Vorgänge im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen
19. Mai 1964
Bericht Nr. 404/64 über einige Vorgänge im Zusammenhang mit dem Deutschlandtreffen
1. Zum Auftreten der nichtoffiziellen westdeutschen Teilnehmer
Bereits längere Zeit vor dem Deutschlandtreffen1 orientierten verschiedene westdeutsche Jugendorganisationen und vor allem führende SPD-Kreise Westberlins auf eine nichtoffizielle Teilnahme westdeutscher Jugendlicher auf dem Wege über Westberlin zur ideologischen Beeinflussung der Jugendlichen der DDR. Es wurden Schulungen vorbereitet, sogenannte Informationszentren und Kontaktstellen2 in Westberlin eingerichtet und Quartiere zur Verfügung gestellt, um einen möglichst hohen Prozentsatz der über 10 000 westdeutschen Jugendlichen für einen Einsatz im demokratischen Berlin zu gewinnen, mit deren Besuch in Westberlin über die Pfingstfeiertage gerechnet wurde und die auch tatsächlich einreisten.
Einige Schulungen wurden bereits in Westdeutschland durchgeführt (beispielsweise in den Heimvolkshochschulen Bergneustadt und Singen/Bodensee). Bei einigen Gruppen von Jugendlichen, die nach Westberlin einreisten, wurden ausgearbeitete Programme festgestellt, die ausdrücklich Besuche des demokratischen Berlin und Diskussionen mit Teilnehmern des Deutschlandtreffens vorsahen.
Führende Westberliner CDU-Kreise um Amrehn3 bezeichneten den Einsatz westdeutscher Jugendlicher zum Deutschlandtreffen als ein von den Kreisen um Brandt4 praktiziertes Stück der »Politik des Wandels durch Annäherung«.5 Brandt habe zugleich damit den Versuch verbunden, die Ergebnisse der Diskussionen mit Jugendlichen der DDR zur Bekräftigung seiner politischen Konzeption und zur »Einkreisung« der Haltung der Bundesregierung beispielsweise in der Passierscheinfrage6 zu benutzen. Von der Westberliner CDU sei der Besuch im demokratischen Berlin nicht propagiert, aber auch nicht verhindert worden, und es seien den Jugendlichen ebenfalls Diskussionsrichtlinien gegeben worden.
Führende CDU-Kreise schätzten ein, dass sich die Jugendorganisationen von SPD, FDP und CDU trotz entgegengesetzter Forderungen von Jugendlichen aus sogenannten Vertriebenenverbänden (und auch entgegen den Forderungen auf einer Hetzkundgebung im Westberliner Studentenhaus am 17.5. nach Anwendung von »OAS«-Methoden7) an eine gemeinsame Festlegung hielten, zum Deutschlandtreffen keine provokatorischen Störaktionen besonders an der Staatsgrenze der DDR durchzuführen. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass es lediglich am 17.5. an der Ecke Scharnhorst-/Boyenstraße (in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze)8 zu einem Lautsprecheraufruf kam, Westberliner Bürger und Teilnehmer des Deutschlandtreffens sollten sich zu beiden Seiten der Staatsgrenze versammeln, der keinen Widerhall fand.
Im Einzelnen wurde zur Organisierung der Diskussionseinsätze westdeutscher Jugendlicher bekannt, dass von den rund 10 000 Quartieren, in denen die Jugendlichen organisiert untergebracht werden sollten, nur ca. 2 000 in Anspruch genommen worden seien. Von den z. B. in den Westberliner Messehallen am Funkturm vorbereiteten 5 000 Quartieren wurden nur ca. 300 benutzt. Allgemein war festzustellen, dass die Jugendlichen es vorzogen, nicht die vom Senat bzw. anderen Organen (Parteien, Organisationen) vorbereiteten Quartiere zu benutzen, offensichtlich, um der damit verbundenen Kontrolle und politischen Beeinflussung (Vorbereitung und Schulung für Diskussionen in der Hauptstadt der DDR) zu entgehen. So wurden z. B. auch die in Westberlin eingerichteten sogenannten Kontakt- oder Informationsbüros, wo die Jugendlichen über das Deutschlandtreffen, andere politische Probleme und das Auftreten in der Hauptstadt der DDR »beraten« werden sollten, kaum von westdeutschen und ausländischen Jugendlichen aufgesucht.
