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Westliche Pläne gegen das Deutschlandtreffen

6. Mai 1964
Bericht Nr. 371/64 über feindliche Pläne und Absichten gegen das Deutschlandtreffen der Jugend Pfingsten 1964 in der Hauptstadt der DDR

In dem Bestreben, dem Deutschlandtreffen1 der Jugend und Studenten in der Hauptstadt der DDR zielgerichtet entgegenzuwirken, wurden in Westberlin folgende Gremien geschaffen:

  • eine Senatskommission unter Leitung des Westberliner Senators für Jugend und Sport Neubauer,2

  • ein Aktionskomitee »Deutschlandtreffen« beim Westberliner Senat, das mit der Senatskommission in enger Koordinierung arbeitet,

  • ein Komitee der Westberliner DGB-Jugend,

  • ein sogenanntes Organisations-Komitee, bestehend aus Vertretern der Jugend- und Studentenorganisationen der CDU, SPD und FDP.

Diese in Westberlin offiziell geschaffenen Kommissionen und Komitees beschäftigen sich ausschließlich mit Störmanövern und anderen Maßnahmen gegen das Deutschlandtreffen.

Den Gremien gehören u. a. an: Vertreter der Senatskanzlei, des Senators für Sicherheit und Ordnung, der Senatsverwaltung für Jugend und Sport, des Presse- und Informationsamtes, der Westberliner Rundfunkanstalten (darunter Peter Herz3), des »Studios am Stacheldraht«,4 des Bundesministeriums für »gesamtdeutsche Fragen« in Westberlin, der Westberliner Jugendverbände und Gewerkschaftsvertreter (besonders Vertreter der IG Druck und Papier, der Gewerkschaft ÖTV, IG Metall, IG Bau, Steine, Erden und der DGB-Jugendsekretär in Westberlin, Horst Haase).

Die Entwicklung der Diskussion – insbesondere im Westberliner Senat – über die einzuleitenden Gegenmaßnahmen zum Deutschlandtreffen vom Territorium Westberlin aus

Im Februar 1964 wurde von Albertz5 der Vorschlag unterbreitet, Pfingsten in Westberlin ein »Gegenfestival« durchzuführen, an dem 400 000 Jugendliche aus Westdeutschland und Westberlin teilnehmen sollten. Mit diesem »Gegenfestival« sollte die »politische Bedeutung des Deutschlandtreffens in Ostberlin herabgemindert« werden.6 Dieser Albertz-Plan scheiterte aus politischen Erwägungen heraus und wegen »technischer Schwierigkeiten«.

Daraufhin wurde ein erneuter Vorschlag im Senat unterbreitet – insbesondere vom Senator für Jugend und Sport Neubauer –, mindestens 6 000 bis 7 000 westdeutsche Jugendliche zu Pfingsten nach Westberlin einzuladen. (Inzwischen wird seitens des Westberliner Senats mit über 9 000 westdeutschen Jugendlichen gerechnet, wobei die Möglichkeit in Erwägung gezogen wird, dass ein großer Teil dieser Jugendlichen mit dem Ziel anreise, die »Ostberliner« Veranstaltungen zu besuchen.)

Dieser Vorschlag wurde angenommen mit der Empfehlung des Senats, in Westberlin Gegen- und Aufklärungsveranstaltungen zu organisieren und westdeutsche Jugendliche mit bestimmten Aufträgen gezielt nach dem »Osten« zu schicken.

Zwischen Albertz und Neubauer bestanden starke Differenzen über die Organisation und Form der Durchführung des »Gegenfestivals«. Neubauer betrachtete den Albertz-Plan – 400 000 Jugendliche nach Westberlin einzuladen – als Einmischung in sein Ressort als Jugendsenator und als Überspitzung der Maßnahmen.

