdeutschen Abwerber zum Bahnhof Zürich gebracht. Auf dem Bahnhof seien [Name] jedoch Bedenken gekommen und mithilfe der DDR-Vertretung in Genf, Genossen Deling, mit der er sich telefonisch in Verbindung setzte, wurde seine Rückreise über Prag in die DDR ermöglicht.
Weitere Untersuchungen über die Einzelheiten und Ursachen dieses Vorkommnisses werden noch geführt. Es wird gebeten zu entscheiden, wie nach Vorliegen ausführlicherer Untersuchungsergebnisse die Auswertung dieser Angelegenheit erfolgen soll.