Nach den vorliegenden Informationen ist weiter einzuschätzen, dass es den Westberliner Organen auch nicht gelang, die westdeutschen Jugendlichen unter Kontrolle zu bringen und – wie geplant war – sie vom Besuch der Hauptstadt der DDR abzuhalten bzw. sie nur organisiert und zielgerichtet am Deutschlandtreffen teilnehmen zu lassen.
Die nach Westberlin anreisenden westdeutschen Jugendlichen erhielten Merkblätter des Senators für Jugend und Sport und des Westberliner Presse- und Informationsamtes, in denen Hinweise für Diskussionen im demokratischen Berlin gegeben und sie auf die Möglichkeit von Aussprachen in Westberlin mit Bundestagsabgeordneten und Senatsvertretern aufmerksam gemacht wurden. Sie erhielten ebenfalls zahlreiche Hetzschriften gegen das Deutschlandtreffen und die Berliner Staatsgrenze. Die Instruierung der zu organisierten Einsätzen im demokratischen Berlin gewonnenen Jugendlichen erfolgte an mehreren Stellen Westberlins, u. a. auch im Presse- und Informationsamt des Senats und besonders im Jugendgästehaus in der Kluckstraße.
Die Instruierung erfolgte besonders zu den Themen »Freizügigkeit«, Staatsgrenze der DDR, Lebensstandardvergleiche, Haltung der KP Chinas,9 »Wiedervereinigung«. Als »Kardinalfrage« wurde herausgestellt, warum im Westen »alles funktioniere« und in der DDR nicht, um die Jugendlichen der DDR »in ihren wachsenden Zweifeln zu bestärken«. Auf der Grundlage der in den ersten Tagen gewonnenen Erfahrungen wurde den Jugendlichen in der Kluckstraße am 18.5. der Hinweis gegeben, sie könnten »über alle Probleme offen sprechen«, dürften aber keine »Mauerstürmerei« in die Diskussionen tragen.
Verschiedentlich wurde bekannt, dass es auch an der Auswertung der im demokratischen Berlin geführten Diskussionen mangelte. Die Jugendlichen kehrten z. T. nicht – obgleich ihnen teilweise die Beförderung mit senatseigenen Fahrzeugen zugesichert worden war – zu den sogenannten Kontaktstellen und Informationszentren zurück, wo sofortige Auswertungen und Neuinstruierungen unter Mitwirkung speziell ausgesuchter politischer Referenten erfolgen sollten. Der Besucherdienst des sogenannten Bundeshauses versuchte deshalb zur Überwindung dieser »Schwächen« alle Gruppen westdeutscher Jugendlicher zu registrieren, um einen zentralen Überblick über ihr Auftreten im demokratischen Berlin zu erhalten. Im Auftrage Brandts sollte am 19.5. eine zentrale Auswertung der Diskussionseinsätze erfolgen.
Erste Diskussionsgruppen in den Straßen des demokratischen Berlin bildeten sich in den Abendstunden des 16.5., nachdem es bereits auf der Eröffnungskundgebung zu öffentlichen Debatten mit LSD-Mitgliedern10 gekommen war. Der organisierte Charakter des Auftretens der westdeutschen Jugendlichen trat in den beiden folgenden Tagen immer deutlicher hervor. Mit Pkw wurden besonders am 18.5. Verbindungen zwischen einzelnen Diskussionsgruppen aufrechterhalten und westdeutsche Gesprächspartner ausgewechselt. Häufig hielten sich zumeist weibliche Personen im Hintergrund, um offensichtlich als Augenzeugen von eventuellen Zwischenfällen zu fungieren. Es wurde auch festgestellt, dass sich westdeutsche Teilnehmer an Diskussionsgruppen als negativ auftretende DDR-Bürger ausgaben.