Während zu Beginn der Aussprachen im Westberliner Senat und in den einzelnen Organisationen und Gremien Vorstellungen bestanden, interessierte westdeutsche Jugendliche ungehindert in das demokratische Berlin ausreisen zu lassen, sind die in Westberlin verantwortlichen Organisatoren für das »Gegenfestival« jetzt übereingekommen, im Allgemeinen die westdeutschen Jugendlichen von einer unkontrollierten Ausreise in das demokratische Berlin abzuhalten und die Parole aufzustellen: entweder alle oder keiner.

Organisatorische Vorbereitungen in Westberlin als »Gegenmaßnahme« zum Deutschlandtreffen

  • Organisatorische Vorbereitungen werden in Westberlin für die Aufnahme von 9 000 bis 10 000 Jugendlichen aus Westdeutschland getroffen. Diese Jugendlichen hätten sich lt. Senator Neubauer in Gruppen und Schulklassen bereits namentlich vorangemeldet. Darüber hinaus würden weitere Einzelbesucher erwartet. Es soll insbesondere unter Einsatz der Westberliner Jugendorganisationen erreicht werden, dass diese Jugendlichen in Westberlin bleiben und im Allgemeinen vom Besuch des Deutschlandtreffens im demokratischen Berlin abzuhalten. Der unkontrollierte Besuch westdeutscher Jugendlicher in der Hauptstadt der DDR soll unter allen Umständen verhindert werden. Die Senatskommission und das Aktionskomitee »Deutschlandtreffen« haben die übrigen bestehenden Gremien zur Vorbereitung des »Gegenfestivals« sowie die verschiedenen Westberliner Jugendgruppen aufgerufen, sich an den Vorbereitungen zu beteiligen und Vorschläge für eine »ideologische Aufklärung« der westdeutschen Jugendlichen und für deren Beschäftigung zu unterbreiten.

  • Zur Unterbringung des in Westberlin zu erwartenden Besucherstroms werden Notquartiere eingerichtet. Massenquartiere werden vor allem unter der Regie des Senats in verschiedenen Hallen des Westberliner Ausstellungsgeländes (in den Hallen 9 und 10 z. B. für 5 000 Jugendliche) vorbereitet. Um die westdeutschen Jugendlichen »sinnvoll zu beschäftigen« und »ideologisch aufzuklären«, sind auf dem Territorium Westberlins folgende Maßnahmen vorgesehen:

  • Durchführung von zwei zentralen Veranstaltungen für jeweils ca. 7 000 westdeutsche Jugendliche, westdeutsche jugendliche Facharbeiter in Westberlin und Westberliner Jugendliche am 16. und 17.5.[1964] ab 19.00 Uhr unter dem Motto »Ding mit Pfiff« im Westberliner Sportpalast. (In diesen beiden Großveranstaltungen sollen u. a. das RIAS-Tanzorchester, das SFB-Tanzorchester, die Spree City Stompers,7 The Tocantis/Twist-Band, die Stachelschweine8 und namhafte Künstler wie Audrey Kirby,9 Detlef Engel,10 Ted Herold,11 Trude Herr,12 Susi Ball,13 René Kollo,14 Carlos Otero,15 Silvio Francesco,16 Grit van Hoog17 u. a. mitwirken.) Ein einleitendes Referat soll vom Senator Neubauer gehalten werden (verantwortlich ist die Senatskommission, Senator Neubauer persönlich, in Verbindung mit dem Berliner Jugendclub e.V.).

  • Durchführung von Parallelveranstaltungen in Westberlin während des Deutschlandtreffens, zu denen Jugendliche aus der DDR eingeladen werden sollen. Dabei soll es sich nach den Vorstellungen der Senatskommission weniger um Großveranstaltungen, sondern um möglichst viele interessante Kleinveranstaltungen handeln (verantwortlich ist das Komitee der Westberliner DGB-Jugend).

