Vorbereitungen der westdeutschen Sportführung für Tokio
18. September 1964
Einzelinformation Nr. 788/64 über die Vorbereitungen der westdeutschen Sportführung und anderer Institutionen für Tokio und für die Abwerbung von DDR-Sportlern
Von einer zuverlässigen Quelle wurden Maßnahmen und Äußerungen maßgeblicher Kreise der westdeutschen Sportführung, der Bonner Regierung und anderer Institutionen berichtet. Sie betreffen das Verhalten der westdeutschen Sportführung in Fragen der sogenannten gesamtdeutschen Olympia-Mannschaft1 und künftiger westdeutscher Olympia-Vorbereitungen sowie eingeleitete bzw. geplante Maßnahmen zur Beeinflussung und Abwerbung von DDR-Sportlern.
Maßgebliche Kreise der westdeutschen Sportführung äußerten erneut, dass Bonn trotz des derzeitigen Übergewichts der DDR in der sogenannten gesamtdeutschen Mannschaft an der »Gemeinsamkeit« festhalten solle. Daume2 und andere Vertreter der westdeutschen Sportführung wollen diesen Standpunkt auch in Tokio,3 im IOC, in den internationalen Fachverbänden und in Diskussionen mit Vertretern der NOK’s und Olympia-Mannschaften anderer Staaten propagieren. Nach wie vor sehe man das jetzige Übergewicht der DDR4 als das sogenannte kleinere Übel an, um der Entsendung von zwei deutschen Mannschaften vorzubeugen, besonders auch im Hinblick auf die große propagandistische Bedeutung der Olympischen Spiele in der Weltöffentlichkeit. Außerdem werde das jetzige Übergewicht der DDR als eine »einmalige Erscheinung« eingeschätzt.
Viele Spitzenfunktionäre des DSB und viele Vorsitzende der einzelnen Sportverbände würden das Dilemma des westdeutschen Sports richtig einschätzen und das derzeitige Übergewicht der DDR besonders im Hinblick auf die Bevölkerungszahlen beider deutscher Staaten als eine bittere Niederlage des westdeutschen Sports empfinden. Ihnen sei auch klar, dass es dabei nicht nur um Mannschaften (z. B. Hockey oder Fußball) geht, sondern dass in der Gesamtstruktur der sportlichen Aufbauarbeit in Westdeutschland vieles im Argen liegt. Die westdeutschen Sportfunktionäre hätten in den letzten Monaten ihren ganzen Einfluss geltend gemacht, sodass – auch wenn man eine gewisse parteipolitische Propaganda mit einkalkuliere – mit einer bedeutenden Intensivierung sportlicher Förderungsmaßnahmen in Westdeutschland gerechnet werden müsse. Das gelte nicht nur für die Spitzensportler, sondern auch für die Entwicklung des Sports im Rahmen der schulischen Ausbildung, für die Ausbildung an Sporthochschulen und für die Förderung des Sports in der Bundeswehr.
Für die Haltung Daumes in diesen Fragen hätten seine in der Sowjetunion gewonnenen Eindrücke eine große Rolle gespielt. Entsprechende Äußerungen Daumes hätten die westdeutschen Sportfunktionäre und auch das Bonner Auswärtige Amt und andere Bonner Dienststellen stark beeindruckt.
Bereits 1965 sei mit einer starken Konzentration der Arbeit mit Spitzensportlern zu rechnen. Von der Bonner Regierung seien dafür größere Mittel bereitgestellt worden und es sei jetzt Aufgabe des DSB, Vorschläge für die Schaffung von Schwerpunktzentren auszuarbeiten (z. B. Leichtathletik in Stuttgart, Ruderakademie in Ratzeburg usw.). Die Kosten für die Ausbildungsstätten, Spitzentrainer usw. würden von der Bundesregierung und von den Länderregierungen – getarnt über eine Sonderstelle des westdeutschen Sportbundes – getragen. Die von Erhard5 in seiner Ansprache zur Begrüßung der westdeutschen Olympia-Teilnehmer zugesicherte wirksame Unterstützung des westdeutschen Sports habe daher einen realen Hintergrund.
Wie weiter berichtet wird, verfolge Erhard mit seinem Appell an die westdeutschen Olympia-Teilnehmer, mit den DDR-Sportlern einen engen aufgeschlossenen Kontakt zu halten, u. a. die Absicht, den Einfluss der DDR-Sportfunktionäre in Tokio weitgehendst auszuschalten. Vorher hatte Daume bereits an die westdeutschen Olympia-Teilnehmer appelliert, in Tokio die angebliche Gemeinsamkeit der sogenannten gesamtdeutschen Mannschaft zu demonstrieren und die »Kameradschaft« mit den DDR-Sportlern zu pflegen.
In der westdeutschen Sportführung bestehe dahingehend Übereinstimmung, die Olympiade in Tokio verstärkt für die Abwerbung von DDR-Sportlern auszunutzen. Nachdem die DDR das zahlenmäßige Übergewicht in der sogenannten gesamtdeutschen Mannschaft errungen hat, sei es besonders zu »begrüßen«, durch die Abwerbung von DDR-Sportlern vor der Öffentlichkeit den »Beweis« zu erbringen, dass für den Sport nicht nur die in der DDR gewährte finanzielle und materielle Unterstützung auschlaggebend sei, sondern die Art der Sportausübung in Westdeutschland eine größere Anziehungskraft habe. Diese Fragen seien zwischen der westdeutschen Sportführung, der Bonner Regierung, führenden Vertretern der westdeutschen olympischen Bewegung und Vertretern der Wirtschaft sorgfältig und vertraulich besprochen worden.