Im zunehmenden Maße versuchten die westdeutschen Jugendlichen, den positiv auftretenden Kräften auszuweichen und sich an politisch labilere Jugendliche und andere Bürger der DDR zu wenden. Ihr Auftreten wurde zum Teil provokatorisch, wenn die positiven Kräfte sich, besonders in den späten Nachtstunden, stellenweise zurückgezogen hatten.
Es ist jedoch einzuschätzen, dass die positiven Kräfte im Wesentlichen alle Diskussionsgruppen auf Straßen und Plätzen beherrschten. In einigen Einzelfällen wurde bekannt, dass negativ auftretende Jugendliche der DDR sich als westdeutsche Bürger ausgaben.
Örtliche Schwerpunkte der Diskussionsgruppen waren vor allem der neue Teil der Karl-Marx-Allee, S-Bahnhof Friedrichstraße und Unter den Linden. Es gelang besonders am 18.5., die Gruppen mit einem Durchschnitt von ca. 15 bis 20 Personen relativ klein zu halten. Zu großen Ansammlungen aus den Diskussionsgruppen heraus und zu besonderen Vorkommnissen kam es nicht.
Die westdeutschen Jugendlichen entfachten die Diskussionen teilweise mit provozierenden Äußerungen und auch durch andere Methoden wie beispielsweise das Anbieten von Zigaretten. Sie traten in der Mehrzahl in kleinen Gruppen auf, deren einzelne Mitglieder erst nacheinander in die Debatten eingriffen und besonders Außenstehende einzubeziehen versuchten.
In der Organisierung ihres Einsatzes wurde von Anfang an auf die Auswahl »zuverlässiger« Personen orientiert. Es traten vor allem Studenten, Journalisten und andere politisch, juristisch und ökonomisch vorgebildete Personen auf. Es traten auch einige Ausländer in Erscheinung. Es wurde bekannt, dass sowohl westdeutsche und Westberliner Studentenorganisationen als auch der französische Geheimdienst in Westberlin lebende Ausländer aufforderten, mit Teilnehmern des Deutschlandtreffens Verbindung aufzunehmen und sie ideologisch zu beeinflussen.
In wachsendem Maße versuchten die westdeutschen Gesprächspartner, in den Diskussionen einen ständigen Kontakt herzustellen und Adressen auszutauschen. Es wurde z. T. versprochen, Gesprächspartner aus der DDR mit westlicher Literatur zu versorgen, um »zu prüfen«, ob es Informationsfreiheit nur während des Deutschlandtreffens gegeben habe.
Die von den westdeutschen Gesprächspartnern vorgebrachten Argumente entsprachen im Wesentlichen ihrer bekannt gewordenen Instruierung. Allgemein versuchten sie, die Diskussionen vor allem auf innere Fragen der DDR zu lenken und Merkmale des Lebensstandards sowie die Frage einer angeblichen Unterdrückung demokratischer Freiheiten in der DDR in den Vordergrund zu stellen. Besonders am 18.5. tauchten in verstärktem Umfang Forderungen nach Wehrdienstverweigerung in der DDR und spezielle ökonomische Fragen (Verleumdung der VVB als »Staatskonzerne«) auf. Eine große Rolle spielten in den Diskussionen Bildungs-und Informationsmöglichkeiten.
Im Wesentlichen ging es bei allen Diskussionen vor allem um folgende Themen: Freiheitsbegriff (besonders Reiseverkehr, Berufswahl), Staatsgrenze der DDR, Fragen der Spaltung und der Wiedervereinigung Deutschlands, Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und der angeblichen Überlegenheit der westlichen Wirtschaftsordnung, Rolle Westberlins. Es tauchten aber auch Fragen angeblicher Widersprüche zwischen der DDR und »liberalen Auffassungen« in andern sozialistischen Staaten und besonders Fragen der Auseinandersetzungen mit der Führung der KP Chinas auf.