  • Von der Senatskommission wurde in Verbindung mit den übrigen offiziell bestehenden Gremien sichergestellt, dass alle westdeutschen Besuchergruppen »Aufklärung« über die politische Situation Berlins – insbesondere Westberlins – über die Rolle der »SBZ« unter Berücksichtigung des Deutschlandtreffens und früherer »kommunistischer Jugendveranstaltungen« erhalten. Zu diesem Zweck wurden insbesondere folgende Maßnahmen eingeleitet:

    • In begrenztem Umfang sollen von Westdeutschland »qualifizierte Gruppen« Jugendlicher nach Westberlin delegiert werden (organisiert vom Landesjugendamt, Landesjugendring und Bundesjugendring), die »positiv« auf die übrigen westdeutschen Jugendlichen einwirken und sie vom Besuch des Deutschlandtreffens abhalten sollen. Diese Gruppen werden »ideologisch vorbereitet« durch Referate in Berlin (ausgearbeitet vom Presse- und Informationsamt, Landesjugendamt, Jugendreferat des Informationszentrums) durch »Auswertungsgespräche« (beteiligt sind Jugendreferat des Informationszentrums, Landesjugendamt, Landesjugendring), durch Handzettel über die Stellungnahme des Senats zum Deutschlandtreffen, durch einen Veranstaltungskalender und Quartierübersichtspläne. Außerdem soll erreicht werden, dass die für einen Westberlinbesuch angemeldeten Jugendlichen bereits vor Pfingsten durch sogenannte Gruppengespräche – organisiert von Mitgliedern westdeutscher Jugendorganisationen – eine »politisch klare Grundeinstellung« erlangen.

  • Für Jugendliche, Studenten und Ausländer, die sich intensiver über politische Fragen und über das Deutschlandtreffen informieren wollen, werden sogenannte Kontakt- oder Informationsstellen in Westberlin eingerichtet.18 In diesen Kontaktstellen sollen »politisch qualifizierte Personen«, junge Abgeordnete des Landes Berlin und des Bundes zu Auskünften und Diskussionen mit jungen Westdeutschen (aber auch DDR-Bürgern, soweit ihnen eine Einreise nach Westberlin erlaubt sei) zur Verfügung stehen. Die Kontaktstellen sollen in folgenden Gebäuden und Einrichtungen stationiert werden:

    • Die Zentrale Kontaktstelle für Jugendliche aus Westdeutschland wird im »Haus des Ringes Politischer Jugend e.V.« in Berlin 31 Kurfürstendamm 96 untergebracht. Zur Unterstützung dieser Kontaktstelle werden weitere gleichartige Stützpunkte im »Haus der Jugend«, Böcklerpark19 und im Notquartier Messehallen, Messedamm, Halle VIII/IX eingerichtet.

    • Die Zentrale Kontaktstelle für Teilnehmer aus Studentenkreisen wird in der Nähe des Bahnhofes Zoo im Haus des Arbeitskreises »Berliner Studentenverbände« eingerichtet.

    • Die Zentrale Kontaktstelle für Ausländer, die Westberlin anreisen und am Deutschlandtreffen teilnehmen wollen, ist in der Nähe des Grenzkontrollpunktes Friedrichstraße, DAG-Jugendclub, Berlin 61, Friedrichstraße 210, untergebracht.

  • Zur Beeinflussung der westdeutschen Jugendlichen, Studenten und Ausländer in den Kontaktstellen sowie in individuellen Gesprächen stellen das Presse- und Informationsamt, die »Jungsozialisten«, die »Deutschen Jungdemokraten«20 und der »Ring der Politischen Jugend« 30 bis 40 Referenten. Die Referenten werden in Wochenendschulungen auf ihre Aufgaben vorbereitet. Referenten sind u. a. Stephan Thomas21 (Ostbüro der SPD)22 und Peter Herz (RIAS).

