Westliche Äußerungen zum Passierscheinabkommen
11. Januar 1964
Einzelinformation Nr. 30/64 über Äußerungen Krones und führender Westberliner CDU-Funktionäre zum Berliner Abkommen
Eine zuverlässige Quelle berichtete über Äußerungen Krones1 und führender Westberliner CDU-Funktionäre zum Berliner Abkommen,2 die interessante Momente der Haltung und geplanter weiterer Störversuche der Gegner des Abkommens erkennen lassen. Es geht dabei besonders um die politische Bedeutung des Abkommens, um die Taktik der weiteren Auseinandersetzungen mit Brandt,3 um Forderungen für künftige Regelungen und um das Eingeständnis des Drucks des Willens der Westberliner Bevölkerung.
Als sogenannter Beauftragter der Bundesregierung während der Zeit der Durchführung des Berliner Abkommens in Westberlin schätzte Krone ein, dass mit dem Abkommen ein »Balanceakt« der westdeutschen Politik begonnen worden sei, dem man in der gegenwärtigen Situation Einhalt gebieten müsse, weil sonst eine lawinenartige Weiterentwicklung nicht mehr aufzuhalten wäre. Mit der Beschränkung des Zeitraums des Abkommens und der Beschränkung des Personenkreises habe es die Regierung der DDR darauf angelegt, aus den ersten Verhandlungen weitere Verhandlungen zwangsläufig abzuleiten. Dazu komme, dass die Westberliner Bevölkerung kaum Verständnis dafür hätte, wenn der Westberliner Senat weitere Verhandlungen zumindest auf der bisherigen Grundlage ablehnt. Deshalb sei zu befürchten, dass die DDR mit entsprechendem propagandistischen Aufwand noch großzügigere Angebote bezüglich des Personenverkehrs und der Vereinfachung der Beantragung und Ausgabe von Passierscheinen unterbreitet und es vielleicht zu einer Dauerregelung nicht zwischen dem Senat und dem Magistrat von Groß-Berlin, wie es den Wunschvorstellungen der Bundesregierung entspräche, sondern zwischen dem Senat und der Regierung der DDR kommt.
Nach Auffassung Krones müsse daher eine sogenannte ständige Kommission der Bundesregierung, des Senats und der Westmächte gebildet werden, die sich mit allen Fragen einer »Öffnung und Durchlöcherung der Mauer« befassen und alle Angebote und Vorschläge vonseiten der DDR begutachten soll, bevor über sie von Brandt, der Bundesregierung und den Regierungen der Westmächte entschieden wird. Die Bundesregierung habe Brandt jede Verhandlungsvollmacht zu nehmen und erst dann wieder zu übergeben, wenn vorher die Entscheidung in den verantwortlichen Gremien gefallen ist.
Der Westberliner CDU-Landesvorstand ist, nach Äußerungen führender Westberliner CDU-Funktionäre, mit der Bildung dieser sogenannten ständigen Kommission einverstanden und stellt die Forderung, dass auch die Westberliner CDU darin vertreten sein soll. Krone habe ihr dabei Unterstützung zugesichert. Er glaube nicht, Brandt könne etwas dagegen einwenden, dass die Gegenargumente der »Opposition« Eingang in die Arbeit der Kommission finden.
Zur Haltung Schröders4 äußerte Krone, der Außenminister habe eine auffallende Zurückhaltung auch in der Beratung des Bundeskanzlers in der Passierscheinfrage gezeigt und Krone als sogenannten Berlin-Beauftragten vorgeschoben. Schröder habe sich offensichtlich vor der Öffentlichkeit nicht festlegen wollen. Er erwarte zwar in diesem Jahr »entscheidende Anfänge einer neuen Entwicklung« der westdeutschen Politik. Er habe jedoch vermeiden wollen sich als Außenminister vorzeitig mit einer Aktion zu identifizieren, die sowohl unter starkem Zeitdruck als auch unter der »Belastung schwerer menschlicher Probleme« des befristeten Zusammentreffens der Berliner Bevölkerung über die Festtage stand.