2. Zum Verhalten der offiziellen westdeutschen und Westberliner Teilnehmer und der Delegation in der DDR studierender Ausländer
Das Verhalten der offiziell angemeldeten Teilnehmer-Delegationen Westdeutschlands, Westberlins und der in der DDR studierenden Ausländer wird allgemein durch gewonnene positive Eindrücke charakterisiert.
Die Mehrzahl der 4 747 offiziellen Teilnehmer am Deutschlandtreffen aus Westdeutschland war von der Eröffnungsveranstaltung und von der Demonstration sehr beeindruckt und bekundete eine positive Einstellung zur DDR und zur Durchführung des Deutschlandtreffens. Es war das ehrliche Bemühen zu erkennen, sich über die Politik der DDR Klarheit zu verschaffen, was sich auch in einer Vielzahl von ihnen gestellter Fragen widerspiegelte.
Im Mittelpunkt der von ihnen geführten Diskussionen standen insbesondere solche Fragen wie
- –
Wege zur Herstellung sachlicher Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten;
- –
Wege zur Wiedervereinigung und zur Lösung des Westberlinproblems;
- –
Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens, der Verhinderung der Atombewaffnung in beiden deutschen Staaten und zur Gewährleistung demokratischer Verhältnisse in Westdeutschland.
In dem Zusammenhang verdient erwähnt zu werden, dass sich viele westdeutsche offizielle Teilnehmer daran beteiligten, die »Argumente« der von Westberlin aus organisiert und zielgerichtet auftretenden Diskussionsgruppen zu zerschlagen und deren Absichten, westdeutsche Teilnehmer vom Besuch von Veranstaltungen abzuhalten, zu verhindern.
Daneben traten unter den westdeutschen Teilnehmern jedoch auch verschiedene Unklarheiten auf, die im Wesentlichen in solchen »Argumenten« zum Ausdruck kamen wie im
- –
Zweifel am Sinn und Zweck der Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961 (»Entfremdung« und »Vertiefung der Spaltung« zwischen beiden deutschen Staaten);
- –
Bedenken, ob die konsequente Politik der DDR – teilweise als »starr« bezeichnet – der Einheit Deutschlands förderlich ist;
- –
Bedenken über die Handhabung der Auswahl für Studium und Qualifizierung dahingehend, ob nicht zu sehr die Orientierung auf Arbeiter und politische Einstellung statt des tatsächlichen Könnens und Wissens im Vordergrund stehen;
- –
in Fragen, warum die Werktätigen in der DDR nicht streiken dürfen, wie es um die Rolle der Gewerkschaften und um die freie Berufswahl stehe;
- –
in Äußerungen, wonach in der NVA sich ebenfalls Offiziere der ehemaligen faschistischen Wehrmacht befinden, demzufolge nicht nur einseitig über die Bundeswehr geschrieben werden dürfe.
Eine zwölf Jugendliche umfassende Gruppe westdeutscher Kriegsdienstgegner hatte versucht, eine eigene Demonstration zu veranstalten, stieß jedoch bei daraufhin angesprochenen anderen westdeutschen Teilnehmern auf Ablehnung.
Die Mehrzahl der mit Unklarheiten in Erscheinung getretenen offiziellen westdeutschen Teilnehmer wurde zugleich aber auch von der Jugendgesetzgebung, den Bildungs-, Studien- und Qualifizierungsmöglichkeiten, den Bedingungen in den Betrieben usw. sehr beeindruckt. Sie brachten auch ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass Genosse Walter Ulbricht unter der Bevölkerung und insbesondere unter der Jugend eine so große Popularität habe und sie selbst so ehrlich und offen ihre Meinung sagen können.