Neben den angeführten Maßnahmen zur ideologischen Beeinflussung der westdeutschen Jugendlichen werden weiterhin folgende Vorbereitungen getroffen, um diese Jugendlichen über den Charakter des Deutschlandtreffens zu desinformieren und sie von einem Besuch der Hauptstadt der DDR abzuhalten:

  • Herausgabe von zwei Broschüren mit hetzerischem Inhalt und »Dokumentationen« über die Entwicklung der FDJ (Auflage in 25 000 Expl.), voraussichtlich unter dem jetzigen Arbeitstitel »Jugend ohne Freiheit«23;

  • Verteilung von Zeitschriften an westdeutsche Jugendliche, die inhaltlich gegen die FDJ und die Verhältnisse in der DDR gerichtet sind (u. a. Studenten- und Jugendzeitschrift »Blickpunkt«24);

  • Verteilung von schriftlichem Informationsmaterial über die gleichen Probleme, u. a. in Form von Handzetteln mit dem Text des neuen Jugendgesetzes der DDR mit entsprechenden »Argumenten« und »Kommentaren«;

  • Einschaltung des RIAS (Einrichtung eines RIAS-Sonderdienstes25 mit Telefondienst) und des Fernsehens, u. a. zu dem Zweck, Referate von Horst Schumann26 und Gerhart Eisler27 in entsprechender Form »auszuwerten« und zu kommentieren;

  • Einrichtung eines Pressezentrums durch das Presse- und Informationsamt in Westberlin unter Mitarbeit des Landesjugendamtes, von Studenten- und Jugendverbänden. Durchführung einer Pressekonferenz in WB über das Deutschlandtreffen.

Ideologische Diversion vom Territorium Westberlin aus in Richtung Hauptstadt der DDR in Verbindung mit der Durchführung des Deutschlandtreffens

In breitem Maße soll vom Territorium Westberlin aus unter Einschaltung des RIAS und Fernsehens eine ideologische Beeinflussung der Jugend der Hauptstadt und der DDR erreicht werden. Neu ist dabei der Versuch verantwortlicher Politiker Westberlins, das Jugendgesetz der DDR zu diffamieren und die Jugendlichen aufzurufen, sich mit diesem Gesetz auseinanderzusetzen.

Bei den insgesamt vielfältigen Methoden der Durchführung der ideologischen Diversion gegen das Deutschlandtreffen zeichnen sich folgende konkrete Gesichtspunkte ab:

  • In einer breit angelegten Kampagne sollen insbesondere zu Beginn des Deutschlandtreffens Einladungen an die Jugend der DDR ergehen, Westberlin aufzusuchen und an den dortigen Veranstaltungen teilzunehmen. Neubauer gab während einer am 30.4.1964 in Westberlin durchgeführten internen Pressekonferenz zu verstehen, der Senat werde eine offizielle Verlautbarung bekannt geben, in der er zum Ausdruck bringen will, dass er jedem Jugendlichen aus »Ostberlin« Einlass nach Westberlin gewähren würde; sollten die Jugendlichen keine »Freiheiten« zur Einreise nach Westberlin erhalten, würde man nicht den Westberliner Senat dafür verantwortlich machen können. Diese Verlautbarung soll durch Plakate, Leuchtschriften in Richtung Hauptstadt der DDR, Lautsprecher, Rundfunk und Fernsehen bekannt gemacht werden. Durch diese Sprachrohre sollen die Jugendlichen der DDR weiterhin auf die Möglichkeit während früherer Deutschlandtreffen hingewiesen werden, ungehindert Westberlin aufsuchen und republikflüchtig werden zu können. Dabei soll ihnen indirekt nahegelegt werden, es sei in »ihrem eigenen Interesse«, auch diesmal »diese Möglichkeit wahrzunehmen«. In weiteren Hetzsendungen westlicher Rundfunksender werden bereits die Jugendlichen der DDR zur Störtätigkeit während des Deutschlandtreffens, zur »Passivität« und zum »Widerstand« gegen die Jugendpolitik in der DDR aufgerufen.

Organisierte Einschleusung von westdeutschen und Westberliner Jugendlichen in die Hauptstadt der DDR

In großem Maße werden von den verschiedensten Organisationen und Gremien in Westberlin Vorbereitungen unternommen, sogenannte Beobachtungsgruppen, bestehend aus ausgesuchten, geschulten westdeutschen oder Westberliner Jugendlichen, gezielt zum Deutschlandtreffen zu schicken.