Es sei zwar kein perfekter allumfassender Abwerbeplan bekannt geworden, jedoch hätten sich maßgebliche Kreise um Daume und Vertreter der Bonner Regierung über Detailmaßnahmen geäußert. Zu diesen Maßnahmen gehöre, dass z. B. alle der in Tokio zahlreich vertretenen Journalisten des Springer-Konzerns den konkreten Auftrag haben, sehr sorgfältig auf jede Missstimmung in der DDR-Mannschaft zu achten und jede Gelegenheit wahrzunehmen, Gespräche mit DDR-Sportlern in dieser Richtung zu führen. In taktischer Hinsicht sei festgelegt worden, mit solchen Sportlern Kontakt aufzunehmen, die ihr sportliches Programm bereits absolviert haben.
Um Abwerbegespräche wirksamer führen zu können, habe Springer6 mit führenden Vertretern der westdeutschen Industrie, die die olympische Bewegung fördern oder ihr nahestehen, Absprachen geführt, z. B. mit dem Multimillionär Neckermann7 (Teilnehmer in Tokio als Dressur-Reiter) und mit dem Krupp-Bevollmächtigten Beitz8 (Mitglied des Kuratoriums der westdeutschen Olympischen Gesellschaft). In diesen Gesprächen habe man sich darüber verständigt, Sportlern der DDR in Westdeutschland großartige berufliche Perspektiven zu sichern und zu garantieren. Spitzensportler der DDR sollen nach erfolgter Abwerbung von den großen westdeutschen Firmen gewissermaßen aufgefangen werden. Man wolle damit attraktive Beispiele der Fürsorge und beruflichen Perspektiven für DDR-Sportler schaffen. Die Springer-Journalisten seien ermächtigt worden, in Anwerbegesprächen entsprechende Garantien zu geben.
In diesem Zusammenhang wird außerdem auf weitere Einzelheiten über die bedeutende personelle Verstärkung der sogenannten politischen Arbeitsgremien der westdeutschen Botschaft in Tokio während der Olympischen Spiele hingewiesen. Zu diesem Personenkreis gehört der Sportreferent im Bonner Innenministerium. Der zzt. zum Stab der Bonner Botschaft in den USA gehörende Klingeberg,9 dessen Wirken in Melbourne und Rom bereits aus der Presse bekannt ist, soll seine ausgezeichneten Kontakte zu allen Mitgliedern des IOC ausspielen, in der Behandlung der sogenannten gesamtdeutschen Olympia-Mannschaft eine Art diplomatische Schlüsselrolle einnehmen und der Bonner Botschaft als Protokollchef speziell für olympische Fragen zur Verfügung stehen.
Als weiterer sogenannter Kontaktmann fungiere der Pressereferent für Sportfragen im Bundespresseamt Dr. Weilenmann.10 Dr. Weilenmann sei verantwortlich für die »Betreuung« der westdeutschen Journalisten und halte den Kontakt zu diesen Journalisten und verschiedenen Dienststellen der Bonner Botschaft. Er sei zusammen mit Perrey11 (ebenfalls aus der Presse bekannt) verantwortlich, einen ständigen Lagebericht über die Stimmung in der »gesamtdeutschen Mannschaft« zu geben. Auch in diesem sogenannten Lagebericht sollen eventuelle Unstimmigkeiten innerhalb der DDR-Mannschaft sehr sorgfältig erfasst werden. Solche Unstimmigkeiten sowie eventuelles Versagen von Funktionären oder Sportlern der DDR-Mannschaft werden zu dem Zweck registriert, Ansatzpunkte für Abwerbegespräche zu bekommen.
Zur Beeinflussung der DDR-Sportler wolle Bonn außerdem versuchen, die »Deutsch-japanische Gesellschaft« aktiv einzuschalten. Es sei vorgesehen, den DDR-Sportlern große Kulturprogramme zu bieten und sie u. a. auch in den westdeutschen Club in Tokio einzuladen. Als Gesprächspartner bzw. als sogenannte Betreuer der DDR-Sportler sollen vor allem die japanischen Mitglieder der Gesellschaft eingesetzt werden. Auch in diesem Falle wolle man sich insbesondere mit solchen DDR-Olympia-Teilnehmern befassen, die ihre Wettkämpfe bereits absolviert haben. Zwischen der Bonner Botschaft in Tokio und der genannten Gesellschaft würden entsprechende Absprachen erfolgen.
Von den Bonner Vorbereitungen zur Presseberichterstattung über die Olympischen Spiele wurde bekannt, dass zwischen den einzelnen Blättern des Springer-Konzerns eine Art Arbeitsteilung vorgenommen wurde. Danach soll die Berichterstattung in der Hamburger »Welt« seriös erfolgen. Für die Veröffentlichung sogenannter Sensationsnachrichten, besonders über gelungene Abwerbungen, seien solche Zeitungen wie »Bild«, »Welt am Sonntag«, »BZ« und »Morgenpost« vorgesehen. Redakteure dieser Zeitungen würden sich schon seit über einer Woche in Tokio befinden. Diese Redakteure seien beauftragt, besonders eng mit Klingeberg, Perrey und Dr. Weilenmann zusammenzuarbeiten.
Weiter wurde bekannt, dass seitens der Bonner Regierung während der ersten Woche der Olympischen Spiele Bundesinnenminister Höcherl12 in Tokio anwesend sein will. Höcherl soll dann durch Bundesminister Heck,13 der für die Durchführung des Lagers mit 125 westdeutschen Jugendlichen in Japan verantwortlich ist, abgelöst werden.
Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle publizistisch nicht ausgewertet werden.