Die gleichen sowohl positiven Ansichten wie auch Unklarheiten gab es auch in der 954 [Mitglieder] umfassenden offiziellen Westberliner Teilnehmerdelegation. Hier muss jedoch stärker zwischen den der SED bzw. FDJ angehörenden Teilnehmern auf der einen und den nichtorganisierten bzw. anderen Organisationen angehörenden Teilnehmern auf der anderen Seite differenziert werden. Während bei den Erstgenannten die klare und prinzipienfeste Einstellung überwog, gab es beim anderen Teil viele Unklarheiten, wobei hinzukommt, dass das Motiv ihrer Teilnahme häufig darin bestand, Verwandte zu besuchen. Diese Jugendlichen verhielten sich jedoch auch aufgeschlossen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die organisierte Einflussnahme auf diese Kreise nur teilweise gewährleistet war, da sie sich zersplitterten und in kleineren Gruppen im demokratischen Berlin bewegten. Ein Teil meldete sich zwar im Objekt an, hielt sich aber dort nicht auf.
Schwierigkeiten gab es insbesondere mit den vom Förderungsausschuss in Westberlin geworbenen Jugendlichen, die es ablehnten, an bestimmten Veranstaltungen teilzunehmen, Veranstaltungen (Kirchenbesuche usw.) nach eigenem Wunsch besuchen wollten usw. Einzelne reisten täglich ein und aus.
Von den Westberliner Teilnehmern wurde die Begeisterung der Hauptstadt der DDR für die Teilnahme der Westberliner an der Demonstration (etwa 350 bis 400) als besonders positiv empfunden.
Von den zur Teilnahme am Deutschlandtreffen offiziell angemeldeten 788 in der DDR studierenden Ausländern beteiligten sich rd. 700 an der Demonstration. Der überwiegende Teil dieser Studenten trat positiv in Erscheinung. Sie waren auch von der Größe des Treffens sehr beeindruckt.
Im Zusammenhang insbesondere mit dem Auftreten und der Haltung der westdeutschen Delegation muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass westdeutsche Grenzkontrollorgane (Bundesgrenzschutz, Zoll und auch Angehörige des »Bundesamtes für Verfassungsschutz«) eine Vielzahl von Maßnahmen durchführten, um die Teilnahme vieler westdeutscher Jugendlicher am Deutschlandtreffen zu verhindern. Zu ihren Praktiken gehörten insbesondere die direkte Zurückweisung westdeutscher Gruppen an den westdeutschen Grenzkontrollpunkten und -bahnhöfen, die Registrierung der Teilnehmer am Deutschlandtreffen, schikanöse Befragungen und Untersuchungen, das Zerreißen von Aufenthaltsgenehmigungen usw.
Es wurden Beispiele bekannt, dass westdeutsche Jugendliche aufgrund dieser Maßnahmen auf die Teilnahme am Deutschlandtreffen verzichteten und wieder die Heimreise antraten.
3. Feindliche Handlungen im Innern der DDR während des Deutschlandtreffens
Unter Berücksichtigung der großen Konzentration von Jugendlichen in der Hauptstadt der DDR und der Anwesenheit vieler westdeutscher, Westberliner und ausländischer Jugendlicher und anderer Personen sind die feindlichen Handlungen während des Deutschlandtreffens (und auch in den Tagen unmittelbar vorher) sehr gering gewesen.
Zu Aktionen ernsthafteren Charakters, die auf organisiertes Vorgehen feindlicher Elemente hinweisen, kam es lediglich in zwei Fällen.11 Es handelt sich dabei um die Verbreitung selbstangefertigter Hetzflugblätter am 18.5.1964. 26 mittels Linolschnitt hergestellte Hetzflugblätter wurden Unter den Linden und auf mehreren Bahnhöfen der S-Bahnstrecke Ostkreuz – Bernau gestreut. 850 mittels Druckkasten in fünf verschiedenen Texten angefertigte Hetzflugblätter wurden im Gelände der Pionierrepublik Wuhlheide12 abgelegt. Sie enthielten Hetze gegen den antifaschistischen Schutzwall, gegen den Vorsitzenden des Staatsrates und gegen die Verhältnisse in der DDR überhaupt und riefen teilweise zum Widerstand auf. Hetzflugblätter der zuletzt erwähnten Aktion in der Wuhlheide waren mit »Widerstandsbewegung P. Fechter«13 unterzeichnet und es besteht der begründete Verdacht, dass sie von Westberlin aus eingeschleust wurden.