Zur weiteren Haltung der Westberliner CDU und ihrer Taktik für die weiteren Auseinandersetzungen mit Brandt erklärten führende Westberliner CDU-Funktionäre, im Auftrage der Bundesregierung solle eine »Abwehr- und Abschreckungskraft« hergestellt werden. Es solle die Verantwortung Brandts für die Zugeständnisse herausgestellt werden, zu denen er beim Abschluss des Berliner Abkommens die Bundesregierung etwas zu leichtfertig gedrängt habe und die, auf die Dauer gesehen, die Bundesregierung hinsichtlich der Nichtanerkennung der DDR auf eine abschüssige Bahn führen könnte.
Diese Taktik sei mit der Bundesregierung abgesprochen. Sehr stark sei die Westberliner CDU dabei vom CDU-Bundesvorstand beeinflusst worden. Besonders aktiv habe sich Dufhues5 gezeigt.
Es soll vor allem vor neuen Zugeständnissen gewarnt und versucht werden, eine weitere Regelung allerhöchstens auf der bisherigen Basis zu erreichen. Zugleich werde aber auch erwogen, die Gegenforderungen des Senats so hoch zu stecken, dass ein künftiges Abkommen daran scheitern könnte. Dabei handle es sich vor allem um die Forderung nach einer »Öffnung der Mauer von Ost nach West«. Es müsse auf die Westberliner Bevölkerung eingewirkt werden, aus ihrem »Widerstandswillen« heraus notfalls auf Besuche im demokratischen Berlin zu verzichten, wenn sich die DDR weigern sollte, Besuche in Westberlin zu gestatten. Eventuell könne im Laufe einer weiteren Vereinbarung und zu einem Zeitpunkt, da sich der Besuchsverkehr von Westberlin in die Hauptstadt der DDR normalisiert habe, die Forderung nach Gegenbesuchen propagandistisch hochgespielt werden, um den Senat zu dem Versuch zu drängen, sie durchzusetzen.
Auch Krone sprach sich dafür aus, dass neben sogenannten technischen Verbesserungen wie Wegfall der Beantragung von Passierscheinen und ihrer Ausgabe durch DDR-Angestellte in Westberlin künftig die Frage von Besuchen in Westberlin zur Sprache kommen müsse. Sogenannte Rückkehrgarantien in Verbindung mit einer Einschränkung des sogenannten Asylrechts in Westberlin könnten dabei nicht gegeben werden.
Nach Meinung der führenden Westberliner CDU-Funktionäre habe sich die CDU in Bonn bereits bei der SPD rückversichert, dass eine Erhöhung der Gesprächsebene, beispielsweise ein Zusammentreffen Brandts mit Abusch,6 generell abgelehnt wird. Brandt werde von der CDU noch einmal empfohlen werden, sich an Oberbürgermeister Ebert7 zu wenden, um auf die Ebene sogenannter innerstädtischer Verhandlungen zu kommen. Es sei allerdings fraglich, ob Brandt dieser Empfehlung nachkommen wird. Zum Brief Stophs8habe Erhard9 Brandt nach sorgfältiger Konsultation geraten, ihn zurückzuschicken.10
In der weiteren Behandlung der Passierscheinfrage sei, nach Auffassung der führenden Westberliner CDU-Funktionäre, Folgendes entschieden worden: Der Senat habe die Erlaubnis erhalten, Gespräche auf der bisherigen Ebene fortzuführen, um eine neue möglichst langfristige Vereinbarung zu erreichen. Neue politische Aspekte dürften in sie nicht aufgenommen werden. In der Frage der sogenannten technischen Abwicklung solle die Westberliner Seite vorschlagen, dass die Westberliner Bürger bei den Ausgabestellen keinen Antrag mehr auszufüllen brauchen, sondern ihren Passierschein nach Vorlage ihres Personalausweises erhalten. Für die Stationierung der Ausgabestellen müsse eine neue technische Möglichkeit gefunden werden.