Diese Jugendlichen sollen die Aufgabe erhalten

  • Kontaktgespräche mit DDR-Jugendlichen zu führen,

  • ausländische Teilnehmer am Deutschlandtreffen zum Westberlinbesuch zu überreden,

  • Teilnehmer aus Westdeutschland aufzuspüren, deren Namen in Erfahrung zu bringen und sie über ihre Eindrücke zu befragen,

  • mit ihrer Meinung »nicht hinter dem Berg zu halten«, sich aber nicht provozieren zu lassen.

Die »Beobachtergruppen« werden von den verschiedensten Verbänden auf ihre Aufgabe in Wochenendschulungen vorbereitet (verantwortlich für die Ausbildung der Vertreter der Jugend- und Studentenorganisationen der CDU, SPD und FDP ist das sogenannte Organisations-Komitee). Diese Jugendlichen erhalten sogenannte Verhaltenszettel mit Hinweisen, wie sie in der Hauptstadt der DDR auftreten sollen. (Verhalten während des Grenzübergangs bzw. während der Kontrolle, Verhalten bei Kontaktgesprächen – nicht provozieren lassen –, Verhalten während des Fotografierens usw.)

Die Angehörigen der sogenannten Beobachtergruppen werden in ihren speziellen Wochenendschulungen insbesondere auf die Argumentation folgender Fragen vorbereitet:

  • Ausführliche Darlegung des Freiheitsbegriffes im westlichen Sinne; die Freiheit der Wehrdienstverweigerer [sic!] für Jugendliche in Westdeutschland; die Informations- und Pressefreiheit; die Frage, warum Jugendliche aus der DDR keine Westberliner Veranstaltungen besuchen dürften.

  • Wie denkt die »Ostjugend« über die »Mauer« und wie fühlt sie sich angesichts der »Mauer« beim Absingen von Freiheitsliedern?

  • Wie denkt man über die Spaltung Deutschlands?

  • Welche Meinung wird zur Oder-Neiße-Grenze vertreten?

  • Wie denkt man über freie Wahlen in ganz Deutschland?

  • Welche ideologische Einstellung ist zum Westen, zur NATO und zur EWG-Politik vorhanden?

  • An welche politische und wirtschaftliche Lösung glaubt die Jugend?

  • Sind Sympathien für eine europäische Föderation vorhanden?

  • Argumentationen zum neuen Jugendgesetz der DDR im westlichen Sinne.

In den »Beobachtergruppen« sind nach bisherigen Hinweisen u. a. vertreten:

  • Vertreter der »Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken«;28

  • Mitglieder der »Naturfreundejugend«;29

  • Westberliner Gruppe des SDS – »Sozialistischer Deutscher Studentenbund«30 – u. a. der »Freien Universität« Westberlin;

  • Jugendvertreter der DAG;

  • Funktionäre des Bundesvorstandes;

  • Studentenvertreter des Allgemeinen Studentenausschusses der Ingenieur-Schule für Textiltechnik und Bekleidung/Mönchengladbach;

  • Vertreter des LSD – Liberaler Studentenbund –31 unter der Tarnung als Pressekorrespondenten;

  • Mitglieder der »Jungen Union«;32

  • Mitglieder vom »Ring Politischer Jugend«.33

Zusammenfassung der vom Westberliner Territorium aus vorgesehenen Störmaßnahmen an der Staatsgrenze Berlin

Geplant sind:

  • die Plakatierung der Anschlagsäulen in unmittelbarer Grenznähe mit antikommunistischen Losungen;

  • nächtliche Vorführungen von Hetzfilmen an einigen noch nicht näher bezeichneten Grenzkontrollpunkten, überwiegend tonlos, um keinen »Lautsprecherkrieg« zu provozieren (Organisator: Aktionskomitee »Deutschlandtreffen« beim Westberliner Senat);

  • Aufführung von Hetzfilmen am Brandenburger Tor gegenüber den Besucherpodest der Hauptstadt der DDR in Richtung DDR in einem Tageskino (verantwortlich: Peter Herz im Auftrage der Senatskommission);

  • Eventuelle sogenannte Grenzansprachen über starke Lautsprecher an die Jugend im »Osten«. Die Lautsprecherwagen sollen dann am Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, an der Oberbaumbrücke, an der Bernauer Straße eingesetzt werden.