Andere Formen feindlicher Handlungen bestanden im Anschmieren von Hakenkreuzen und im Abreißen und Zerstören von Fahnen und Plakaten. Textliche Hetzlosungen wurden nicht festgestellt. Aber auch diese Handlungen hatten keinen großen Umfang. Sie und auch die Verbreitung selbstangefertigter Hetzflugblätter lagen im Gegenteil zahlenmäßig noch unter solchen u. ä. Erscheinungen, wie sie beispielsweise am 1. und 8. Mai14 oder anderen Staatsfeiertagen und politischen Anlässen in Erscheinung traten. Diese Feststellung gewinnt noch an Bedeutung, da auch bei derartigen Anlässen diese Handlungen stetig zurückgegangen sind und auf einzelne Vorkommnisse beschränkt blieben. Hinzu kommt, dass der größte Teil der Täter, die Fahnen und Plakate zerstörten oder abrissen, in betrunkenem oder angetrunkenem Zustand und aus Übermut handelte. Gleichfalls angetrunken waren die meisten Personen, die hetzerisch und provokatorisch mit Anpöbeleien und Tätlichkeiten gegenüber Teilnehmern des Deutschlandtreffens auftraten. In einigen Fällen wurden solche Handlungen von kleineren Gruppen Berliner Jugendlicher begangen, die aber mehr den Charakter rowdyhafter Ausschreitungen trugen und nicht so sehr bewusste feindliche oder terroristische Handlungen darstellten. So wurden auch in den meisten Fällen die deshalb festgenommenen Personen wieder entlassen, teilweise wurden E-Verfahren ohne Haft eingeleitet bzw. weitere Überprüfungsmaßnahmen eingeleitet, um eventuell von einzelnen Personen verfolgte feindliche Absichten noch aufzuklären.
Kennzeichnend für den relativ geringen Umfang feindlicher Handlungen ist auch die Tatsache, dass es während des Deutschlandtreffens nach den bisherigen Überprüfungen lediglich einen Versuch einer Teilnehmerin gab, illegal die Grenze nach Westberlin zu durchbrechen, was verhindert wurde.
Schleusungsversuche von Teilnehmern am Deutschlandtreffen wurden nicht festgestellt.
Aufgrund der umfassenden vorbeugenden Arbeit und der bei feindlichen Handlungen sofort eingeleiteten operativen Maßnahmen wurde ferner erreicht, dass von der Gesamtheit der feindlichen Handlungen keine wesentliche Beeinflussung der Teilnehmer und keinerlei Beeinträchtigung des ordentlichen Ablaufs des Deutschlandtreffens ausging und eventuell feindliche Elemente ermuntert worden wären. Das trifft auch für die ihrem Inhalt und Ausgangspunkt nach nicht feindlichen demonstrativen Vorkommnisse am 17.5. zu (Proteste gegen das Nichtauftreten einer Braunschweiger Combo und wegen der Räumung des Strausberger Platzes).15
Die, wie der Verlauf des Deutschlandtreffens beweist, erfolgreiche Absicherung und vorbeugende Arbeit basierte neben dem koordinierten Zusammenwirken der einzelnen Sicherheitsorgane auch auf der großen Einsatzbereitschaft aller Mitarbeiter.
4. Zu einigen Problemen der Einreise westdeutscher, Westberliner und ausländischer Bürger in die Hauptstadt der DDR und dem West-West-Verkehr durch die DDR während des Deutschlandtreffens
Die vorgenannten Einschätzungen über die reibungslose Absicherung des Deutschlandtreffens treffen auch für den von den Kontrollkräften der DDR in dieser Zeit abgewickelten Reiseverkehr zwischen Westdeutschland und Westberlin und zwischen Westberlin und der Hauptstadt der DDR zu. In dieser Zeit (vom 15.5.1964, 0.00 Uhr, bis 18.5.1964, 24.00 Uhr) wurden an den KPP der Staatsgrenze West und der Staatsgrenze Berlin insgesamt 265 796 Personen mit 47 755 Pkw und 1 564 Bussen abgefertigt.
