Zugunglück zwischen Rostock und Groß Schwaß
21. März 1964
Einzelinformation Nr. 242/64 über einen Bahnbetriebsunfall am 20. März 1964 zwischen Rostock-Hauptbahnhof und Bahnhof Groß Schwaß
Wie bereits in einer Presseveröffentlichung bekannt gegeben,1 stießen am 20.3.1964 der Pz 2611 und der Nahgüterzug 8634 zwischen Rostock-Hauptbahnhof und Bahnhof Groß Schwaß (Strecke Rostock – Bad Doberan) am Posten 75 – Satower Chaussee – frontal zusammen. Dabei wurden sieben Reisende schwer und 26 Reisende leicht verletzt. Die Verletzten wurden sofort in die Klinik überführt. Die Leichtverletzten konnten nach erster Behandlung wieder entlassen werden. Bei den in der Klinik verbliebenen Schwerverletzten besteht keine Lebensgefahr. Beide Lok und ein Güterwagen entgleisten, der Packwagen des Personenzuges wurde teilweise zertrümmert. Der Sachschaden an rollendem Material beträgt 50 000–60 000 DM. Die Strecke war von 13.55 Uhr bis 18.26 Uhr gesperrt.
Der Unfall entstand aufgrund folgender Ursachen
Am 20.3.1964 wurde seit 8.30 Uhr durch den Signalwärter [Name 1] auf dem Stellwerk 3 der Bahnhofsblock gereinigt. Hierdurch war der Block stromlos und der Auftrag, Ein- oder Ausfahrtsignale auf Fahrt zu stellen, konnte nicht mehr durch Bahnhofsblock, sondern musste vom Fahrdienstleiter an Weichenwärter fernmündlich gegeben werden. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ist der Weichenwärter [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1938 an dem Unfall schuldig. Im Glauben, den Abfahrauftrag für den Nahgüterzug 8634 vom Fahrdienstleiter erhalten zu haben, gab der Weichenwärter [Name 2] dem Signalwärter [Name 1] den Auftrag, das Befehlsempfangsfeld zu entblocken, damit er die Fahrstraße und das Ausfahrtsignal stellen konnte. Der Signalwärter [Name 1] kam diesem Auftrag nach. Um 13.43 Uhr wurde vom Fahrdienstleiter des Bahnhofes Groß Schwaß, [Name 3], der Personenzug 2611 dem Fahrdienstleiter des Hauptbahnhofes Rostock, [Name 4], auf Stellwerk B 2 angeboten und auch angenommen. Zum gleichen Zeitpunkt stand auf dem Hauptbahnhof Rostock, Gleis 23, der Nahgüterzug 8634 zur Ausfahrt in Richtung Groß Schwaß bereit. Der Personenzug 2611 hatte 30 Minuten Verspätung. Die Abfahrt des Personenzuges 2611 wurde auch vom Schrankenposten Satower Chaussee aufgenommen und der Schrankenwärter [Name 5] schloss am Überweg Satower Chaussee die Schranken. Dem Weichenwärter auf dem Stellwerk B 3 des Hauptbahnhofes Rostock, [Name 2], waren die 30 Minuten Verspätung des Pz 2611 vom Fahrdienstleiter [Name 4] mitgeteilt worden, jedoch wusste er nicht, dass sich der Pz 2611 bereits im Blockabschnitt Groß Schwaß – Rostock befand. In dieser Situation legte er die Fahrstraße und zog das Ausfahrtsignal für den Nahgüterzug 8634, sodass der Nahgüterzug in den Streckenabschnitt dem Personenzug 2611 entgegenfuhr. Durch Meldung der Ausfahrt des Nahgüterzuges 8634 an den Fahrdienstleiter [Name 4] stellte dieser diese Betriebsgefahr fest und gab sofort Notruf über den Fernsprecher, den Personenzug 2611 und den Nahgüterzug 8634 zu stellen. Der Notruf wurde vom Schrankenwärter [Name 5] sofort aufgenommen, der dem Nahgüterzug 8634 entgegenlief und auch zum Halten brachte.
Der Lokführer des Nahgüterzuges 8634 versuchte, zurückzudrücken. Zum gleichen Zeitpunkt näherte sich auch bereits der Personenzug 2611 dem Überweg und ein rechtzeitiges Anhalten war nicht mehr möglich, sodass der Personenzug 2611 mit einer Geschwindigkeit von ca. 5 bis 10 km/h auf den noch stehenden Nahgüterzug 8634 aufprallte. Zum Zeitpunkt des Unfalles herrschte starkes Schneetreiben und die Sichtverhältnisse waren stark beeinträchtigt.
Der schuldige [Name 2] ist ein aktives SED-Mitglied und als Gruppenorganisator gewählt. Er gehört ferner der FDJ an und ist von sozialer Herkunft Arbeiter. Er verursachte bisher noch keinen Unfall, hat aber nicht immer betriebswichtige Gespräche im Fernschreibbuch eingetragen.
Wie schon bei dem in unserer Information Nr. 229/64 gemeldeten Unfall in Groß-Korbetha trat auch hier wieder in Erscheinung, dass nach bisherigen Untersuchungen keine feindlichen Handlungen vorliegen. Aber in beiden Fällen gibt es Hinweise auf Schlamperei und Missachtung der Vorschriften, die diese Unfälle begünstigten. Bei dem Unfall in Groß-Korbetha z. B. wurde versäumt, die Schutzweichen für die Rangierfahrt zu stellen, die einen Zusammenstoß auch bei Überfahren des Signals – wie das der Fall war – verhindert hätten. Beim in vorliegender Information mitgeteilten Unfall bestanden die begünstigenden Umstände vor allem in folgenden Unterlassungen und Missständen: Der Fahrdienstleiter [Name 4] hat das Zugfahrtensicherungsbuch, welches er lt. Fahrdienstvorschrift hätte führen müssen, nicht geführt. Er veranlasste auch nicht, dass dieses Dokument vom Weichenwärter geführt wurde. Der Signalwärter [Name 1] verständigte vor Beginn seiner Arbeiten lediglich den Weichenwärter und nicht den Fahrdienstleiter, wozu er ebenfalls verpflichtet ist. Mangelhafte und oberflächliche Kontrolle über die ordnungsgemäße Führung der Unterlagen durch die Dienstvorgesetzten.