  • Einsatz des »Studios am Stacheldraht«34 bei Eintreten einer »besonderen Situation« (Organisator: Westberliner Senat);

  • Anbringen von Leuchtschriftanlagen und Anschlagtafeln für Hetzlosungen an der Staatsgrenze Berlin (u. a. Montage einer neuen Leuchtschriftanlage in Rudow). Die Leuchtschriftanlagen am Potsdamer Platz, auf dem GSW-Haus Kochstraße, auf der Rudower Höhe sollen von Eintritt der Dämmerung bis zum Morgengrauen Informationen an die Jugend in »Ostberlin« ausstrahlen (Organisator: Westberliner Senat).

  • Organisierung eines Nachtmarsches von Studenten und Angehörigen der »Jungen Union« Westberlin entlang der Staatsgrenze (Termin wurde bisher nicht bekannt);

  • Abschießen von Fallschirmraketen mit Hetzflugblättern.

Ergänzung

Dem MfS wurde bekannt, dass am 23.4.1964 beim Senator für Jugend und Sport Neubauer eine Sitzung der Senatskommission zur Vorbereitung der Gegenmaßnahmen zum Deutschlandtreffen stattfand, während durch die anwesenden Vertreter aller bestehenden Gremien in Westberlin eine Koordinierung der Maßnahmen erreicht wurde.

Durch Neubauer wurde eine Übersicht über alle während des Westberliner Pfingstreffens zu lösenden Einzelfragen gegeben. Neben den bereits bekannten Maßnahmen wurde im Einverständnis aller anwesenden Vertreter der verschiedenen Komitees noch folgende Übereinstimmung erzielt:

Neben den zwei großen Veranstaltungen im Sportpalast wird eine weitere größere Veranstaltung am Vormittag des 16.5.[1964] ab 10.30 Uhr im Studentenhaus am Steinplatz durchgeführt. Organisator ist der Ring der politischen Jugend. In der Veranstaltung soll – nach einem Referat von Fritz Schenk,35 ehemaliger persönlicher Referent von Bruno Leuschner,36 über das Thema »Die Junge Generation in der sowjetischen Besatzungszone« – vorwiegend über politische Fragen diskutiert werden, um die westdeutschen Jugendlichen mit »Argumenten« auszurüsten.

Für die nach Westberlin kommenden westdeutschen Jugendgruppen wurde ein Programm festgelegt. Es besteht im Wesentlichen in dem Besuch von wenigstens einem Vortrag des Presse- und Informationsamtes, einem zweiten Vortrag über die Verhältnisse in der DDR, gehalten durch Vertreter des Gesamtdeutschen Ministeriums, einer Stadtrundfahrt durch Westberlin und einer Fahrt entlang der Staatsgrenze Berlin. Am 2. Pfingstfeiertag wird dieses Programm mit einem sogenannten Abschlussvortrag beendet. In dem Abschlussvortrag sollen die Jugendlichen nochmals detaillierte politische Argumente vermittelt bekommen, um auch eventuelle »Unklarheiten«, die möglicherweise durch einen inoffiziellen Besuch des demokratischen Berlin entstanden sein könnten, zu beseitigen. Die Referenten für die Abschlussgespräche werden vom Ring Politischer Jugend, vom Arbeitskreis Berliner Studentenverbände und vom Landesjugendring gestellt.