In der Hauptstadt der DDR reisten in der Zeit des Deutschlandtreffens insgesamt 64 562 Personen (Vorjahr 42 210, d. h. 1964 53 % mehr) ein, davon
- –
Westdeutsche mit TAG: 44 820,
- –
Westdeutsche mit AG (einschließlich der 4 747 offiziellen westdeutschen Teilnehmer): 7 376,
- –
Westberliner mit AG, PM 128, X 12316: 1 818 (einschließlich der 452 offiziellen Westberliner Teilnehmer),
- –
Ausländer: 10 548.
Im gleichen Zeitraum wurden bei der Einreise 8 563 Pkw [und] 114 Busse auf den KPP abgefertigt.
Schwerpunkt war der 17.5.1964 mit 20 805 Einreisenden, davon allein 17 240 westdeutsche Bürger, und der 18.5.1964 mit 16 876 Einreisenden, davon 13 712 westdeutsche Bürger. Der Hauptverkehr konzentrierte sich auf die Zeit von 10.00 bis 12.00 Uhr und 14.00 bis 16.00 Uhr, wobei im erstgenannten Zeitraum täglich ca. 30 % aller Personen einreisten.
Die Abfertigungszeiten waren trotz dieser wesentlich höheren Personenbewegung im Allgemeinen normal und bewegten sich zwischen fünf und zehn Minuten; in Spitzenzeiten stiegen sie auf ca. 15 Minuten an.
Im West-West-Verkehr reisten in dieser Zeit von Westberlin nach Richtung Westdeutschland insgesamt 101 622 Personen (Vorjahr 145 847), davon
- –
Westdeutsche: 43 297,
- –
Westberliner: 55 640,
- –
Ausländer: 2 685.
Insgesamt passierten 21 470 Pkw [und] 732 Busse die KPP in dieser Richtung. Hauptreisetag war der 15.5. mit 37 160 Personen und 6 305 Kfz.
Von Westdeutschland nach Westberlin reisten 99 612 Personen (Vorjahr 112 877), davon
- –
Westdeutsche: 49 766,
- –
Westberliner: 45 575,
- –
Ausländer: 4 271
mit insgesamt 17 722 Pkw und 718 Bussen. Hauptreisetag in dieser Richtung war der 16.5.1964 mit 34 316 Personen und 5 915 Kfz.
In beiden Richtungen traten keinerlei Stauungen und Wartzeiten auf. Die Abfertigungszeit überschritt in keinem Fall 20 Minuten und lag im Durchschnitt bei zehn bis 15 Minuten. Zu besonderen Vorkommnissen kam es nicht.
Die Gewährleistung der maximalen Sicherheit und eines reibungslosen Kontrollablaufs war nur möglich durch den zusätzlichen Einsatz von Kontrollkräften des MfS und durch die Umstellung des gesamten Dienstes auf den KPP an den Staatsgrenzen West und Berlin auf den Zwölfstundendienst und darüber hinaus. Diese Maßnahmen wurden ergänzt durch die Einführung neuer Arbeits- und Kontrollmethoden.
Durch diese zusätzlich eingeleiteten Maßnahmen und den selbstlosen persönlichen Einsatz aller eingesetzten Mitarbeiter konnten Warte- und Standzeiten vermieden, trotz verstärktem Reiseverkehr und größerer Mängel in den Reisedokumenten der westdeutschen und Westberliner Teilnehmer des Deutschlandtreffens Unsicherheitsfaktoren beseitigt und die vom Gegner geplante Ausschleusung von neun Personen in Verstecken in Lkw und Pkw und mittels gefälschten Pässen verhindert werden.