Die Westberliner Seite wolle die Besuchsmöglichkeiten auch auf alle Westberliner Bürger ausdehnen und damit Zusammentreffen mit Bürgern der DDR im demokratischen Berlin in noch größerem Maße herbeiführen. Schließlich solle die Frage der Besuchsdauer zur Debatte gestellt werden. Es werde angestrebt, dass am Wochenende oder zu besonderen Familienanlässen, die formell nachgewiesen werden könnten, eine Übernachtung der Westberliner Besucher im demokratischen Berlin möglich ist. In diesem Sinne sei Brandt von der Bundesregierung die Vollmacht erteilt worden, ein neues Übereinkommen zu erzielen. Unter Berücksichtigung der sogenannten technischen Verbesserungen könne ein neues Protokoll auf der bisherigen Ebene unterzeichnet werden.
Krone und die genannten Westberliner CDU-Funktionäre zeigten sich bestürzt über die Reaktion der Westberliner Bevölkerung und dem Druck, den sie auf den Senat in der Frage einer Passierscheinregelung ausübte und – wie zu befürchten sei – auch weiterhin ausüben wird. Krone schätzte ein, dass die »Widerstandskraft« in erster Linie der älteren Generation »aufgeweicht« worden sei, die noch einen begrenzten Lebensabschnitt überblicken könne und die die »Mauer« zwar nicht als endgültig hinnehme, aber langsam einsehe, dass sich an den machtpolitischen Faktoren zzt. nichts ändern lässt.
Nach dem »Spannungs- und Energieverschleiß im bisherigen Freiheitskampf Westberlins« sei die Westberliner Bevölkerung jetzt zu Kompromissen geneigt. Deshalb werde sie auch Bundesregierung und Senat zu weiteren Schritten drängen.
Krone äußerte in diesem Zusammenhang, der »Zwischenfall« mit dem Grenzverletzer Schultz11 am 25.12.1963 habe insofern dem Westen einen guten Dienst erwiesen, als die Westberliner Bevölkerung und die gesamte Weltöffentlichkeit zur rechten Zeit wieder auf die »Grausamkeit der Mauer« aufmerksam geworden seien.
Im Einzelnen äußerten Krone und die genannten Westberliner CDU-Funktionäre, besonders bestürzend sei gewesen, dass die Westberliner Bürger die Formulierung auf den Passierscheinen »… zum Betreten der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik« ohne Kritik hingenommen hätten. Darin sei ein Moment der »politischen Aufweichung« der Westberliner Bevölkerung zu sehen. Weiterhin seien die Westberliner Besucher im demokratischen Berlin durch die Großzügigkeit der Abfertigung durch die Organe der DDR und durch die Tatsache, dass Republikflüchtige nicht behindert wurden, in ihren politischen Vorstellungen »aufgeweicht« worden.
Die Westberliner CDU-Funktionäre äußerten »ernste Sorge« für den Fall, dass die politische Führung in Westberlin künftig nicht wirksam genug die Westberliner Bevölkerung beeinflussen könne. Die Entwicklung könne einen Punkt erreichen, an dem die Westberliner Behörden zu einem dauernden Kontakt mit den Behörden der DDR gezwungen werden, wenn überhaupt beide Teile Berlins einigermaßen in Partnerschaft miteinander leben wollen.
Abschließend schätzt die Quelle der Information ein, dass die Westberliner CDU keine andere Stellungnahme beziehen könne als die der festgefahrenen Politik des »kalten Krieges«. Sie müsse zugleich erkennen, dass sie durch eben diese Politik in die gegenwärtige Lage gebracht wurde. Darin liege die Problematik des Berliner Abkommens. Insofern sei das Abkommen – in Verbindung mit den Möglichkeiten einer Wiederaufnahme der Deutschland- und Westberlinfrage in die internationale Debatte – die Einleitung »neuer gesamtdeutscher politischer Bewegungen« im Jahre 1964.
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