In Anbetracht der vom Gegner geplanten organisierten Einschleusung westdeutscher und Westberliner Jugendlicher in die Hauptstadt der DDR mit dem Ziel, provokatorische Diskussionen hervorzurufen und die westlichen Argumente zu verbreiten, ist in starkem Maße damit zu rechnen, dass es im Verlaufe des Deutschlandtreffens zu organisierten Diskussionsgruppen und zu größeren Menschenansammlungen eventuell auch Zusammenrottungen kommt. Es ist deshalb unseres Erachtens notwendig, dass neben den durch die Sicherheitsorgane einzuleitenden Absicherungsmaßnahmen auch die FDJ entsprechende Maßnahmen ergreift, um diesen gegnerischen Bestrebungen entgegenzuwirken und eventuell negativ oder provokatorisch auftretende Diskussionsgruppen zu neutralisieren und aufzulösen.

Es wären dazu folgende Maßnahmen angebracht, die vom Zentralrat der FDJ garantiert werden müssten:

  • im Zentralrat der FDJ bzw. in dem während des Deutschlandtreffens verantwortlichen zentralen Stab,

  • in der Bezirksleitung der FDJ von Groß-Berlin und

  • in den übrigen Bezirksleitungen der FDJ (Delegationen)

sollten Agitationsgruppen aus geeigneten FDJ-Mitgliedern zusammengestellt werden, die im Falle der Bildung provokatorischer Diskussionsgruppen zu deren Neutralisierung und Auflösung beitragen können. Das bedeutet, dass diese Agitationsgruppen von zentraler Stelle einheitlich organisiert, geschult und über die Art des Auftretens instruiert werden sollten. Dabei müsste berücksichtigt werden, dass sie mit der vom Gegner zu erwartenden Argumentation vertraut gemacht werden und durch entsprechende Schulung sachliche und überzeugende Argumente erhalten, mit denen sie offensiv den provokatorischen Inhalt eventuell gegnerischer Diskussionen bloßstellen und wirkungslos machen können.

Bei einem notwendigen Einsatz dieser Agitationsgruppen ist größter Wert darauf zu legen, dass sie ruhig und mit Übersicht und ohne Gewaltanwendung vorgehen. Es muss versucht werden, die negativ auftretenden Personen, offensichtliche Wortführer oder Organisatoren zu erkennen und sie von den Ansammlungen zu isolieren, in Nebenstraßen abzudrängen und die entsprechenden Sicherheitsorgane zu verständigen. Jedes Aufsehen erregende Vorkommen ist zu vermeiden, und westdeutschen Journalisten oder anderen Personen darf keine Möglichkeit gegeben werden, Foto- und Filmaufnahmen zu machen, die zur Hetze gegen das Deutschlandtreffen oder gegen das offene deutsche Gespräch benutzt werden könnten.

Die Agitationsgruppen sollten zentral an den Schwerpunkten eingesetzt werden, aber auch in eigener Zuständigkeit operieren, was eine entsprechende Organisation, Form und Übersicht erfordert.

Zur Erhöhung der Wirksamkeit dieser Agitationsgruppen wäre es zweckmäßig, ständig einige Tanzmusikkapellen (Combos) und andere massenwirksame Kultur- und Sportgruppen zur Verfügung zu haben, die an solchen Schwerpunkten eingesetzt werden können. Notwendig wäre es ferner, ständige Agitationsgruppen der FDJ als »Fahrkommandos« auf der S-Bahn und auf den Verkehrsmitteln der BVG (zweckmäßigerweise aus FDJ-Mitgliedern dieser Betriebe gebildet) zu gleichem Zweck einzusetzen.

Einzelheiten über die sich daraus ergebende notwendige Zusammenarbeit zwischen FDJ und Sicherheitsorganen müssten noch vereinbart werden.

Dieser Bericht darf aus Gründen der Sicherheit der Quellen nicht publizistisch ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Schlägerei mit ausländischen Bürgern

    8. Mai 1964
    Einzelinformation Nr. 376/64 über tätliche Auseinandersetzungen mit ausländischen Bürgern in der Nacht vom 7. zum 8. Mai 1964

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    5. Mai 1964
    Einzelinformation Nr. 370/64 über einen Grenzdurchbruch Westberlin – DDR im Abschnitt Neustaaken, [Kreis] Nauen, unter Anwendung der Schusswaffe mit tödlichem Ausgang für den Grenzverletzer