Westberliner Ausschuss »Gesamtberliner Fragen« zu Rentnerreisen
21. Dezember 1964
Einzelinformation Nr. 1127/64 über eine Stellungnahme des Westberliner Ausschusses für »Gesamtberliner Fragen« zu den Reisen von Rentnern aus der DDR nach Westberlin
Nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle fand am 10.12.1964 eine Sitzung des Ausschusses für »Gesamtberliner Fragen«1 des Westberliner Abgeordnetenhauses statt, auf der Völckers2 im Auftrag des Leiters des Büros für »Gesamtberliner Fragen« beim Westberliner Senat, Thiele,3 einen Bericht über die Besuchsreisen von Rentnern der DDR nach Westberlin gab.4 Aus dem Bericht von Völckers und der darüber geführten Diskussion gehen folgende Einzelheiten hervor:
Ausbau des sogenannten Besucherdienstes
Da es sich bei den Rentnerreisen um eine Dauerregelung handelt, rechnet der Ausschuss damit, dass der sogenannte Besucherdienst zu einer Institution ausgebaut wird. Es wurde vertraulich mitgeteilt, dass bei den Besucherdiensten in den Westberliner Stadtbezirken auch Beauftragte der Senatsverwaltung für Sicherheit und Ordnung5 tätig sind. Diese Beauftragten sind angeblich nur dazu eingesetzt besondere auftauchende Fragen zu klären. Sie wären nicht dazu da, die Auskunft suchenden zu befragen.
Stand der Einreise von Rentnern aus der DDR nach Westberlin
Im Monat November 1964 wurde an insgesamt 140 037 Personen das sogenannte Begrüßungsgeld in Westberlin ausgezahlt. An den Grenzübergängen zwischen der Hauptstadt der DDR und Westberlin wurden jedoch nur 32 574 Personen registriert. Daraus wird die Schlussfolgerung gezogen, dass der größte Teil der Rentner aus der DDR über den nicht kontrollierten Weg von der Friedrichstraße mit der S-Bahn nach Westberlin eingereist ist.6 Zurzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe in der Senatskanzlei damit, wie in Zukunft – auch im Zusammenhang mit dem Passierscheinabkommen7 – eine genaue Registrierung aller einreisenden Rentner vorgenommen werden kann. In der ersten November-Hälfte kamen von den Rentnern 60,9 % aus der DDR und 39,1 % aus der Hauptstadt der DDR.
Angaben über die Anzahl der bisher in Westberlin verbliebenen Rentner
Bisher haben sich 81 Personen gemeldet, die als sogenannte Flüchtlinge in Westberlin verbleiben wollen. Die Zahl liege weit unter dem, was ursprünglich angenommen wurde. Es müsste aber damit gerechnet werden, dass sich in der nächsten Besuchsperiode die Anzahl der sogenannten Flüchtlinge erhöht, da die meisten Rentner bei dem ersten Besuch in Westberlin nur die Voraussetzungen für einen Verbleib geklärt hätten.
Auszahlung des sogenannten Begrüßungsgeldes
Im November 1964 wurden 7 001 850 DM als sogenanntes Begrüßungsgeld8 ausgezahlt. Von dieser Summe hat Westberlin zwei Fünftel zu tragen. (Das sind pro Besucher 20,00 DM; die restlichen 30,00 DM bezahlt der Bund.) Es wird eingeschätzt, dass diese Summe den Etat von Westberlin sehr belastet.
Wir bereits bekannt, wird die Auszahlung des sogenannten Begrüßungsgeldes zwischen den einzelnen Westberliner Stadtbezirken nicht koordiniert. Es wäre daher praktisch durchaus möglich, dass sich Rentner in allen zwölf Westberliner Stadtbezirken die 50,00 DM abholen. Mit Unterstützung des Statistischen Landesamtes in Westberlin erfolgte eine Stichprobe, zu der die Namen der Rentner mit dem Anfangsbuchstaben B herangezogen wurden. Bei insgesamt 5 000 ausgewerteten Besuchsanträgen haben sich Doppelbetreuungen nur in vier Fällen ergeben. Von diesen vier Fällen waren drei Fälle, bei denen Besucher zweimal Besuchergeld abgeholt hatten und ein Fall, bei dem Geld viermal in Empfang genommen wurde. Aufgrund dieses Ergebnisses werden zentrale Maßnahmen als nicht notwendig angesehen, da sie außerdem noch mit hohen finanziellen Ausgaben verbunden wären. Eine solche Kontrolle und Auswertung soll mit anderen Buchstaben in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden.
