Zugentgleisungen auf Strecken von und nach Berlin
10. August 1964
Einzelinformation Nr. 636/64 über Zugentgleisungen auf den Reichsbahnstrecken Wildau – Berlin und Berlin – Neustrelitz
Am 9.8.1964, gegen 6.10 Uhr, entgleisten in einer Weiche vom Bahnhof Wildau die letzten beiden Wagen des D 92 (Kraków – Berlin) mit beiden Drehgestellen, wodurch ein Materialschaden von ca. 1 000 MDN entstand. Personen wurden nicht verletzt. Nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen wurde die Zugentgleisung durch die Stellwerksmeisterin des Bahnhofes Wildau [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1915, durch Umstellen der Weiche unter dem fahrenden Zug verursacht. Bei der normalen Durchfahrt wird der D 92 durch das Gleis 2 des Bahnhofes Wildau geleitet. Dieses Gleis war jedoch am 9.8.1964, gegen 6.00 Uhr, durch den Durchgangsgüterzug 6979 blockiert (dieser Zug war wegen eines Heißläufers im Gleis 2 abgestellt worden). Aufgrund der Sperrung des Gleises 2 wurde der D 92 als Falschfahrt durch das Gleis 3 geleitet. Die Fahrstraße durch dieses Gleis war mechanisch festgelegt, eine blockelektrische Festlegung ist bei Falschfahrten nicht möglich. Wie die Untersuchung weiter ergab, wurde die Stellwerksmeisterin [Name 1] planmäßig gegen 5.45 Uhr durch den Stellwerksmeister [Name 2] abgelöst. [Name 2] erhielt vom Fahrdienstleiter den Auftrag, dem Lokpersonal des D 92 den Fahrbefehl A zur Durchführung der Falschfahrt zu erteilen. Zu diesem Zeitpunkt griff die bereits abgelöste Stellwerksmeisterin [Name 1] nochmals unberechtigt in den Betriebsablauf ein. Als der Gleisbildtisch im Stellwerk das Passieren des D 92 in der Weiche am Bahnhof Wildau anzeigte, legte sie unberechtigt die Weiche um, ohne zu berücksichtigen, dass bei Falschfahrt der Kontakt bereits durch die erste Achse ausgelöst wird. Durch diese Handlungsweise wurde die Weiche unter dem fahrenden Zug umgestellt, sodass die letzten beiden D-Zugwagen entgleisten.
Am 8.8.1964, gegen 23.20 Uhr, fuhr der aus Richtung Neustrelitz kommende Durchgangsgüterzug 7264 auf den vor dem Halt zeigenden Signal Vra (Fürstenwalde/Havel, Abzweig Ravensbrück) stehenden leeren O-Wagenzug 10108 auf. Durch das Auffahren entgleiste die Lok des Dg 7264 mit allen Achsen. Außerdem entgleisten zehn Wagen, von denen fünf umstürzten, drei Wagen schoben sich beim Aufprallen ineinander. Der Materialschaden beträgt ca. 70 000 MDN, Personenschaden entstand nicht. Die bisher geführten Untersuchungen zeigten folgenden Sachverhalt: Der O-Wagenzug 10108 stand vor dem gesperrten Signal am Abzweig Vra. Ihm folgte im Blockabstand der Dg 7264, der sich in langsamer Fahrt dem Bahnhof Düsterförde näherte. Bei der Kontrolle des Streckenblocks im Stellwerk stellte der Fahrdienstleiter des Bahnhofes Düsterförde fest, dass dieser weiß anzeigte. Das bedeutete, dass Lgo 10108 den nächsten Streckenabschnitt bereits verlassen haben musste. Daraufhin wurde durch den Fahrdienstleiter das Ausfahrtsignal für den Dg 7264 freigegeben. Gleichzeitig meldete er den Zug telefonisch dem Fahrdienstleiter im Stellwerk Vra ab. Durch diesen wurde jedoch mitgeteilt, dass der Lgo 10108 – entgegen der Anzeige im Stellwerk – noch vor dem Signal steht und den Streckenabschnitt noch nicht verlassen hat. Der Dg 7264 hatte zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Ausfahrtsignals bereits den Bahnhof Düsterförde verlassen. Da auf der folgenden Strecke keine Möglichkeit der Benachrichtigung bestand, fuhr er, durch starken Nebel begünstigt, auf den Schlusswagen des Lgo 10108 auf.
Nach den bisherigen Untersuchungen ist die Falschanzeige in der Stellwerksanlage des Bahnhofes Düsterförde (Gleisfreimachung – Anzeige durch weißes Licht auf dem Streckenblock) durch eingeflossenen Fremdstrom, möglicherweise über ein Erdkabel, verursacht worden. Die Stellwerksanlage des Bahnhofes Düsterförde basiert auf Wechselstrom, der durch Kurbelinduktor erzeugt wird.
Wie durch ein Experiment bestätigt wurde, bewirkte das Einfließen von Fremdstrom z. B. auch das Inbetriebsetzen des Morseschreibers und des Läutewerkes.
Weitere Untersuchungen werden gegenwärtig noch geführt.