Sozial- und Krankenhilfe
Für 14 % aller nach Westberlin eingereister Rentner – insgesamt 19 752 Personen – wurden bei den Westberliner Sozialämtern Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz beantragt. (Minderbemittelte Gastgeber können in den sogenannten Beratungsstellen Anträge auf Zahlung einer Hilfe zum Lebensunterhalt stellen. Diese Hilfe beträgt, wenn sie als gerechtfertigt anerkannt wird, 4,80 DM pro Tag und Gast.) Die Prüfung der Voraussetzungen für eine solche Hilfe erfolgt großzügig. Aufgrund dieser recht einfachen Verfahrensregelung wird befürchtet, dass sich die Zahl der Antragsteller in Zukunft wesentlich erhöht.
Für die Organisation der Krankenhaushilfe ist der »Berliner Zentralausschuss für die Verteilung von Liebesgaben«9 zuständig. Da aufgrund des Ansturms der Zentralausschuss nicht in der Lage war, allein diese Aufgabe wahrzunehmen, wurden 27 Bezirksorganisationen eingeschaltet. Für die Arbeit in Westberlin hat der Westberliner Senat dem Zentralausschuss acht Hilfskräfte zur Verfügung gestellt. In den Bezirken sind in den Spitzenzeiten insgesamt 280 Mitarbeiter der Bezirksverwaltung mit den sogenannten Betreuungsaufgaben beschäftigt.
Ärztliche Hilfe wurde bisher in 4 730 Fällen geleistet. Auf dem Gebiet der Medikamentenhilfe liegen bis auf eine Abrechnung über 35 000 DM von den Apotheken (Monat November) noch keine genauen Zahlen vor. Medikamente können auch bei der Ärztegemeinschaft im Wilmersdorf und im »Haus der Ostdeutschen Heimat« bezogen werden.
Wenn es Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Rentner gibt, wird auf Antrag eine Unterkunft vermittelt, die von Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung gestellt wird. Im Ergebnis eines diesbezüglichen Aufrufs an die Wohlfahrtsverbände wurden nur 150 Zimmer zu Verfügung gestellt. Behördlicherseits wurden im Monat November 1964 insgesamt 1 730 Personen untergebracht. In den allerdringendsten Fällen steht außer der Bahnhofsmission auch die Bereitschaftspolizei für die Unterbringung zur Verfügung.
Für die Rentner aus der DDR wurden bisher 213 Stadtrundfahrten mit 7 524 Teilnehmern durchgeführt.
Ermöglichung einer Weiterreise für die DDR-Rentner von Westberlin nach Westdeutschland
Der Westberliner Senator für Bundesangelegenheiten, Schütz,10 hat vom Westberliner Senat den Auftrag erhalten, mit den Bundesbehörden über die Fälle zu verhandeln, bei denen Rentner aus der DDR in Westberlin den Wunsch aussprechen, nach Westdeutschland weiterzureisen und dort ebenfalls Verwandte besuchen zu können. Für das Bundesgebiet gebe es die interne Regelung, dass Rentnern eine Weiterfahrt nach anderen Städten zum Besuch anderer Verwandter gewährt werden kann. Für diese Fälle werden sogenannte Anschlusskarten ausgegeben. Für Westberlin stehe die Entscheidung des Bundes noch aus. Es scheine jedoch unumgänglich zu sein, die Bundesregelung auch für Westberlin zu übernehmen, da sonst die Gefahr einer bestimmten Anerkennung der »Drei-Staaten-Theorie«11 entstehe. Die Flüge von Westberlin nach Westdeutschland müssten daher für die Rentner als Weiterfahrt im Sinne einer Anschlussfahrkarte angesehen werden. Zurzeit wird den Rentnern der Flug nach Westdeutschland – wenn sie die Kosten selbst aufbringen – gestattet.
Hinweise auf Währungsspekulationen
Dem Westberliner Senat ist bekannt, dass viele Rentner sogenannte Ostmarkbeträge mit sich führen, um sie in Westberlin umzutauschen. Das würde auch aus der Tatsache hervorgehen, dass der Wechselkurs schon wenige Tage nach Beginn der Rentnerbesuche schlagartig anstieg. Eine relativ hohe Zahl von den Rentnern hat auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Konten in Westberlin in Anspruch zu nehmen. Die Banken verfahren dem Wunsch des Senats entsprechend großzügig.
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